b 145 bild f002450 0003 215x161Zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes am 23. Mai , Teil 2/3 

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Zur selben Zeit, da ehemals führende Nazis bis hin zum Ankläger im Prozess gegen die Männer des 20. Juli, Oberreichsanwalt Lautz, mühelos ihre Pensionsansprüche durchsetzten, wurden hunderten Opfern der NS-Herrschaft die Ansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz aberkannt. 1959 beantragte die Bundesregierung sogar das Verbot der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die sie für eine kommunistische Tarnorganisation hielt. Das Bundesverwaltungsgericht widersetzte sich allerdings dem Ansinnen der Regierung mit dem Hinweis, es müsse geprüft werden, ob ein Verbot mit der verfassungsmäßigen Ordnung zu vereinbaren sei.
Der dieser Ordnung zugrunde liegende Sühnegedanke, dessen Verwirklichung zu den vornehmsten Aufgaben der Bundesrepublik gehöre, verlange eine Abwägung, ob gegen eine Organisation von Verfolgten ein Verbot mit der damit verbundenen Strafsanktion erlassen werden dürfe. Das Gericht setzte das Verfahren auf unbestimmte Zeit aus und lehnte die Festsetzung eines neuen Verhandlungstermins trotz des Drängens der Bundesregierung ab. Das Verfahren endete nach fünf Jahren ohne formellen Beschluss mit dem Inkrafttreten eines neuen Vereinsgesetzes.

Acht Jahre nach diesem denkwürdigen Vorgang entschied der Bundesgerichtshof: „Ein gegen eine bestehende Unrechtsherrschaft geleisteter Widerstand kann nur dann als rechtmäßig und demgemäß eine diesen Widerstand ahndende staatliche Maßnahme nur dann als Unrecht im Rechtssinne angesehen werden, wenn die Widerstandshandlung nach ihren Beweggründen, Zielsetzungen und Erfolgsaussichten als ein ernsthafter und sinnvoller Versuch gewertet werden kann, den bestehenden Unrechtszustand zu beseitigen und in Bezug auf dessen Übel eine allgemeine Wende zum Besseren herbeizuführen.“ (BGH-Urteil vom 14. Juli 1961 — IV ZR 71/61). Mit dieser Entscheidung wies der Bundesgerichtshof die Entschädigungsansprüche eines Mannes zurück, der sich 1939 lieber hatte einsperren lassen, als einer Einberufung zur Wehrmacht zu folgen.

Ein Kriegsgericht bezeichnete ihn im Herbst 1939 als „roten Lumpen“ und verurteilte ihn wegen Kriegsdienstverweigerung (Zersetzung der Wehrkraft) zu dreieinhalb Jahren Festungshaft. Der Bundesgerichtshof erklärte, die Handlungsweise des Mannes sei nicht geeignet gewesen, der NS-Gewaltherrschaft in nennenswertem Ausmaß Abbruch zu tun. Auch dass er die Gewaltherrschaft durch einen aus Überzeugung geleisteten Widerstand bekämpft habe, rechtfertige keinen Entschädigungsanspruch. Zwar könne es nicht vom tatsächlichen, unmittelbaren Erfolg oder Misserfolg einer Widerstandshandlung abhängen, ob ihr der Charakter der Rechtmäßigkeit zukomme, aber sie müsse in jedem Fall als ein ernsthafter Versuch zur Beseitigung des Unrechtszustandes gewertet werden können. Von dieser Art sei der Widerstand der Männer des 20. Juli 1944 gewesen. Im vorliegenden Fall habe es sich um eine Einzelaktion gehandelt, die an den bestehenden Verhältnissen nichts zu ändern vermocht habe. „Nach allem kann der Kläger nicht als Verfolgter angesehen werden.“ Nach dieser Logik hätten zum Beispiel auch die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ kein Anrecht auf Entschädigung; ihre Flugblätter haben an den bestehenden Verhältnissen gleichfalls nichts geändert.

Auf einer Gedenkveranstaltung zum 20. Todestag der Geschwister Scholl in Rom übte der Direktor des Historischen Instituts in der Toscana, Professor Francovich, Kritik an der Diskriminierung kommunistischer Widerstandskämpfer in der Bundesrepublik. Es sei bedauerlich, dass man in Westdeutschland die Widerstandsbewegung gegen Hitler nicht als einheitliches Ganzes betrachte, sondern die kommunistischen Opfer zu diskriminieren versuche. Für den von den Nazis aus rassischen Gründen verfolgten Publizisten Ralph Giordano war es ein Zeichen für die Unwahrhaftigkeit, mit der das Thema Widerstand in der Bundesrepublik behandelt werde, dass ein „gewisser Widerstand“ nie gesellschaftsfähig geworden sei und von der konservativen Rechten bis hin zur Sozialdemokratie schlicht unterschlagen werde, nämlich der Widerstand links von der SPD.

„Die Aussparung wird begründet mit dem Argument, die Kommunisten wollten selbst eine Diktatur errichten. Ja, gewiss - und die haben sie dann auch dank der Tatsache, dass der Überfall auf die Sowjetunion diese ins Herz Europas hineinprovoziert hat, in einem Teil Deutschlands etabliert. Und deshalb dürfen historische Tatsachen, wie der Widerstand deutscher Kommunisten, minimalisiert oder gar völlig geleugnet werden? Wie ungefestigt, wie schwach muss eine Gesellschaft sein, die sich solchem Opportunismus verschreibt? Aber dahinter lauert noch etwas anderes, nämlich die verbreitete These, dass Hitler ‘in diesem Punkt’, in seinem Antikommunismus, ‘jedenfalls recht gehabt hat’. Wir sehen, mit wem wir es zu tun haben: mit dem nichtdemokratisch, nichthumanitär motivierten, mit dem aus der Nazizeit überkommenen Antikommunismus, der in der Bundesrepublik immer noch, und das bis in die höchsten Ränge, exemplarisch ist und der sich im Streit mit seinen stalinistischen und nachstalinistischen Kontrahenten nur noch einmal ausweist als das Kampfgetue zwischen Brüdern im Ungeist totalitärer Rivalitäten.“ (R. Giordano, „Die zweite Schuld oder Von der Last, Deutscher zu sein“, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur, München 1990, S. 70 f.). 
Schluß folgt

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Deutscher Bundestag, 1955
Quelle: BArch, B 145 Bild-F002450-0003
©Unterberg, Rolf


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