Kurt Nelhiebel/Redaktion
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wenn man 97 Jahre alt ist, wie unser Autor Kurt Nelhiebel im Foto links, so kann man besonders gut nachempfinden, welche Entwicklung die Bundesrepublik Deutschland, also Westdeutschland, nach 1945 genommen hat. Die Fünfziger Jahre waren nicht nur Wirtschaftswunderjahre, sondern Jahre mit Altnazis, die weiterhin das Sagen hatten. So wurde auch der Deutsche Widerstand gegen das Dritte Reich kaum zur Kenntnis genommen. In meinem altsprachlichen Gymnasium in Frankfurt waren die Widerständler nach Ansicht unseres Mathematiklehrers Vaterlandsverräter, bis auf einmal, Jahre später, bekannt wurde, daß ein Lessingschüler sogar zum Kreis des Widerstands gegen Hitler gehört hatte und mit einer Büste im Treppenaufgang des Gymnasiums geehrt wurde! Es dauerte, bis die offizielle politische Haltung die Tat und die Täter ehrte, heute vor 80 Jahren. Dies kann man der doppelten Wiederaufnahme einer Veröffentlichung entnehmen.
Claudia Schulmerich für die Redaktion
Geschrieben zum 15. (!) Jahrestag des Attentats auf Hitler, Teil 1/2
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Vorbemerkung: Vergeblich habe ich dieser Tage in meinem Archiv nach dem Artikel gesucht, den ich vor 58 Jahren zum Attentat auf Hitler geschrieben habe. Gefunden habe ich ihn gestern schließlich in einem Stapel unsortierter Veröffentlichungen. Der Artikel erschien am 18. Juli 1959 in der Frankfurter Wochenzeitung der deutschen Widerstandsbewegung „Die Tat“. Die Redaktion hatte mir eine ganze Seite zur Verfügung gestellt. Als Peter Nau beleuchtete ich nicht nur die Ziele der Männer des 20. Juli, sondern auch die bis dahin wenig beachteten Kontakte der Attentäter zum Widerstand aus den Reihen der Arbeiterschaft. Es folgt der erste Teil des Aufsatzes:
„Die Geschichte der Bestrebungen und Ereignisse, die sich zum 20. Juli des Jahres 1944 auf die unglücklichste Weise zusammenballten und entluden, ist eine weit verzweigte.“ Dieser Satz des katholischen Schriftstellers Reinhold Schneider aus seinem 1947 erschienenen „Gedenkwort zum 20. Juli“ lässt erkennen, dass es nicht leicht ist, alle Ursachen und Zusammenhänge der Geschehnisse um den 20. Juli zu erforschen und zu bewerten. Ein Pauschalurteil kann vollends nicht gefällt werden. Reinhold Schneider sagt über die Beteiligten an der Verschwörung: „So verschieden die Männer waren, so verschieden waren wohl ihre Hoffnungen, ihre Ziele . . . Viele von ihnen hatten geholfen, den Mächtigen zu stärken, mit der fragwürdigen Gloriole seiner Siege zu schmücken.“
An den Ausgangspunkt der Betrachtungen gehört die Frage, welches äußere Bild die Lage in jenem Sommer des Jahres 1944 darbot. Etwa fünf Jahre nach Kriegsbeginn lagen die meisten deutschen Städte in Trümmern. Täglich starben Tausende im Hagel der Bomben, erstickten in Luftschutzkellern oder verbrannten im Phosphorregen. Tausende erlagen den entsetzlichen Lebensbedingungen in den Konzentrationslagern und Zuchthäusern oder erlitten einen qualvollen Tod in den Gaskammern und Folterhöhlen der SS und Gestapo. Deutschland schien zu einem einzigen Friedhof zu werden. Die Lage an den Fronten kündete vom nahen Ende des nationalsozialistischen Schreckensregimentes. Im Osten war die Heeresgruppe Mitte unter den Schlägen der vorrückenden sowjetischen Einheiten zusammengebrochen, im Westen hatten die Alliierten – spät aber doch – die zweite Front eröffnet und mit ihren Landoperationen begonnen.
