Höchste Zeit, wach zu werden und die Gefahr ernst zu nehmen
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – Wer bisher geglaubt hat, künstliche Intelligenz (KI) als ein Problem betrachten zu können, das nur große Technikunternehmen betrifft, ist einem großen und noch dazu gefährlichen Irrtum erlegen. Mich hat ein Satz über den Aufstieg einer Dorfbäckerei zum regionalen Großbetrieb in Norddeutschland wach gerüttelt. Er lautet: „Bei der Produktionsplanung kommt bereits künstliche Intelligenz zum Einsatz.“ (Weser-Kurier“, 7. Juni 2023).
Auch anderswo hat sich KI gespensterhaft ausgebreitet. Eine Kleine Anfrage im Bundestag ergab, dass sie bereits an mehr als 100 Stellen in Ministerien und Bundesbehörden eingesetzt wird. Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag durchforstet bereits mit Hilfe von künstlicher Intelligenz unter anderem Zeitungsartikel sowie Fernseh- und Radiobeiträge in 25 Sprachen. Die Links-Fraktion hat verlangt, dass im Bund Strukturen eingeführt werden, die einen verantwortungsvollen und kompetenten Umgang mit KI-Systemen gewährleisten. Damit soll der Gefahr vorgebeugt werden, dass KI-Software für politische Manipulation missbraucht wird.
Heribert Prantl, Jurist von hohen Graden, läutete in der Süddeutschen Zeitung vom 3./4. Juni unter Hinweis auf den Ukraine-Krieg, die Alarmglocke. „Wir befinden uns auf dem Weg vom selbstfahrenden Auto zum selbstfahrenden Krieg. Es wird jeweils das Unfallrisiko unterschätzt. Im selbstfahrenden Krieg werden die autonomen Roboter, weil sie bei der Verarbeitung von unvorstellbar vielen Daten unvorstellbar schnell sind, nicht mehr von einem Menschen beaufsichtigt, der die letzt Entscheidung hat; es entscheidet der Algorithmus.„Man kann einer Maschine nicht die Lizenz zum autonomen Töten überantworten. Das ist moralisch inakzeptabel. Deshalb müssen autonome Waffensysteme verboten werden. Das Bemühen um so ein internationales Verbot ist nicht aussichtslos.“ Aus der Welt wären die autonomen Waffen mit einer Ächtung nicht, aber wer sie einsetze, stelle sich ins Abseits, gibt Prantl zu bedenken. Auch die Strafnorm, die den Mord bestraft, könne die Tat nicht verhindern. Aber sie stigmatisiere und verdamme. Sie setze Recht und sie legitimiere Kontrolle.
Ist es am Ende zu spät für ein Verbot eigenständig handelnder Mordmaschinen?
Der Chef der amerikanischen Software-Firma Palantir, Alex Karp, umriss die Gefahr gegenüber der „Washington Post“ mit folgenden Worten: „Die Macht fortschrittlicher algorithmischer Kriegsführungssysteme ist inzwischen so groß, als hätte man taktische Atomwaffen gegen einen Gegner, der nur konventionelle hat.“ Russland besitze solche Kriegsführungssysteme noch nicht. Nach Darstellung der Pfingstausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ hilft die Firma Palantir der Ukraine, gegnerische Panzer auszuschalten und Angriffe zu planen.
In derselben Ausgabe erinnern die Autoren Andrian Kreye und Georg Mascolo daran, dass automatisierte Systeme schon zu Friedenszeiten „viele unschuldige Menschen das Leben gekostet“ habe, etwa am 3,Juli 1988 die 290 Insassen eines iranischen Airbus. Das Aegis-Raketensystem eines US-Kriegsschiffes habe die Maschine als Kampfjet und damit als Bedrohung eingestuft. Ihr Fazit: „Im Krieg wird aus künstlicher Intelligenz nicht nur ein taktischer Vorsprung, sondern auch ein ethisches Monster.“
Nicht weniger scharf geht die weltweit bekannte Wissenschaftlerin Naomi Klein, Professorin für Klimagerechtigkeit an der University of British Columbia in Montreal, mit den Befürwortern der künstlichen Intelligenz ins Gericht. Wahrscheinlich werde sich die künstliche Intelligenz zum „furchterregenden Werkzeug weiterer Enteignung und Plünderung“ entwickeln.. Die von den Befürwortern verbreiteten „verlockenden Geschichten“! sollen verdecken, dass sich die künstliche Intelligenz „als größter und folgenreichster Raub in der menschlichen Geschichte“ herausstellen könnte.
„Wir werden Zeugen davon, wie sich die reichsten Firmen der Geschichte (Miicrosoft, Apple, Google, Meta, Amazon …), im Alleingang das gesamte menschliche Wissen, das in digitaler, aufgreifbarer Form vorliegt, aneignen und es in urheberrechtlich geschützte Produkte stecken. Viele von diesen Produkten werden genau jene Menschen bedrohen, deren lebenslange Arbeit die Maschinen trainiert hat, ohne dass sie dem jemals zugestimmt hätten. Dies sollte gesetzlich nicht möglich sein.“ (Zitiert aus „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Der maskierte Raub, Heft 6/2023.)
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