kurtDer lange Schatten einer Ordensaffäre – Ein Rückblick aus aktuellem Anlass

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Der Chefredakteur der ältesten jüdischen Zeitung der Schweiz, Kurt Roschewski, kommentierte meine Schilderung der Ordensaffäre Bütefisch in der Ausgabe vom 27. März 1964: 
„Da der Redaktion des ‚Israelitischen Wochenblattes’ zum Zeitpunkt des Eintreffens der Mitteilung aus Frankfurt die Ordensverleihung an Dr. Bütefisch aus anderen Quellen noch unbekannt war, sah sie sich veranlasst, mit deutschen Stellen in Verbindung zu treten, um eine Bestätigung dieser Nachricht zu erhalten.

Diese Bestätigung haben wir erhalten.

Die Ordenskanzlei zeiget sich zudem außerordentlich bestürzt über diese Panne. Es werden nunmehr Erhebungen darüber angestellt, weshalb in den routinemäßig eingeholten Berichten über den zu Ehrenden dessen Verknüpfung mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht enthalten war.

Eine der Auskunftstellen für die Ordenskanzlei ist das Bundes amt für Verfassungsschutz. Es bietet Anlass zu höchster Besorgnis, dass diesem Amt die Vergangenheit eines durch das Gericht verurteilten Naziverbrechers nicht bekannt sein soll! Bevor es erwiesen ist, wollen wir nicht annehmen, dass dies auf die Kollusion der in diesem Amt noch immer tätigen Gestapo- und SS-Angehörigen zurückzuführen ist. Der Vorfall ist aber immerhin ein deutliches Indiz für die wiederholt kritisierte Einäugigkeit des Amtes für Verfassungsschutz in der Ausübung seines Mandates: Dieses Amt sieht die Bedrohung der deutschen demokratischen Verfassung anscheinend nur von links her und glaubt, die Gefahren von rechts her vernachlässigen zu können. Unbestreitbar ist das völlige technische Versagen in diesem Fall.

Unsere Intervention bei den deutschen Stellen hat dazu geführt, dass diese sofort, und es sei dies mit aller Klarheit anerkannt, eine Untersuchung des Vorfalles angeordnet haben. In dieser Ordensverleihung müssen alle Inhaber des Bundesverdienstkreuzes eine Beleidigung sehen. Und sie stellt, sollte sie nicht sofort rückgängig gemacht werden, eine völlige Entwertung dieser hohen Auszeichnung dar. Die Untersuchung über die Entstehungsgeschichte dieses peinlichen Vorfalles muss dazu führen, dass die personelle, ideologische und psychologische Basis für eine Wiederholung restlos ausgemerzt wird.“

In der nächsten Ausgabe des „Israelitischen Wochenblattes“, sie erschien am 3. April 1964, würdigte Roschewski die – wie er formulierte – mutige Entschiedenheit, mit der Bundespräsident Lübke bei der Rücknahme des Verdienstordens gehandelt habe. „Wir stehen nicht an, die Promptheit, mit welcher eingegriffen wurde, in aller Form anzuerkennen. Es ist ein erfreuliches Zeichen, dass in diesem Fall die positiv-demokratischen Tendenzen innerhalb der Bundesrepublik sich mit Klarheit haben durchsetzen können. Indem wir dies anerkennen, verringern wir in keiner Weise die Besorgnis, die uns angesichts der Tatsache erfüllt, dass dieser Ordensvorschlag und dass diese interimistische Ordensverleihung überhaupt erfolgen konnten.“ Es sei bezeichnend, dass die Freunde Bütefischs nicht die geringsten Bedenken gehabt hätten, diese Ordensverleihung anzuregen. Das sei schwerwiegend, weil es ein Licht auf die Geistesverfassung führender deutscher Industriekreise werfe und es sei besonders schwerwiegend, wenn man wisse, welchen Einfluss diese Kreise immer noch auf die deutsche Politik zu nehmen in der Lage seien.

„Auf einen weiteren schwerwiegenden Punkt in dieser Affäre haben wir in unserem letztwöchigen Kommentar bereits hingewiesen: das geradezu beängstigende Versagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dem solche Verleihungsvorschläge jeweils zur Begutachtung vorgelegt werden. Mit dem Widerruf dieser Ordensverleihung an einen Nazi-Verbrecher darf es nicht sein Bewenden haben. Die deutschen Behörden, die am Wiederaufbau des deutschen Ansehens in der Welt arbeiten, die neue Generation in Deutschland, die ein Anrecht auf die Befreiung von den grauenhaften Hypotheken der Vergangenheit hat, Europa und die Welt, die an der Festigung des demokratischen Geistes in Deutschland ein vitales Interesse haben - sie alle haben einen Anspruch darauf, dass die Grundlagen für die Wiederholung vom ähnlichen Vorfällen, wie die Affäre Bütefisch eine darstellt, nicht nur erschüttert, sondern auch völlig zerstört werden. Dazu gehört die restlose Distanzierung vom Geist und von den Männern, die für die grauenhaften Verbrechen der Vergangenheit verantwortlich sind – von den Verbrechern in Uniform, den Verbrechern in den Ministerialkanzleien und den Verbrechern an den Direktionsschreibtischen der deutschen Industrie.“

Sechzig Jahre ist es her, seit Kurt Roschewski in der ältesten jüdischen Zeitung der Schweiz den Deutschen auf diese bewegende Art und Weise ins Gewissen redete. Es war derselbe Kurt Roschewski, der im März 1964 bei der Ordenskanzlei in Bonn angerufen hatte, um sich zu vergewissern, dass tatsächlich ein ehemaliger Ausbeuter von Auschwitzhäftlingen mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden ist. Welchen Grund hatten die Mitarbeiter der Ordenskanzlei, gegenüber dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL zu behaupten, ein Unbekannter habe auf die NS-Vergangenheit Heinrich Bütefischs hingewiesen? Sechzig Jahre nach den Geschehnissen von damals hat es der deutsche Historiker Norbert Frei anscheinend nicht der Mühe für wert gefunden, hinter die Kulissen zu leuchten und nach möglicherweise verwischten Spuren zu suchen. Somit steht weiter die Vermutung im Raum, dass der jüdische Anteil an der Aufdeckung des größten Ordensskandals der Nachkriegsgeschichte aus politischen Gründen und ganz bewusst verschwiegen worden ist und bis heute weiter verschwiegen wird.

Was den Appell der ältesten jüdischen Zeitung der Schweiz betrifft, die Deutschen sollten niemals die Lehren der Vergangenheit vergessen, so scheint ein großer Teil der nachgewachsenen Generationen entschlossen, sich den Gefahren von rechts entschieden zu widersetzen. Es ist Gefahr im Verzug. Die Neonazis in der AfD und die in der Werteunion versammelten Konservativen vom rechten Flügel der CDU werden demnächst in mehreren Landesparlamenten über eine Mehrheit verfügen. Der brandenburgische AfD-Abgeordnete Lars Hürich hat bereits gefordert, sobald die AfD regiere, werde sie „diesen Parteienstaat abschaffen“. Den Umfragen nach liegt die AfD in Brandenburg derzeit bei rund 30 Prozent. Damit wäre sie mit Abstand stärkste Kraft im nächsten Landtag.

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