VVN BdA Baden Wurttemberg Nur wer sich aufgibt, ist verloren«. Alfred Hausser - Porträt eines Antifaschisten, Teil 9

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Noch etwas anderes beschäftigt den 82-Jährigen: Das eigene Selbstverständnis als Antifaschist mit Blick auf das Ende des anderen, des zweiten deutschen Staates, der sich für die Inkarnation des Antifaschismus hielt.



Alfred Hausser: »Wenn man sagt, mit dem Untergang der DDR ist auch der Antifaschismus untergegangen, das ist natürlich eine billige, eine primitive Behauptung. Den Antifaschismus hat es gegeben in der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus, es hat ihn gegeben während der NS-Zeit. Der Antifaschismus ist eine politische Kraft gewesen, die schon vor dem Bestehen der DDR gewirkt hat. Man hat vielleicht den Antifaschismus ein bisschen zu hoch angesetzt. Wenn man alle Antifaschisten zu Helden macht, die sie absolut nicht sein wollten, dann ist das eine Bewertung des Antifaschismus, die viele junge Menschen nicht nachvollziehen können. Und auch für mich möchte ich sagen, ich wollte beileibe kein Held sein, und ich weigere mich auch, mir einen solchen Schuh anzuziehen. Wir haben für eine Überzeugung gekämpft, recht und schlecht. Wir sind Menschen gewesen und geblieben, auch nach der Befreiung, mit unseren Schwächen. Kurz und gut, man soll den Antifaschismus – ich will mal sagen – etwas vermenschlichen.«

Hat ein Mensch, der politisch so engagiert ist, auch ein Privatleben? Zwei Jahre nach der Befreiung aus der Nazihaft heiratet Alfred Hausser, aber seine Frau stirbt bereits drei Jahre später. Die zweite Frau verliert er nach 24-jähriger Ehe durch einen Gehirnschlag. Anfang der 1980er Jahre geht er eine neue Verbindung ein, doch nach vier Jahren verliert er auch diese Gefährtin. 1987 findet er schließlich in seiner Sekretärin aus dem Nachkriegsjahr 1948 wieder eine Partnerin, die ihm auch politisch zugetan ist. Drei Söhne und zehn Enkel sind stolz auf ihren Vater und Großvater. Und wo liegt nun das Geheimnis der unbändigen Lebenskraft dieses Mannes?

Alfred Hausser: »Also zunächst einmal bin ich ein unverbesserlicher Optimist. Und ich habe gelernt, dass man mit Optimismus auch in schwierigen Situationen besser zurecht kommt, als mit Pessimismus. Das möchte ich ganz allgemein mal sagen als meine Lebensphilosophie. Aber nun kommt ja hinzu, dass ich einen besonderen Auftrag empfinde. Für mich ist beispielsweise der Schwur von Buchenwald – ich war nicht dabei, aber der Schwur ist auch für mich eine Verpflichtung, nämlich für eine Welt des Friedens und der Freiheit einzustehen. Und aus diesem Grunde – mit Blick auch auf die Opfer – habe ich mir gesagt: Alfred, du musst zu deiner Überzeugung stehen, und zwar nicht bloß im stillen Kämmerlein, sondern öffentlich. Und aus diesem Grund stelle ich mich, wenn ich gebeten werde, zur Verfügung als Redner. Ich mache diese alternativen Stadtrundfahrten, ich diskutiere in Schulen. Und ich habe auch den Eindruck, dass diese Arbeit nicht umsonst ist. Mir geht es nicht um Lohn und Anerkennung, sondern mir geht’s darum festzustellen, ob das irgendwie ankommt, und die Menschen daraus etwas machen für sich selber, im Sinne eben der Idee des Antifaschismus. Ich werde oft gefragt, Mensch, wie machst du das und so weiter. Nachher muss ich sagen, dass eben der Umgang mit jungen Menschen auch einen alten Menschen irgendwie daran hindert, geistig alt zu werden.«

Soweit das Hörfunkfeature, das am 31. März 1995 von Radio Bremen gesendet worden ist. Sprecher war Christian Brückner. In einer Festschrift der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten zum 90. Geburtstag von Alfred Hausser, habe ich dazu folgendes Nachwort geschrieben:

Fünf Wochen nachdem das Porträt eines Antifaschisten ausgestrahlt worden war, hielt Alfred Hausser in Karlsruhe eine Rede zum Jahrestag der Niederwerfung Nazideutschlands. Darin fand ich bestätigt, was diesen Mann zeitlebens ausgezeichnet und herausgehoben hat aus den Reihen Gleichgesinnter, seine undogmatische Gradlinigkeit und seine Fähigkeit, sich in die Gedankenwelt anderer Menschen hineinzuversetzen. So dachte er am 8. Mai auch an jene, die als Folge des Krieges ihre Heimat verlassen mussten. Ich selbst bin einer von ihnen. Alfred Hausser ließ keinen Zweifel daran aufkommen,
dass die Erinnerung an schmerzliche Erlebnisse den Blick für die Wahrheit nicht trüben darf. Immer wieder drängte er darauf, dass in den Schulen in zeitgemäßer Form die Schuldigen beim Namen genannt werden. Geradezu prophetisch klingt sein Satz: »Es ist wieder Krieg in Europa und anderen Kontinenten und die Bundeswehr bereitet sich darauf vor mitzuschießen.«

Das sagte er 1995, lange bevor sich die Bundeswehr an dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien beteiligte und lange bevor sie zu bewaffneten Einsätzen nach Afghanistan und vor die Küste Ostafrikas entsandt wurde. In seiner Karlsruher Rede erinnert er daran, dass die deutschen Streitkräfte laut Grundgesetz zur Verteidigung des eigenen Landes aufgestellt wurden und zu nichts Anderem. Als Anfang der 1990er Jahre Soldaten der Bundeswehr zu unbewaffneten Einsätzen nach Somalia geschickt und bei AWACS-Aufklärungsflügen zur Überwachung des Embargos gegen Jugoslawien eingesetzt wurden, hielt die SPD dies für verfassungswidrig und klagte deswegen in Karlsruhe. Nicht weniger als 108 Buchseiten umfasst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem es 1994 einer staunenden Umwelt klar zu machen versuchte, dass dies alles mit dem Grundgesetz übereinstimme. Der Bundestag könne jederzeit mit einfacher Mehrheit beschließen, die Bundeswehr zu militärischen Einsätzen außer Landes zu schicken. Dass das nur für Einsätze gilt, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen genehmigt hat, wird gern vergessen.

Die Folgen des Urteils beschrieb Alfred Hausser in klassischer Kürze: »Seit Juli 1994 dürfen deutsche Soldaten wieder Krieg führen.« Wie ein Vermächtnis klingt sein Schlusssatz: »Ich wünsche mir und uns, dass die Losung ›Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg‹ so lebendig bleiben möge, wie es die Losungen der französischen Revolution ›Freiheit. Gleichheit, Brüderlichkeit: heute noch sind.«

Alfred Hausser starb am 12. August 2003. Kurz vor seinem Tod wurde ihm das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Foto:
©VVN-BdA BadenWürttemberg 

Info:
Der Preis wird von der VVN-BdA BadenWürttemberg ausgelobt und übergeben.
Text einer Radio-Bremen-Hörfunksendung vom 31. März 1995