facebookNur wer sich aufgibt, ist verloren«. Alfred Hausser - Porträt eines Antifaschisten, Teil 8

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - In seiner Heimatstadt Stuttgart wirkt der unermüdliche Mahner dem Vergessen unter anderem dadurch entgegen, dass er sich als Zeitzeuge für alternative Stadtrundfahrten zur Verfügung stellt. Der Stadtjugendring hat sie 1980 in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ins Leben gerufen. Die Zahl der Rundfahrten ist inzwischen auf insgesamt etwa 500 angewachsen. Ziel der Fahrten sind Orte, die mit der Nazizeit und dem Widerstand in einer Beziehung stehen. Zehntausende junger Menschen lernen dabei ihre Stadt von einer neuen Seite kennen und staunen über die eigene Unwissenheit.



Alfred Hausser: »Da fragt man nach den Ursachen. Und ich sage das immer sehr deutlich: Man hat den Nationalsozialismus nicht aufgearbeitet. Ich habe es erlebt, dass junge Menschen bei der Stadtrundfahrt mir sagen: Warum erfahre ich das erst jetzt? Ich lebe jetzt 15 oder 16 Jahre in dieser Stadt; niemand hat mir etwas von dem Mahnmal gesagt, niemand hat mir gesagt, auf welchem Friedhof so und soviel Opfer liegen und warum es diese Opfer gegeben hat; das alles erfahre ich jetzt. Und wenn man so eine oder zwei Generationen – wie das hier passiert ist – unwissend über diese Zeit ins Leben entlassen hat, dann darf man sich nicht wundern, wenn Rattenfänger einen wohl vorbereiteten Boden finden.«

»Im Gedenken an die Opfer von damals wird heute die demokratische Glaubwürdigkeit daran gemessen, ob wir fähig sind, den Terror gegen Fremde und die Gewalt zu bekämpfen.« Mit diesem Satz begrüßt Alfred Hausser als ältestes Mitglied des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel im November 1993 zu einer Gedenkstunde in dem ehemaligen Konzentrationslager bei Ulm. Als erster Regierungschef dieses Bundeslandes hat der CDU-Politiker die Einladung zu der Veranstaltung am Volkstrauertag angenommen. Wie kam es dazu?

Alfred Hausser: »Diese Sache hat eine Vorgeschichte. Es gab ja Ende1992 auch so eine Welle des Rassismus und Antisemitismus mit vielen Terroranschlägen, weshalb die Menschen dann beinahe spontan auf die Straße gegangen sind und sich in Lichterketten vereinigt haben als Zeichen des Protestes. Man kann sagen, das ist das Wenigste, was ein anständiger Mensch in einer solchen Situation tun muss. Ich sage, jawohl, aber die Menschen, die etwas tun wollen, die brauchen ein Vorbild, und dieses Vorbild müssen wir Antifaschisten sein. Und damals kam es im Dezember 1992 in Stuttgart auch zu so einer Lichterkette, wo mindestens hunderttausend Menschen an einem kühlen Sonntagabend gekommen sind. Wir Antifaschisten haben uns am Zentralen Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus der Stadt Stuttgart versammelt, und siehe da, die ganze staatliche, kirchliche Prominenz kam auch dorthin, der Ministerpräsident, der Innenminister, der Oberbürgermeister Rommel, die beiden Landesbischöfe
der katholischen und evangelischen Kirche. Und so sind wir miteinander in Berührung gekommen.«

Die Bereitschaft, immer wieder für alle sichtbar Partei zu ergreifen, zieht sich wie ein roter Faden durch Alfred Haussers Leben. Er hat bei Wahlen für seine Partei kandidiert und gegen die Wiederaufrüstung demonstriert, er ist bei Regen und Sturm mit den Ostermärschen der Atomwaffengegner über die Straßen gezogen, und selbst am Frauen-Streik-Tag 1994 entdecken Pressefotografen die hochgewachsene Gestalt mit der Baskenmütze als Helfer zwischen den protestierenden Frauen. Tief in seinem Innern jedoch trägt er seit dem Umbruch im Osten einen tragischen Konflikt mit sich selbst aus.

Alfred Hausser: »Im Oktober 1989/1990 gab es für mich und viele andere Kommunisten eine herbe, eine schmerzliche Enttäuschung. Ich meine den Zusammenbruch des realen Sozialismus. Und da musste ich mit mir selber erst fertig werden und mich fragen: Wie geht denn dein Weg weiter? Nun kann man also 40 oder 50 Jahre Zugehörigkeit zu einer Bewegung – mit Überzeugung Zugehörigkeit, will ich hinzufügen – das kann man doch nicht einfach wegwischen, als wäre es nichts gewesen. Das ist die Hälfte meines Lebens. Und so bin ich, mit allen Enttäuschungen, die es da gegeben hat, zu der Überzeugung gelangt, dass der Zusammenbruch des realen Sozialismus nicht gleichbedeutend ist mit der politischen Idee, für die wir einst angetreten sind, für die ich auch in den Widerstand gegangen bin, für die ich in das Zuchthaus gegangen bin, für die ich nach der Befreiung gekämpft habe, das alles kann doch nicht umsonst gewesen sein, das alles beruht doch nicht auf einer Unwahrheit, so dass ich mir also sage: Gut, der reale Sozialismus von damals ist an vielen Fehlern, menschlichen Unzulänglichkeiten gescheitert – aber auf der anderen Seite kann das, was jetzt ist, diese Gesellschaftsordnung, die keine Kriege verhindert, sondern produziert, eine Gesellschaftsordnung, in der die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird, eine Gesellschaftsordnung, die auch heute, wie damals am Ende von Weimar, das Recht auf Arbeit nicht garantieren kann, das kann doch nicht das letzten Wort sein auf die Herausforderung der Geschichte, vor die wir gestellt sind.« 

Schluß folgt

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Info:
Text einer Radio-Bremen-Hörfunksendung vom 31. März 1995