Das von den Widerstandskämpfern lange vorhergesagte Ende zeichnete sich ab. Nur wer mit Blindheit geschlagen war, konnte noch auf einen Erfolg Hitlerdeutschlands hoffen. In dieser Situation hielten es auch manche Generale für angebracht, ihre seit Stalingrad bestehenden Bedenken gegen die „Kriegskunst“ Hitlers offener auszusprechen, als sie es vorher gewagt hatten. Bei den Differenzen zwischen ihnen und dem „obersten Feldherrn“ ging es jedoch weniger darum, die einzig mögliche Konsequenz aus der entstandenen Lage zu ziehen, nämlich den Krieg zu beenden, als vielmehr darum, die Leitung der militärischen Operationen zu v erbessern, um entweder die Kriegsziele zu erreichen, oder zumindest die Situation zu stabilisieren.
In seiner „Geschichte des zweiten Weltkriegs“ schreibt General von Tippelskirch zu Beginn des Kapitels über den 20.Juli: „Seit der Katastrophe von Stalingrad hat sich die ganze innere Auflehnung gegen die Grundsätze, nach denen Hitler die Operationen führte, in denjenigen Kreisen des Offizierskorps des Heeres, die einen tieferen Einblick in die Zusammenhänge besaßen, nicht mehr gelegt.“ Über den Zeitpunkt des Attentates vom 20. Juli schrieb Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, der seinerzeit in Verbindung mit Widerstandsgruppen stand, am 20. Juli 1954 in der Hamburger Zeitung „Die Welt“: „Im Anblick der ungeheuren Blutopfer an den Fronten und in den Städten in der Heimat, in den Konzentrationslagern und ihren Gasöfen war die Tat, die Tat um jeden Preis, längst überfällig.“ Gerstenmaier sprach damit aus, was viele Widerstandskämpfer angesichts der späten Aktion damals empfanden.
Zum Verständnis für die Schwierigkeiten, denen sich die unmittelbar an dem Attentat Beteiligten, wie die gesamte Widerstandsbewegung mit ihren vielen kleinen Gruppen gegenübersahen, muss darauf hingewiesen werden, dass der Terror des Naziregimes gegen Andersdenkende zu jener Zeit nahezu unvorstellbare Ausmaße angenommen hatte. Nach Angaben des damaligen Reichsjustizministers Thierack, die allerdings kaum als vollständig angesehen werden können, wurden im Jahr 1944 binnen drei Monaten nicht weniger als 176. 670 Personen aus politischen Gründen verhaftet. Dieser Terror erschwerte naturgemäß alle Widerstandshandlungen.
Mangelnde Verbindung zum Volk
Die Existenz ungezählter Widerstandsgruppen vornehmlich in Arbeiterkreisen aber auch in Kreisen des Bürgertums, der Intellektuellen und des kirchlichen Lebens sowie die seit Beginn der Terrorherrschaft nie abgerissenen Widerstandshandlungen dieser Gruppen machen deutlich, dass der entschlossene Wille ungebrochener Antifaschisten auch dem größten Druck des menschenfeindlichen Regimes zu trotzen verstand. In dieser Beziehung sind die objektiven Schwierigkeiten, denen sich die Verschwörer des 20.Juli gegenübersahen, tatsächlich nur relativ zu bewerten.
Diese Schwierigkeiten hätten zudem noch herabgemindert werden können, wenn die opponierenden Offiziere und Generale erkannt hätten, dass ein erfolgreicher Schlag gegen das Tyrannenregime nur möglich war in enger Verbindung mit den Widerstandsgruppen draußen im Land und auf diese Weise mit wichtigen Schichten des Volkes. Leider gab es bei den Männern des 20. Juli Kräfte, die eine solche Verbindung ablehnten. Sie taten es nicht aus Gründen der Sicherheit, sondern weil sie befürchteten, dass eine Einbeziehung der aus der Arbeiterbewegung stammenden Widerstandsgruppen der Aktion eine Richtung geben könnte, die ihren politischen und militärischen sowie wirtschaftlichen Vorstellungen zuwiderlief. Andererseits bestanden – man möchte sagen, natürlicherweise – bei vielen Widerstandsgruppen in Betrieben und Wohnblocks Ressentiments gegenüber der Generalität, die über viele Jahre hinweg treue Anhänger Hitlers in ihren Reihen vereinte und die militärischen Abenteuer des Diktators überhaupt erst hatten möglich werden lassen.
