Warum mir bei ukrainischen Ortsnamen die Ohren dröhnen
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – Während des Zweiten Weltkriegs besuchte ich jeden Samstag nach Schulschluss meinen Vater in dessen Büro, wo wir heimlich BBC hörten, um uns über die Lage auf den Kriegsschauplätzen zu informieren. Darauf stand zwar die Todesstrafe, aber wir fühlten uns im vierten Stock eines Altbaus ziemlich sicher.
Das Kontrastprogramm zu den Nachrichten aus London wurde uns anschließend beim traditionellen Kinobesuch von der Deutschen Wochenschau um die Ohren geschlagen. Seit Kriegsbeginn bestand die Wochenschau im Wesentlichen aus Frontberichten, die von den dafür ins Leben gerufenen und auch so bezeichneten Propagandakompanien der Wehrmacht angeliefert wurden. Eine Sequenz ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Sie zeigte ukrainische Landfrauen am Straßenrand mit Blumen zur Begrüßung einrückender deutscher Soldaten.
Als Antifaschisten hielten mein Vater und ich das für eine Fälschung. Jahre später musste ich erfahren, dass es tatsächlich Ukrainer gab, die sich auf die Seite Nazideutschlands geschlagen haben. Wenn ich heute die Namen ukrainischer oder russischer Orte höre, dann dröhnen mir die Ohren und ich meine das ferne Grollen einer Zeit zu vernehmen, da Angehörige eines Kulturvolkes in der Mitte Europas Gaskammern bauten, um darin Menschen zu töten. Kein anderes Volk im weiten Erdenrund ist jemals so tief gesunken Ich kann darüber nicht schweigen. So lange ich lebe, werde ich es immer wieder sagen, weil es gesagt werden muss, um dem Vergessen einen Riegel vorzuschieben.
Wenn es jemals eine Zeitenwende gab, die diese Bezeichnung verdient, dann war das der Sieg über den Unrechtsstaat mit dem Hakenkreuz, gefolgt allenfalls vom Untergang der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, den kein Mensch in dem Riesenreich zwischen Moskau und Wladiwostok öffentlich beweinte, abgesehen von den Krokodilstränen Wladimir Putins, mit denen er seinen Überfall auf den kleinen Nachbarstaat Ukraine bemäntelte.
Diesen Überfall als Zeitenwende zu bezeichnen, zeugt von geschichtlicher Unkenntnis. „Die USA haben seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 44 Staaten rund um die Welt angegriffen, direkt oder indirekt. Das erklärte Ziel war es jedes Mal, einen Regimewechsel zu bewirken.“ Der Satz stammt nicht von mir, sondern von Professor Eric Wadell, nachzulesen auf der kanadischen Internetplattform Global Research des Jahres 2007. Um ihre globale Herrschaft abzusichern, unterhalten die USA 737 Militärbasen in anderen Ländern. So Professor Michel Chossudovsky von der Universität in Ottawa auf derselben Plattform am 29. Dezember 2012.
Hat man dazu jemals eine kritische deutsche Stimme gehört? Beide großen öffentlich-rechtlichen Fernsehsysteme sonnen sich in ihrer angeblichen Staatsferne und reden der jeweils amtierenden Regierung im Grunde doch stets nach dem Munde. So halten sie es auch mit den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, die um keinen Preis der Welt in Frage gestellt werden dürfen. Das funktioniert alles wie von allein, ohne eine zentral gesteuerte Wochenschau, wie ich sie während der Nazizeit kennen gelernt habe, als mir die Kriegsziele der Nationalsozialisten so eingehämmert wurden, dass mir bestimmte Ortsnamen noch heute wie ein Echo aus der Hölle in den Ohren dröhnen.
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