kindÜber einen, der sich sein Leben lang fremd unter seinesgleichen gefühlt hat

Kurt Nelhiebel

Frankfurt (Weltexpresso) – WELTEXPRESSO hatte seinen Autor und Kollegen zum 90sten Geburtstag und zum 95sten und dazwischen ebenfalls edaktionell gewürdigt. Und da gab und gibt es einfach sehr viel zu berichten! Doch diesmal wollten wir uns und die Leser überraschen und baten das Geburtstagskind, zum eigenen 97sten Geburtstag doch selber etwas zu schreiben. Über sich selber also und über sein Leben. Das kam an und nachdem wir den Text gelesen haben, gratulieren wir nicht nur ihm, sondern auch uns zu dieser guten Idee! Alles Gute zum Geburtstag also, lieber Kurt, wünscht von Herzen die ganze  Redaktion!!

soldatKurt Nelhiebel kam am 29. Juni 1927 in der wenige Jahre davor gegründeten Tschechoslowakischen Republik, also mitten in Europa, als Sohn deutscher Eltern auf die Welt.

jungVon den tschechischen Nachbarkindern lernte er deren Sprache, die er nach kurzer Zeit wie seine Muttersprache beherrschte. Unbewusst erkannte er: So viel Sprachen du sprichst, so oft bist du Mensch. Dass er sich bis heute fremd unter seinesgleichen fühlt, hat andere Gründe. Nach dem Zweiten Weltkrieg landete Kurt Nelhiebel mit einem Sammeltransport sudetendeutscher Sozialdemokraten in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands. Hier traf er auf die alten Widersacher, die Hitler den Weg zur Eroberung seiner Heimat geebnet und schließlich ihren Verlust heraufbeschworen hatten.

Als Journalist setzte er sich unermüdlich mit den revanchistischen Wortführern der Vertriebenenverbände auseinander und bewirkte den ersten Rücktritt eines Bundesministers wegen dessen Kumpanei mit Hitler. In der Frankfurter antifaschistischen Wochenzeitung „Die Tat“ veröffentlichte er 1959 einen Artikel über die Nazivergangenheit des Bundesvertriebenenministers Theodor Oberländer (CDU) und löste Kurt Schreibtisch 1damit eine politische Lawine aus, die den Minister zum Rücktritt zwang. 1964 erinnerte er in der ältesten jüdischen Zeitung der Schweiz, dem Israelitischen Wochenblatt, daran, dass der soeben mit dem Großen Bundesverdienstkreuz geehrte stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Ruhrchemie AG, Heinrich Bütefisch, 1948 wegen Beteiligung an Verbrechen in Auschwitz zu sechs Jahren Gefängnis verurteilte worden ist. Bütefisch musste den Orden noch am selben Tasg zurückgeben.


Kurt heute2019 kritisierte Kurt Nelhiebel in der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ die geschichtsrevisionistische Ausrichtung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung durch den Gründungsdirektor Manfred Kittel. Vier Jahre danach wurde Kittel mit sofortiger Wirkung von seinem Posten entbunden. 2014 prangerte er in der Berliner Zeitung „Tagesspiegel“ den Umgang des Fritz-Bauer-Instituts mit seinem Namensgeber an; vier Monate später nahm der verantwortliche Direktor Raphael Gross seinen Hut, ohne dass ihm der damalige hessische Wissenschaftsminister und heutige Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) das übliche Wort des Dankes mit auf den Weg gab.

erst recht heute2014 erhielt Kurt Nelhiebel den Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon in Bremen. 2018 wurde ihm in Würdigung seiner Verdienste um die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte Deutschlands sowie um Versöhnung und Völkerverständigung das Bundesverdienstkreuz verliehen.



Fotos:
©K.N.