br.deukEine Hausfrau entdeckt Ungereimtes zum Krieg in der Ukraine

Adele Hübner-Neuwerk

 Insel Neuwerk (Weltexpresso)  - Auf der kurzen Überfahrt von Duhnen zur Insel Neuwerk lassen Sommergäste immer wieder mal was liegen, Zeitungen zum Beispiel, in die ich mich als Hausfrau an Regentagen dann vertiefen kann. Mir sind die Berichte vom Krieg in der Ukraine zwar ein Graus, aber mitunter macht man doch interessante Entdeckungen.

Da hat zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung in der Wochenendausgabe vom 29./30. Juli den ukrainischen Präsidenten Selenskij mit den Worten zitiert, es bleibe das nationale Ziel seines Landes, Russland militärisch zu besiegen.. In solchen Fällen hole ich meinen alten Schulatlas aus der Kommode und vergleiche die beiden Staaten von der Größe her miteinander. Da kommt man denn doch schnell ins Grübeln. Das geht nicht allein mir so. Der frühere Chef des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA, David Petraeus, zum Beispiel nannte es verrückt, dass ein Land wie die Ukraine, das gegen Russland wie ein Zwerg wirkt, eine bessere Armee aufgebaut hat als Putin.“

Trotzdem lahmt die groß angekündigte ukrainische Sommeroffensive. Dass die Russen nach amerikanischen Angaben an mehreren Stellen um bis zu 18 Kilometer zurückgedrängt wurden, gilt schon als Erfolg.. Als wir zu Hause darüber sprachen fragte mein Neffe, ob ich wüsste, wie weit es bis Wladiwostok sei. Ich verneinte. Dann wolle er mir ein wenig Nachhilfeunterricht geben. Bis dorthin seien es etwa 6.000 Kilometer Luftlinie. Wenn die Ukrainer für 18 Kilometer einen ganzen Sommer gebraucht hätten, würden sie den Fernen Osten bei gleichem Tempo in 300 Jahren erreichen. Mit einem schnellen militärischen Sieg über Russland dürfte es wohl nichts werden.

In der Presse führen Experten den schleppenden Gang der Offensive darauf zurück, dass westliche Waffen viel zu spät oder gar nicht geliefert worden seien. An den Soldaten selbst scheint es also nicht zu liegen. Die befänden sich auf einem hohen Ausbildungsstand. Der deutsche Journalist Georg Mascolo führt das in der Süddeutschen Zeitung auf den ehemaligen General der Bundeswehr im Ruhestand, Volker Halbauer zurück. Der Fallschirmjäger und frühere Befehlshaber des deutsch-niederländischen Korps ist seit sieben Jahren Berater des jeweils amtierenden ukrainischen Verteidigungsministers.

Ich gestehe, dass mir das die Sprache verschlagen hat.Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe hochrangiger Militärs und Experten aus anderen Nato-Staaten gehört Halbauer einem Gremium mit der offiziellen Bezeichnung „Defence Reform Advisory Board“ an, das dabei helfen soll, aus der ukrainischen Armee eine moderne, schlagkräftige Armee nach westlichem Vorbild zu machen. Offiziell wurde dem deutschen General die Verantwortung für die Bereiche Logistik und Sanitätswesen übertragen. „Das sah harmlos aus“, schreibt Mascolo dazu, „und das sollte auch harmlos aussehen – schließlich war die Merkel-Regierung noch an laufenden Friedensgesprächen beteiligt“.

Die politisch hoch brisante Nachricht verbreitete die Süddeutsche Zeitung am 24. Februar 2023 als Spitzenmeldung in ihrem Feuilleton, ohne damit irgendein Echo bei der Bundesregierung, der Opposition oder den Medien hervorzurufen. Welchen Vers soll ich mir als Hausfrau auf das gesammelte Schweigen machen? Wessen Arm reicht so weit, über Monate hinweg eine Sache unter dem Deckel zu halten, die eine öffentliche Diskussion zwingend notwendig macht? Hat es im Bundestag jemals eine Debatte über das Für und Wider eines Vorgangs gegeben, der unser Land über Nacht zum direkten Kriegsteilnehmer machen kann? Nicht ,dass ich wüsste.

Meine Phantasie reicht nicht aus, mir vorzustellen, dass die Beratertätigkeit eines deutschen Generals in Kiew dem russischen Geheimdienst verborgen geblieben ist. Seit einem halben Jahr ist die Nachricht in der Welt, dass ein deutscher General a.D. der Ukraine zu einer – wie es heißt – neuen Führungskultur verholfen hat, was immer darunter zu verstehen ist Fünf Jahre vor dem Angriffskrieg der offensichtlich schlecht ausgebildeten Armee Russland auf die Ukraine hat Deutschland, der ehemalige Kriegsgegner Moskaus, einen General im Ruhestand als ständigen Berater der mit Russland verfeindeten ukrainischen Regierung nach Kiew geschickt. Warum muss ich das in einer Zeitung lesen, die ein Sommergast auf Überfahrt nach Neuwerk liegengelassen hat?

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