„ . . .selbst mit dem Teufel“
Trotz dieser Vorbehalte gab es vereinzelte Verbindungen zwischen Angehörigen des Kreises 20.Juli und kommunistischen Widerstandsgruppen. Rudolf Pechel berichtet in seinem Buch „Deutscher Widerstand“ (1947) über die Entschlossenheit kommunistischer Widerstandskämpfer, auf Grund der damaligen Lage such mit der Generalität gegen Hitler vorzugehen. Am 29. Juni 1944 führte Pechels Frau ein Gespräch mit dem Kommunisten Franz Jacob, der sich wie folgt äußerte: „Jetzt ist es soweit, dass wir selbst mit dem Teufel, sprich der Generalität, einen Pakt schließen und gemeinsam einen Staatsstreich machen.“ Dieser Pakt kam aber nicht zustande, weil auf der Gegenseite die Bereitschaft dazu fehlte.
Es war indes nicht nur die fehlende Verbindung zu breiteren Volkskreisen, die einen Plan zur Wendung der Geschicke von vornherein wenig aussichtsreich erscheinen ließ. Die an der Vorbereitung des Attentats beteiligten Offiziere und Generale, die im Dienst Hitlers bei militärischen Angriffsoperationen ein nicht geringes Maß an Fähigkeiten gezeigt hatten, legten bei der Planung des Anschlages auf Hitler und den danach vorgesehenen Aktionen einen ausgesprochenen Dilettantismus an den Tag. Sie konzentrierten alles auf einen Mann, den Obersten Graf Claus von Stauffenberg. Bei ihm liefen in Berlin alle Fäden zusammen. Er hätte während des Attentats auf Hitler in Berlin zur Verfügung stehen müssen. Stattdessen wurde er mit dem Flugzeug nach Rastenburg geschickt, um in der „Wolfsschanze“, Hitlers Hauptquartier, selbst das Attentat durchzuführen. Stauffenberg, der einen Arm und drei Finger der rechten Hand verloren hatte und zudem auf einem Auge erblindet war, hätte sich im Notfall nicht einmal mit einer Pistole verteidigen können.
Verschiedentlich wird geäußert, niemand anders als Stauffenberg hätte Zugang zu Hitlers Besprechungsraum gefunden, wo die Bombe mit dem Zeitzünder niedergelegt werden sollte. Angesichts der entscheidenden Wichtigkeit des Anschlages auf Hitler kann dieses Argument nicht überzeugen. Es ist beschämend für die Mitverschwörer, dass sie dem schwergeprüften und seiner Kampffähigkeit beraubten Stauffenberg die Doppelrolle aufbürdeten, das Attentat auszuführen und sofort nach Berlin zurückzukehren, um dort das Kommando der Verschwörung zu übernehmen.
Dass der persönlich tapfere und entschlossene Stauffenberg die Einsatzbereitschaft und den Mut besaß, diese Doppelrolle zu übernehmen, gereicht ihm zur hohen Ehre. In seinem Buch „Der 20. Juli“ (Wedding-Verlag. Berlin 1946) stellt auch Dr. Franz Reuter, der an den Plänen zur Beseitigung Hitlers beteiligt war und sich am Tage des Attentats im Hauptquartier aufhielt, die Frage, ob Stauffenbergs Einsatz zweckmäßig war. Er schreibt: „Fand sich kein besser gestellter Attentäter, konnten und mussten überhaupt die äußeren Umstände nicht so gestaltet werden, dass er Erfolg auf keinen Fall ausblieb? Die Frage stellen, heißt sie bejahen.“ (Fortsetzung folgt).
