Anlaß ist die Destabilisierung des parlamentarischen Systems in vielen Länder
FIR
Berlin (Weltexpresso) - Mit Sorge beobachten wir in den letzten Monaten eine Destabilisierung des parlamentarischen Systems in vielen Ländern. Damit meinen wir nicht nur die Einschränkungen in kriegführenden Staaten, die dies mit den militärischen Notwendigkeiten legitimieren, sondern auch in „Leuchttürmen parlamentarischer Demokratie“.
Es gilt als Zeichen demokratischer Kultur, wenn Regierung und Opposition in den Parlamenten über den richtigen Weg streiten. Auch die Zivilgesellschaft bringt sich mit öffentlichen Aktionen mit ihrem jeweiligen Anliegen, das im Parlament nicht genügend Gehör findet, ein. Wenn man jedoch den gegenwärtigen Zustand in einigen europäischen Ländern betrachtet, zeigt sich, wie instabil das politische System geworden ist. In Deutschland zerbrach vor wenigen Wochen die Regierungskoalition und es wurden Neuwahlen für Ende Februar angesetzt. Beobachter erwarten, dass nach den Wahlen die Neuauflage einer Koalition von CDU/CSU und SPD kommen wird, die viele Jahre zum politischen „Stillstand“ in diesem Land beigetragen hat. Gleichzeitig erleben wir einen Zuwachs der extrem rechten AfD, die teilweise eine parlamentarische „Sperrminorität“ erreicht. In Frankreich hat sich Präsident Emmanuel Marcon mit der Ausgrenzung der „neuen Volksfront“ und der Ernennung von Michel Barnier als Premierminister verkalkuliert. Abhängig von dem Wohlwollen der extrem rechten Le Pen-Partei RN scheiterte Barnier mit dem Haushaltsentwurf, da er den Forderungen der extremen Rechten nicht weit genug nachkam. In Bulgarien erlebt das Land seit Jahren vorgezogene Neuwahlen, weil die politische Klasse nicht in der Lage ist, sich auf Antworten für die sozialen und gesellschaftlichen Probleme zu verständigen. Mittlerweile nehmen nicht einmal mehr die Hälfte der Menschen an solchen Wahlen teil.
In den USA herrscht nach dem Ergebnis der Präsidentschaftswahlen ebenfalls ein politisches Chaos. Joe Biden als Noch-Präsident versucht in den letzten Tagen seiner Amtszeit Entscheidungen durchzusetzen, von denen klar ist, dass diese der Politik von Donald Trump widersprechen. Amerikanische Bundesstaaten, die von einem Gouverneur der Demokraten regiert werden, kündigen an, gesetzliche Regeln einzuführen, um Vorhaben des republikanischen Präsidenten nicht umsetzen zu müssen. Das zu kritisieren, bedeutet keine Zustimmung zur Politik von Trump. Solche Schritte führen jedoch zu einer innenpolitischen Destabilisierung, die den Weg in eine autoritäre Regierung ebnet. Welche Dimension das annehmen kann, erlebte man diese Woche in Südkorea, wo der Präsident wegen eines Streites über den Haushalt das „Kriegsrecht“ ausrief, mit dem alle demokratischen Rechte und Freiheiten ausgehebelt werden können. Zwar gelang es der Opposition nach wenigen Stunden, diese Entscheidung mit Hilfe einer Parlamentsmehrheit wieder aufzuheben, es zeigt aber die Instabilität des politischen Systems.
Wie wenig Wahlentscheidungen und Mehrheiten anerkannt werden, wenn sie politischen Erwartung nicht entsprechen, zeigen aktuell die Vorgänge in Georgien und Rumänien. In Georgien wird – unterstützt von der Präsidentin und der EU – eine „Farbenrevolution“ initiiert, weil diese den pro-EU-Kurs durch die neue Mehrheit im Parlament gefährdet sehen. Einem Parlamentsbeschluss zur Neuwahl will sich die Präsidentin nicht beugen. Es droht ein Szenario wie in Venezuela, wo längere Zeit ein Oppositionspolitiker als selbsternannter Präsident von den USA und der Europäischen Union anerkannt wurde. In Rumänien glauben Politiker, den ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen, bei dem überraschend ein extrem rechter Politiker die Mehrheit erhielt, nicht anerkennen zu müssen und sich – mit Unterstützung der EU - in die Stichwahl bringen zu können. Selbst wenn die gewählten Politiker aus unserer Sichte keine demokratischen Protagonisten sind, gelang es ihnen offensichtlich jedoch erfolgreich, die politische Verunsicherung der Menschen in dem jeweiligen Land für sich zu mobilisieren.
Aus unserer Sicht muss es stattdessen darum gehen, die demokratische Partizipation aller Menschen bei der Bewältigung ihrer existenziellen Probleme zu stärken. Und dazu gehört auch ein transparenter, demokratisch verfasster Parlamentarismus. Die gegenwärtige Praxis des Umgangs mit parlamentarischen Mehrheiten und Machtverhältnissen, wenn sie den Interessen transnationaler Strukturen nicht entsprechen, führt dagegen zu einem Vertrauensverlust in den Parlamentarismus und stärkt die extreme Rechte, die in vielen dieser Länder deutlich an Einfluss gewonnen hat und sich gleichzeitig aktiv am reaktionären Staatsumbau beteiligt.
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Quelle: FIR Newsletter 2024-49 dt.