Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Man die ganze Geschichte kaum glauben, so abenteuerlich ist die Geschichte der ersten Verfassung des Deutschen Reiches, denn die über 400 Abgeordneten, die aus allen deutschen Landen, darunter etliche Königreiche, in der Frankfurter Paulskirche zusammengekommen waren und über ein Jahr konferierten, haben nur über einen Deal diese Verfassung zur Abstimmung gebracht.
Dazu gleich mehr. Aber erst muß der „eine Tag in Frankfurt“ geklärt werden. Am 28. März 1849 ist diese Verfassung - das Original mit den Unterschriften sehen Sie oben im Bild - von 405 Abgeordneten unterschrieben worden. Was danach geschah und welches geheime und gefährliche Leben dieses Originalexemplar erlebte, folgt. Jetzt geht es darum, daß das Original, das ansonsten in Berlin im Deutschen Historischen Museum unter den für Schriften nötigen lichtarmen Verhältnissen ruht, für einen einzigen Tag in die Frankfurter Paulskirche kam. Das ist schon ein Schauer, ja eine Ehrfurcht, die einen erfaßt, wenn man auf das schon sehr angegriffene Exemplar schaut und sich 175 Jahre zurückdenkt, wo in den deutschen Landen, eher restaurativ regiert, dennoch durch den Druck so vieler Menschen, die ihre Rechte als Untertanen, ihre Freiheitsrechte einforderten, in einem Akt von Zivilcourage und Aufbegehren, aber auf züchtige deutsche Art, Abgeordnete gewählt wurden, die zur Erstellung einer Verfassung nach Frankfurt geschickt wurden. Frankfurt aus einsichtigen Gründen. Es gab hier keinen Landesherrn, sondern eine durch Patrizier geführte Stadt, die zudem im Römischen Reich deutscher Nation infolge der Kaiserwahlen und Kaiserkrönungen unmittelbar dem Kaiser unterstellt war.
Die Wanderausstellung, die den 175 Jahre langen Weg der Paulskirchenverfassung verfolgt und in Bildern und Texten die wichtigsten – und sensationellen - Begebenheiten des Originals zeigt, bleibt länger in der Wandelhalle der Paulskirche, aber das Original nur einen Tag; es wird dann von einem Faksimile ersetzt. Meist können wir bei guten Lichtdrucken den Unterschied mit unseren Augen gar nicht wahrnehmen. Aber wir dürfen den Experten glauben, daß am Montag, 18. März, das Original der Verfassung vor uns liegt, das vor 175 Jahren am selben Ort durch die 405 Unterschriften gültig geworden war.
Sie blieb nicht lange gültig, aber wurde immer wieder als Vorbild herangezogen und fand in der Weimarer Verfassung genauso Niederschlag wie in den Verfassungen von BRD und DDR. In Westdeutschland nannte man sie Grundgesetz, was heute für Deutschland gültig ist und die Grundrechte der Einzelnen, waren auch das völlig Neue und Herausragende an der Paulskirchenverfassung. Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestages, hat in der Broschüre, die die Ausstellung dokumentiert und die in der Paulskirche mitgenommen werden kann, darauf verwiesen, daß bei seinem umjubelten Deutschlandbesuch der amerikanische Präsident John F. Kennedy in der Paulskirche vor Abgeordneten des Deutschen Bundestages diese Verfassung „als Wiege der deutschen Demokratie“ bezeichnet hat. Was ja stimmt, aber in der Nachkriegszeit in Westdeutschland überhaupt keine Rolle gespielt hat.
Man hat den Eindruck, daß heute diese Verfassung für viel wichtiger erachtet wird, als vor Jahrzehnten. Ob das mit der Angst vor dem Verlust von Freiheitsrechten durch rechte Militanz erklärt werden kann, oder durch stärkeres Geschichtsbewußtsein oder durch ein Drittes, kann nicht entschieden werden. Aber auffällig ist der heutige Bezug auf die Verfassung vor 175 Jahren schon, was eine logische Erklärung hat. Damals wurden Rechte festgeschrieben, die für die damalige Zeit revolutionär waren und die heute vielen gefährdet erscheinen:
Ein Grundrechtekatalog formuliert und legt fest:
Freiheit der Person
Freiheit der Meinungsäußerung
Glaubens- und Gewissensfreiheit
Versammlungs- und Koalitionsfreiheit
Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetzes
Freizügigkeit innerhalb der Reichsgebiete
Berufsfreiheit
Unverletzlichkeit des Eigentums
Standesvorrechte wurden abgeschafft und die Todesstrafe sollte weitgehend nicht ausgeübt werden
Über die Rechte der einzelnen hinaus wurde die Gewaltenteilung festgelegt und das Haushaltsrecht des Parlaments. Daß diese 405 Abgeordneten auch unterschrieben hatten, dem preußischen Kaiser das Erbkaisertum angetragen wurde, was dieser gottseidank ausschlug und dann infolge des deutsch-französischen Krieges 1870/71 doch erhielt, ist eine andere Geschichte, aber wichtig. Denn im Zusammenhang mit der Unterschrift unter die Verfassung hatten die Abgeordneten völlig unterschiedlicher politischer Couleur für sich zu entscheiden, was wichtiger ist: eine solche Verfassung der Freiheitsrechte mit der Kröte des preußischen Erbkaisertums oder eben keine Verfassung, weil ohne das berühmte Bauchweh so vieler Abgeordneten es diese Verfassung nicht gegeben hätte. Das ist ein wichtiger Hinweis im heutigen politischen Geschehen, was nämlich das eigentlich Wichtige ist, für das man Koalitionen eingehen muß, um anderes zu verhindern.
Und noch etwas, was für heutige gesellschaftliche Diskussionen wichtig ist. Natürlich war das eine Männerverfassung. Es waren Männer, die ihre Grundrechte hier festlegten. Galten die auch für Frauen? Ja und nein. Das Wahlrecht beispielsweise nicht. Daß dennoch Frauen in den Diskussionen mitmischten, ist eine andere Sache. Aber ist die Verfassung, weil sie von Männern für Männer geschrieben wurde, deshalb für uns heute négligeable? Natürlich nicht!! Aber die Frage und die Antwort zeigt, wie lächerlich es ist, mit unserem heutigen Wissens- und Wertestand Aussagen und Werke aus früherer Zeit abzuqualifizieren, weil sie beispielsweise nicht gegendert sind und Cancel Culture angewandt wird. Lächerlich.
Fotos:
Redaktion
Info:
„Die Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849, Wanderausstellung in der Frankfurter Paulskirche