Steht die Gleichheit aller vor dem Gesetz nur auf dem Papier?
Conrad Taler
Bremen (Weltexpresso) - Zu den faulen Ausreden der Bundesregierung, mit denen sie sich um einen Verbotsantrag gegen die rechtsradikale Alternative für Deutschland (AfD) vorbeidrückt, gehört die Behauptung, sie ziehe die politische Auseinandersetzung einem juristischen Streit vor.
Der Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, stellte dieser Tage fest, dass man von diesem politischen Kampf wenig merke. Auch die Parteien CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne scheuten sich mehrheitlich, gegen die AfD und/oder Björn Höcke und Co. Verbots- und Verwirkungsanträge zu stellen. Sie begründeten das gewunden damit, dass man den Kampf gegen die Extremisten nicht juristisch, sondern politisch führen müsse. Zuständig für das Verbot von Parteien ist das Bundesverfassungsgericht.
Den letzten Versuch, den Extremisten am rechten Rand juristisch den Garaus zu machen, unternahm vor einigen Jahren der Bundesrat, die Vertretung der Länder. Sein Verbotsantrag richtete sich gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, den Vorläufer der AfD. Er scheiterte damit 2017 vor dem Bundesverfassungsgericht, das die NPD für zu bedeutungslos hielt, als dass sie politisch hätte aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Dabei hatte sie ein Sündenregister, in dem das Bundesverfassungsgericht den Versuch sah, die bestehende Verfassungsordnung zu beseitigen und durch einen autoritären „Nationalstaat“ zu ersetzen. Der entscheidende Satz steht am Schluss: „Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt.“
Damit war der Fluchtweg für die NPD ungeachtet aller Nähe zum ehemaligen Nazistaat vorgezeichnet und die Rechtsextremisten aller Schattierungen konnten sich ans Werk machen, eine Nachfolgepartei ins Leben zu rufen. So kam es zur Gründung der AfD, die inzwischen bundesweit zur zweitstärksten Partei nach der CD/CSU aufgerückt ist. An Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass die AfD die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung in die Tat umsetzt, dürfte es diesmal vor Gericht nicht fehlen.
Aber wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.
Von Rechts wegen hätte das entscheidende Argument für die Abweisung des Verbotsantrages der Länderkammer im Verfahren gegen die NPD nicht ungeprüft zum Angelpunkt gemacht werden dürfen, steht ihm doch ein anderes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Wege. Es erging am 17. August 1956 und betraf das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Sieben Jahre nach Gründung der Bundesrepublik spielte die KPD politisch kaum eine Rolle. Schon bei der zweiten Bundestagwahl verlor sie sämtliche Parlamentssitze. Konrad Adenauer sah in den Kommunisten gleichwohl eine Gefahr für die von ihm angestrebte deutsche Wiederbewaffnung. Er nutzte das am 17. August 1956 ergangene Verbotsurteil gnadenlos als politische Waffe. Getroffen wurden überwiegend Nazigegner der ersten Stunde.
Der Jurist Alexander von Brünneck kommt in seinem Buch „Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland“ zu dem Schluss, „dass die Kommunisten objektiv niemals eine Gefahr für die innere Struktur der Bundesrepublik dargestellt hätten“ Im Urteil selbst stellte das Gericht fest, eine Partei sei dann verfassungswidrig, wenn sie in „aktiv kämpferischer aggressiver Haltung“ die „obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ beseitigen wolle. Auf konkrete Handlungen oder auf die Erfolgsausschichten einer solchen Zielsetzung komme es nicht an. „Eine Partei kann . . .auch dann verfassungswidrig im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG sein, wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können“ (S.121, Brünneck.
Danach hätte der Antrag auf Verbot der rechtsgerichteten NPD nicht abgewiesen werden dürfen. Oder ist es der Brauch, dass das höchste deutsche Gericht mit gespaltener Zunge spricht, je nachdem ob es über Rechts- oder Linksradikale urteilt?
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