Fortsetzung folgt
Fotos:
Kurt Nelhiebel ©privat
Tag des Attentats © planet-wissen.de
Kurt Nelhiebel ©privat
Info:
Ohne den Remerprozeß von Braunschweig, den 1952 der damalige Generalstaatsanwalt von Braunschweig, Fritz Bauer, in Gang setzte und als Ankläger führte, wäre der Widerstand gegen das Naziregime zu Zeiten des Dritten Reiches in der frühen und noch immer nazidurchseuchten Bundesrepublik nicht zu einem positiven Fanal geworden. Und bis er das war, dauerte es sowieso noch länger. Aber Bauer hatte mit Bezug auf den Tyrannenmord der Antike so gut argumentiert, daß sich das Gericht seiner Auffassung anschloß und das Dritte Reich als Unrechtsstaat brandmarkte und den Widerstand vom 20. Juli 1944 als legitim erklärte. Wir verweisen an dieser Stelle gerne immer darauf, daß zwar die SS-Witwen nach 1945 ihre Witwenrenten erhielten, aber die Witwen der ermordeten Widerstandskämpfer eben nicht, denn ihre Männer waren ja bis dato dem NS-Recht gemäß Vaterlandsverräter. Das änderte das Urteil von 1952.
Außerdem gibt es den interessanten, ja geradezu liebevollen Dokumentarfilm über den kommunistischen und adligen Widerstand anhand zweier Personen: Film: Der Junker und der Kommunist", D 2009, 71 Min. R: Ilona Ziok
Weltexpresso hatte eine Veranstaltung mit der Filmaufführung am 21.Juli 2015 angekündigt und wir lesen berührt, daß Erardo C. Rautenberg damals moderiert hatte, der in der Nacht auf Dienstag verstarb, wie wir berichteten.
https://www.weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/7585-morgen-der-junker-und-der-kommunist
https://weltexpresso.de/index.php?option=com_content&view=article&id=5176:morgen-der-junker-und-der-kommunist&catid=79:kino&Itemid=471
https://weltexpresso.de/index.php/kino/4224-ein-nach-siegern-auseinandergegangener-widerstand-nach-1945
Wiederabdruck vom 19. Juli 2018
Fotos:
Kurt Nelhiebel ©privat
Tag des Attentats © planet-wissen.de
Kurt Nelhiebel ©privat
Info:
Ohne den Remerprozeß von Braunschweig, den 1952 der damalige Generalstaatsanwalt von Braunschweig, Fritz Bauer, in Gang setzte und als Ankläger führte, wäre der Widerstand gegen das Naziregime zu Zeiten des Dritten Reiches in der frühen und noch immer nazidurchseuchten Bundesrepublik nicht zu einem positiven Fanal geworden. Und bis er das war, dauerte es sowieso noch länger. Aber Bauer hatte mit Bezug auf den Tyrannenmord der Antike so gut argumentiert, daß sich das Gericht seiner Auffassung anschloß und das Dritte Reich als Unrechtsstaat brandmarkte und den Widerstand vom 20. Juli 1944 als legitim erklärte. Wir verweisen an dieser Stelle gerne immer darauf, daß zwar die SS-Witwen nach 1945 ihre Witwenrenten erhielten, aber die Witwen der ermordeten Widerstandskämpfer eben nicht, denn ihre Männer waren ja bis dato dem NS-Recht gemäß Vaterlandsverräter. Das änderte das Urteil von 1952.
Außerdem gibt es den interessanten, ja geradezu liebevollen Dokumentarfilm über den kommunistischen und adligen Widerstand anhand zweier Personen: Film: Der Junker und der Kommunist", D 2009, 71 Min. R: Ilona Ziok
Weltexpresso hatte eine Veranstaltung mit der Filmaufführung am 21.Juli 2015 angekündigt und wir lesen berührt, daß Erardo C. Rautenberg damals moderiert hatte, der in der Nacht auf Dienstag verstarb, wie wir berichteten.
https://www.weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/7585-morgen-der-junker-und-der-kommunist
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Wiederabdruck vom 19. Juli 2018