Das Vermächtnis von Roman Herzog nicht verfälschen – Zum 27. Januar
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Heute erlebe ich zum wiederholten Male, dass der Sinn des heutigen Gedenktages verfälscht wird, nicht in böser Absicht, sondern aus Schludrigkeit. Als Bundespräsident Roman Herzog 1996 den 27. Januar zum Gedenktag erklärte, nahm er zwar die Befreiung von Auschwitz durch die rote Armee zum äußeren Anlass, aber er spannte den Bogen viel weiter.
In seiner Rede im Bundestag sagte er: „Opfer des Holocaust wäre ein zu enger Begriff gewesen, weil die nationalsozialistische Rassenpolitik mehr Menschen betroffen hat als die Juden. Opfer der nationalsozialistischen Rassenpolitik, Opfer des Rassenwahns oder ähnliche Ausdrücke wären andererseits nicht stark genug gewesen, das Entsetzen dieses Teils unserer Geschichte annähernd wiederzugeben. So habe ich es bei der in unseren Sprachgebrauch eingegangenen Formulierung Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus belassen.
Ich verbinde damit die Hoffnung, wir möchten gemeinsam Formen des Erinnerns finden, die zuverlässig in die Zukunft wirken.
Gedenkstunden nehmen nur allzu leicht den Charakter von Alibi-Veranstaltungen an, und darum kann es nicht gehen. Ich hoffe hier auf die Hilfe der Medien und vor allem der Lehrer.“
Lebte Roman Herzog noch, wäre er sicher sehr enttäuscht von der Gedankenlosigkeit, mit der über sein Anliegen hinweggeplappert wird. Roman Herzog hat den 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Konkret heißt das, dass auch der Opfer gedacht werden soll, deren Gesinnung nicht mit der antikommunistischen Staatsdoktrin übereinstimmte.
Wann endlich bekommen Lilo Herrmann und Kurt Hübener, die wegen ihres politischen Widerstandes gegen das Naziregime unter dem Fallbeil endeten, den ihnen gebührenden Platz in der deutschen Erinnerungskultur? Warum wurde die Büste von Sophie Scholl, deren Name zum Inbegriff des deutschen Widerstandes gegen das Naziregime geworden ist, in die Einsamkeit vor der Walhalla in den bayerischen Main-Auen verbannt, statt ihr einen Platz in einer Ruhmeshalle im Herzen Berlins zu verschaffen? Wann endlich wird das politische Berlin sich dazu aufraffen, einen Beauftragten der Bundesregierung für den deutschen Widerstand gegen das Naziregime zu berufen?
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