Bildschirmfoto 2024 07 02 um 06.57.28Unmittelbar nach dem Sieg im im ersten Wahlgang zeigt sich eine Front gegen den Sieg von Le Pen. Raphaël Glucksmann ruft zu Konsequenzen auf und Frankreichs Juden sind verunsichert

Redaktion tachles

Paris (Weltexpresso) - In Frankreich kämpfen Rechtsnationale und bürgerliche Parteien nach der ersten Runde der Parlamentswahl um die Macht im Land. Marine Le Pens Rassemblement National (RN) hofft nach seinem herausragenden Abschneiden in der ersten Runde, die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung zu holen und so an die Regierung zu kommen. Präsident Emmanuel Macron und das linke Lager wollen versuchen, dies mit einer gemeinsamen Front bei den Stichwahlen am 7. Juli zu verhindern.

Für die Juden Frankreichs war die Wahl eine zwischen Pest und Cholera – zwischen einer antisemitischen Rechen und einer antiisraelischen Linken.
Wie erwartet landete das RN mit seinen Verbündeten in der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich mit 33 bis 34,2 Prozent vorne. Damit könnten die Rechtspopulisten Prognosen zufolge im Unterhaus mit 230 bis 280 Sitzen stärkste Kraft werden. An der absoluten Mehrheit mit 289 Sitzen schrammen sie aber womöglich knapp vorbei.
Das Mittelager von Präsident Emmanuel Macron landete demnach mit 20,7 bis 22 Prozent auf Platz drei hinter dem Linksbündnis Nouveau Front Populaire mit 28,1 bis 29,1 Prozent. Die Linken könnten auf 125 bis 200 Sitze kommen. Macrons Liberalen droht, auf nur noch 60 bis 100 Sitze abzusacken.

Wie viele Sitze die Blöcke in der Nationalversammlung bekommen, wird erst in Stichwahlen am kommenden Sonntag entschieden. Sowohl aus dem Linksbündnis als auch von Macrons Partei hiess es, man werde in den Wahlkreisen, in denen man auf dem dritten Platz gelandet sei, zugunsten der Kandidatinnen und Kandidaten zurücktreten, die in der Lage sind, das Rassemblement National zu schlagen.
Premier Gabriel Attal, der um seinen Posten bangen muss, mahnte: «Noch nie in unserer Demokratie war die Nationalversammlung wie heute Abend dem Risiko ausgesetzt, von der extremen Rechten dominiert zu werden.» Es sei eine moralische Pflicht, alles zu tun, um das Schlimmste zu verhindern.

Le Pen rief hingegen dazu auf, ihrer Partei bei den kommenden Stichwahlen zu einer absoluten Mehrheit zu verhelfen. «Nichts ist gewonnen, die zweite Runde ist entscheidend.» RN-Parteichef Jordan Bardella kündigte an, mit einer absoluten Mehrheit im Parlament als Ministerpräsident die Regierung übernehmen zu wollen.
Sollte das RN tatsächlich die absolute Mehrheit holen, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier aus den Reihen der Rechtsnationalen zu ernennen. Denn das Unterhaus kann die Regierung stürzen. Während die Anhänger des RN auf den Machtwechsel hoffen, fürchtet ein Grossteil der Franzosen sich vor einer Machtübernahme der Rechtsnationalen. Am Sonntagabend demonstrierten Tausende Menschen in Paris und etlichen anderen Städten gegen die extreme Rechte.

Deutschland und Europa müssten sich in dem Fall darauf einstellen, dass das gespaltene Land keinen klaren Kurs mehr verfolgt und unzuverlässiger wird. Als Präsident hat zwar Macron in der Aussenpolitik Vorrang. Sollte aber der 28-jährige Bardella Premier werden, dürfte er seine Linie schwerlich ungehindert fortsetzen können. Statt neuen Initiativen stünde in Frankreich Verwaltung an der Tagesordnung.
Im Gegensatz zu Macron gibt das RN wenig auf die enge Zusammenarbeit mit Deutschland. Auch möchte die Partei den Einfluss der Europäischen Union in Frankreich eindämmen.
Sollten sich die aktuellen Prognosen hingegen bewahrheiten und keines der Lager eine absolute Mehrheit erlangen, stünde Frankreich vor zähen Koalitionsverhandlungen. Derzeit ist nicht absehbar, wie die grundverschiedenen politischen Akteure für eine Regierung zusammenkommen können.

Wird keine Lösung gefunden, könnte die aktuelle Regierung als eine Art Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich würde in einem solchen Szenario politischer Stillstand drohen. Neue Vorhaben könnte eine Regierung ohne Mehrheit nicht auf den Weg bringen.

Der führende französische Sozialdemokrat Raphaël Glucksmann hat für den zweiten Durchgang der Parlamentswahl in Frankreich zu einem entschiedenen Kampf gegen die Rechtsnationalen aufgerufen. «Wir haben sieben Tage, um eine Katastrophe für Frankreich zu verhindern», sagte Glucksmann am Sonntagabend. «Das ist keine Parlamentswahl mehr, das ist ein Referendum. Wollen wir (...), dass die Rechtsextreme erstmals in unserer Geschichte über die Wahlurnen an die Macht gelangt?»

Glucksmann, der Spitzenkandidat der französischen Sozialisten bei der Europawahl war, sagte, es gehe nicht mehr um politischen Zugehörigkeiten. Überall dort, wo Kandidatinnen und Kandidaten des gemeinsamen Linksbündnisses auf Platz drei gelandet seien, werde man die Kandidatur zurückziehen und dazu aufrufen, für die Person in dem Wahlkreis zu stimmen, die den Kandidaten von Marine Le Pens Rassemblement National schlagen könne. Glucksmann versicherte, es gebe von linker Seite kein Zögern. «Das einzige Ziel der Woche ist es zu blockieren, um eine absolute Mehrheit des Rassemblement National zu verhindern.»

Ariel Kandel, Geschäftsführer des Vereins Quelita, der sich für die Aufnahme und Förderung der jüdischen Einwanderung (Alija) aus Frankreich einsetzt, sagte gegenüber israelischen Medien, dass er von einer erhöhten Auswanderung von Frankreichs Juden auch nach Israel ausgehe.

Foto:
Menschen protestieren auf dem Platz der Republik gegen den RN, der in der ersten Runde der Parlamentswahlen einen deutlichen Vorsprung erzielt hat
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 1. Juli 2024