swr.denochDAS JÜDISCHE LOGBUCH Anfang März 

Yves Kugelmann
 
Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Was ist wahr? Und wie viele Wahrheiten gibt es? Frankfurts Paulskirche steht für die erste Demokratiebewegung in Deutschlands. Sie war der Ort der Debatte wider die Antidemokraten. Die Nationalversammlung hat hier 1849 die erste demokratische Verfassung Deutschlands verabschiedet. Gereicht hat es nicht – Totalitarismus, Autokratie, Despotismus überrollten die Nation. Was ist wahr? Und wie viele Wahrheiten gibt es?

Die heftigen Debatten um Juden und Israel statuieren seit Monaten das Exempel am realen Objekt. Sie werden zugespitzter, eskalierender radikaler. Irgendwann werden die Stigmata über Juden, Israeli, Muslimen und Palästinensern aufgearbeitet werden müssen, die in diesen Tagen getriggert von digitalen Plattformen zwischen Menschen geworfen werden, den realen Konflikt noch zusätzlich belasten und vielleicht sogar erschweren.

Symptomatisch dafür steht der Eklat an der Berlinale, jener im Hamburger Bahnhof , nun jener um die Biennale von Venedig  oder die Eurovision. Jüdinnen und Juden, Israeli, werden zunehmend in Positionen gedrängt, die ihnen auferlegt werden. Argumente werden Parolen, Wortäusserungen geradezu zu Waffen mit Implikationen auf die Wirklichkeit. Jüdische und israelische Menschen werden zu oft mit einer radikalen israelischen Regierung und einer Offensive in Gaza identifiziert, die auch unter Jüdinnen und Juden zunehmend umstritten bleibt – gerade noch angesichts der Tatsache, dass sie bisher nicht alle Geiseln zurückgebracht hat. Was ist wahr? Und wie viele Wahrheiten gibt es? Die Debatten gerade auf den digitalen Plattformen sind zu Kampf- statt Dialogzonen verkommen. Sie dekonstruieren Wirklichkeiten statt Argumente – denn es haben halt nicht einfach immer alle Seiten nur Unrecht. Dass es auch anders geht, zeigte Jon Stewart diese Woche in seiner «The Daily Show» mit einer eindringlichen Dekonstruktion der Propaganda, Scheinheiligkeiten und seltsamen Standards. Was mit einem ironischen Disclaimer beginnt, analysiert die absurde Debatte der Gegenwart vielleicht besser als viele ernsthafte Analysen.

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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 29. Februar 2024
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.