Die 'Justizreform' und die Folgen
Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Tel Aviv elebte in der Nacht zum Donnerstag Momente der Gewalt und Konfrontationen zwischen tausenden von Demonstranten und Sicherheitspersonal, wie sie den bisherigen 26 Wochen der anti-Rechtsreform-Kundgebungen sehr selten gewesen sind.
Äußerer Anlass war die Dienstentlassung des alt gedienten Polizeichefs Amichai Eshed, gegen den Minister, allen voran der extreme Itamar Ben-Gvir den Vorwurf erhoben hatten, er sei zu zurückhaltend gewesen in seinem Vorgehen gegen die Demonstranten. Diese waren mit aller Gewalt aufgetreten gegen die von Premier Netanyahus Rechts-Koalition vorgeschlagene Rechtsreform. Zu den seriösesten Zusammenstößen kam es auf der Ayalon-Schnellstrasse, wo die Demonstranten massenweise Israel-Flaggen wehten, Feuer anzündeten und die Ayalon-Strasse und andere Verkehrsadern blockierten. Ein erzürnter Fahrer soll versucht haben, sich mit aller Kraft einen Weg durch die Personenmassen zu ebnen. Dabei wurde mindestens eine Person verletzt, bevor der rabiate Fahrer verhaftet werden konnte. Die Polizei schoß mit Wasserkanonen auf die Demonstanten, wobei lokale Medien berichteten, dass sie Mühe bekundete, die Ordnung wieder herzustellen. Einige Insassen umliegende Wohnungen zündeten aus Solidarität mit den Demonstranten Feuerwerke an.
Die Proteste gegen die mehr politische Kontrolle beinhaltenden Reformpläne halten ganz Israel nun schon seit Monaten in ihren Bann. Regierungspersonen mit Ben-Gvir, dem Minister für innere Sicherheit, haben sich nun auf Eshed eingeschossen, dem sie vorwerfen, die Demonstranten mit Seidenhandschuhen anzufassen. Nach seiner Entlassung sagte der Polizeioffizier an einer Pressekonferenz: «Mit meinem Kopf hoch erhoben, zahle ich einen unhaltbar hohen persönlichen Preis für meine Entscheidung, einen Bürgerkrieg vermeiden zu wollen. Ich beabsichtige, meinen Polizeidienst aufzugeben nach eine ordentlichen Übergabe an meinen Nachfolger.»
Er fuhr fort: «Leicht hätte ich disproportionale Gewalt anwenden und das Tel Aviver medizinische Zentrum Ichilov nach jeder Demonstration mit Vewundeten füllen können. Wir hätten die Ayalon-Strasse innert Minuten leer kriegen können, doch die Kosten geplatzter Köpfe und gebrochener Knochen wären zu hoch gewesen und hätten in der Aufkündigung des Paktes zwischen Polizei und Bürgern geendet». Eshed endete seine Ausführungen mit dem Hinweis darauf, dass er Genertionen von Polizisten gelehrt habe, die Grenzen der Gewalt anzuerkennen und «unseren Vertrag mit der Öffentlichkeit einzuhalten. Leider wurde ich in den mehr als 30 Jahren meiner Dienstzeit mit der bizarren Realität konfrontiert, dass Ruhe und Ordnung nicht mehr die erwünschte Zielsetzung waren, sondern eher das Gegenteil». Amichai Esheds erwarteter Ausscheiden aus dem Polizeidienst in etwa zwei Wochen wird das traurige Ende einer Tradition in der Landschaft von Israels Strassen markieren. Was dann unter der Führung von Leuten wie Itamar Ben-Gvir und mit der Billigung einer ganzen Rechts-Regierung geschehen wird, kann der Durchschnittsbürger nur noch mit resigniertem Kopfschütteln verfolgen.
Foto:
Protestierende blockieren den Tel Aviver Ayalon Highway
©tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. Juli 2023