2445388 jpg 100 1920x1080Die Ordensaffäre Bütefisch , Teil 1


Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Wenige Wochen nach dem Beginn des Auschwitz-Prozesses, im März 1964, entdeckte ich in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung eine kurze Notiz über die Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes an den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Ruhrchemie AG Oberhausen, Heinrich Bütefisch. Der Name kam mir bekannt vor. Ich erinnerte mich, ihn im Zusammenhang mit einem Verfahren gegen ehemals leitende Angestellte der IG Farbenindustrie AG gelesen zu haben. Bei dieser Aktiengesellschaft handelte es sich um einen Verbund großer Teer-, Farben- und Anilinfabriken sowie anderer chemischer Werke. Die Abkürzung IG stand für Interessengemeinschaft.


Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sich 23 Direktoren des Konzerns wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen Ausplünderung der von den Deutschen besetzten Gebiete und wegen Versklavung von KZ-Häftlingen vor einem alliierten Gericht in Nürnberg verantworten. Zehn von ihnen kamen frei, dreizehn wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, darunter  Heinrich Bütefisch. 

 

Das Gericht hielt ihn für schuldig, mitverantwortlich dafür gewesen zu sein, dass die IG Farben in Auschwitz von der zur Bewachung eingesetzten SS, einer Elitetruppe Hitlers, Häftlinge für Sklavenarbeit ausgeliehen hatte. Die Ausbeutung von KZ-Insassen, heißt es in dem Urteil vom 30. Juni 1948, sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bütefisch bekam sechs Jahre Gefängnis. (1). Warum hatte dieser Mann jetzt das Bundesverdienstkreuz erhalten, ausgerechnet kurz nach dem Beginn des Frankfurter Prozesses gegen Mitschuldige an den Verbrechen von Auschwitz und ausgerechnet wahrend der Woche der Brüderlichkeit?  Hatte Bundespräsident Heinrich Lübke nicht eben selbst noch in einer Rede zur Woche der Brüderlichkeit auf die „schrecklichen und verabscheuungswürdigen Vorkommnisse“ in Auschwitz hingewiesen? Wie konnte er zur selben Zeit einem Mitverantwortlichen für diese „Vorkommnisse“ einen der höchsten Orden der Bundesrepublik Deutschland zuerkennen? Seit dem Nürnberger Urteil und dem Frankfurter Prozess des Auschwitzhäftlings Norbert Wollheim gegen die IG Farben Anfang der fünfziger Jahre war doch die Kumpanei zwischen dem IG Farben Konzern und den Machthabern des Dritten Reiches kein Geheimnis mehr. Auch über Bütefischs Vergangenheit hatte sich jeder ein Bild machen können. Schon sehr früh, noch vor der Machtübernahme Hitlers, hatte der IG-Farben-Chemiker Dr. Bütefisch fur sein Unternehmen Kontakte zu den Nazis geknüpft und Gespräche mit Hitler geführt. Später gehörte er dem exklusiven „Freundeskreis des Reichsführers SS“, Heinrich Himmler, an. Den Rang eines Obersturmbannführers der SS erhielt er wahrscheinlich als Dank für eine groszügige Geldspende an Himmler. (2).

 

Als die IG Farben sich nach der Eroberung Polens entschlossen, in der Nahe von Auschwitz ein Zweigwerk zur Herstellung von kriegswichtigem Kautschuk und synthetischem Benzin zu errichten, verhandelte Bütefisch neben Walter Dürrfeld fur die Konzernleitung mit dem SS-Obergruppenführer Karl Wolff im Frühjahr 1941 in Berlin über den Einsatz von Konzentrationslagerhäftlingen. Dabei kamen  die Herren auch gleich überein, dass die SS für einen – wie es hieß – gelernten Häftling vier Reichsmark pro Tag und für einen ungelernten drei Mark  bekommen sollte. Wie der Vorstandskollege von Heinrich Bütefisch, Dr. Otto Ambros, in Nürnberg zu Protokoll gab, überwies das Unternehmen in zweieinhalb Jahren insgesamt mehr als 20 Millionen Mark an die SS. 

 

Die Häftlinge bekamen keinen Pfennig. Bereits wahrend der Aufbauphase des IG-Farben-Werkes in Auschwitz rühmte Ambros die „neue Freundschaft mit der SS“ als „sehr segensreich“.(3) Heinrich Bütefisch, verantwortlich für den Leunateil, in welchem Benzin aus Kohle hergestellt werden sollte, besichtigte zweimal jährlich das Werksgelände der IG Auschwitz. Er gewann dabei – wie er später formulierte – einen „sehr guten Eindruck“. Häftlinge hatten ihm berichtet, dass sie „außerordentlich zufrieden und glücklich“ seien.(4) Ein Überlebender aus den Reihen der Häftlinge, Kai Feinberg mit Namen, erklärte hingegen als Zeuge vor Gericht in Nürnberg: „Die Bedingungen waren unerträglich. Am ersten Arbeitstag mussten wir ohne Essen bis drei Uhr morgens durcharbeiten.“  Der ehemalige Häftling Dr. Gustav Herzog, lange Zeit Leiter der Schreibstube im Lager Auschwitz-Monowitz, berichtete: „Die Kartei der Toten war ungleich größer als die der Lebenden. Ich schatze, dass dem Lebensstand mit cirka 10.000 Häftlingen am Schluss ein Totenstand von cirka 120.000 Häftlingen gegenüberstand.“ (5)

Fortsetzung folgt

Foto:
I.G.-Farben-Prozess vor 70 Jahren - Für immer mit der Ausbeutung von KZ-Häftlingen verbunden
©Deutsschlandfunkkultur

Info;
Anmerkungen

  1. dpa-Hintergrund 13. 7. 1968, 
  2. Raimund Schnabel Macht ohne Moral, 1957, S.23
  3. Ebd. S.277; Gerhard Schoenberner, Der gelbe Stern, S.133 f.
  4. Der Spiegel,8. 4. 1964
  5. Der gelbe Stern, S.139