80 Jahre Auschwitz-Befreiung in einer Gedenkveranstaltung in Frankfurt am Main , Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – An Dramatik war diese Szene nach 17 Uhr am gestrigen Sonntag kaum zu übertreffen, als der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurts, Marc Grünbaum, die politische Runde zum Abschluß des ganztägigen Gedenkens an die Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee eröffnen wollte, zu der geballt hessische Politprominenz gekommen war, noch aufgewertet durch die Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz, Grünbaum die minutenlange Verspätung dann damit begründete, daß alle am Handy die Ankunft der drei Geiseln in Israel verfolgt hätten, drei junge Frauen: Romi Gonen, Emily Damari und Doron Steinbrecher, die am 7. Oktober 2023 verschleppt, nun – sogar relativ wohlbehalten – wieder in Freiheit seien.
Die Befreiung von Geiseln am Gedenktag für die Befreiung des KZ Auschwitz mit damals noch rund 7 000 geschwächten Gefangenen, Männer, Frauen, Kinder, das hat schon was, wobei es schon seit jeher wichtig war, zu betonen, daß es die Soldaten der Roten Armee waren, die am 27. Januar in Auschwitz eintrafen, das von den Deutschen in den Stunden zuvor verlassen wurde, wie Ratten, die das sinkende Schiff verlassen, sich erst einmal individuell rettend, denn die juristische Aufarbeitung kam er Jahrzehnte später und das nur, weil ein im Adenauerstaat widerständiger SPD-Generalstaatsanwalt in Hessen, Fritz Bauer, den Auschwitzprozeß anstrengte, mit den Auschwitz-Urteilen alles andere als zufrieden war, denn die Rechtsauffassung von Bauer, daß nicht allein die, die Gas in die Gaskammern führten oder Genickschüsse abgaben, Tod durch Foltern oder andere Todesarten anwandten, schuldig seien, sondern alle, die an dieser Mordmaschinerie beteiligt waren, setzte sich erst 2011 im Demjanjukprozeß in München durch und ist seither geltende Rechtsauffassung als Beihilfe zum Mord. Stimmt, inzwischen sind fast alle in den KZ Beschäftigten tot, aber immerhin jetzt eine gültige Rechtsauffassung für die Zukunft.
Daß der 27. Januar, die Befreiung von Auschwitz, inzwischen generell zum Gedenktag für die Befreiung von KZ-Häftlingen wird, ist eine Entwicklung der letzten Jahre, denn die Konzentrationslager, besser: ihre überlebenden Häftlinge sind innerhalb eines knappen Jahres befreit worden: am 23. Juli 1944 als erstes das KZ Majdanek, Polen, wo es bis Ende Januar dauerte, bis die Sowjetarmee Auschwitz erreichte. Das letzte befreite KZ war am 9. Mai Stutthof, ebenfalls Polen und ebenfalls durch die Rote Armee. Am 11. April 1945 hatten US-Truppen Buchenwald in Thüringen befreit und am 15. April die Britten Bergen-Belsen (Anne Frank) in Niedersachen. So wurde dieser Gedenktag für die Befreiung von Auschwitz am 80sten Jahrestag von der Jüdischen Gemeinde zum ersten Mal durchgeführt, von vormittags bis abends, durchaus anstrengend, aber als Zuhörerin hatte man den ganzen Tag über das Gefühl, an etwas besonders Wichtigem teilzunehmen /beteiligt zu sein.
Und dieses Gefühl wurde intensiviert durch die Ankündigung der Befreiung der Geiseln durch den Vorstandsvorsitzenden Marc Grünbaum, der schon am Mittag Substantielles geäußert hatte und nun mit starken Worten die gekommenen Gäste vorstellte, von denen anschließend einige noch das Wort ergriffen. Gekommen war die Auschwitz-Überlebende Eva Szepesi, die im letzten Jahr in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus gesprochen hatte, neben Olaf Scholz die Bundesministerin des Inneren, Nancy Faeser (SPD), für den angekündigten, aber nicht erschienenen Hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein sein Stellvertreter Kaweh Mansoori (SPD), Minister für Wirtschaft, Energie...sowie dessen Kollege Timon Gremmels (SPD), Hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur sowie Angela Dorn (GRÜNE), Vizepräsidentin des Landtags sowie Armin Schwarz (CDU), Minister für Kultus, Bildung und Chancen, der auch zusammen mit Mike Josef (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt und Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, ausführliche Grußworte sprach.
Olaf Scholz war mit einem Impulsvortrag angekündigt und hielt eine bewegende, richtig große Rede. Unrecht nicht zu dulden, nie mehr wegzuschauen, nein zu sagen: Das müsse 80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz die Richtschnur sein. Die Erinnerung an den von Deutschen begangenen Zivilisationsbruch der Schoah müsse wach gehalten und jeder Generation in Deutschland immer wieder neu vermittelt werden.Scholz betonte man müsse allen Versuchen der Relativierung der deutschen Geschichte entgegentreten und die Erinnerung an die Schoah wachhalten. f"Gerade heute, wo Antisemitismus, Rechtsextremismus, völkisches Gedankengut, wo teils unverhohlene Menschenfeindlichkeit vielerorts eine erschreckende und alarmierende Normalisierung erfährt", müssen wir dagegenstehen: „Unsere Verantwortung hört nicht auf!" u
So seien die Sicherheitsbehörden mit dem Schutz von jüdischen Gemeinden und auftretendem Antisemitismus, Terrorpropaganda und Menschenfeindlichkeit beschäftigt, das reiche aber nicht aus, reiche nicht in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein, die vor allem durch das Internet und Soziale Netzwerke aufgeputscht seien und in denen extremistische Positionen, Hetze und Hass insbesondere Jüdinnen und Juden real gefährdeten. «Jüdisches Leben, das ist Frankfurt. Jüdisches Leben, das ist Deutschland. Das sind Wir», erklärte Scholz.
Die immer wieder durch langanhaltenden Beifall unterbrochene Ansprache, erhielt den meisten Applaus, als er betonte: "Ich trete jedem Schlußstrich, jedem 'Lange her' entgegen."
Über die anschließende Podiumsdiskussion und die vorangegangenen Veranstaltungen wollen wir noch berichten.
Fortsetzung folgt
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Info:
Das Konzentrationslager Auschwitz, KZ Auschwitz genannt, war der größte deutsche Komplex aus Gefangenenlagern zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Lagerkomplex bestand aus drei sukzessive ausgebauten großen Konzentrationslagern und vielen Außenlagern. Auschwitz hatte eine Doppelfunktion als Konzentrations- und Vernichtungslager. Er bestand aus dem Konzentrationslager Auschwitz I (Stammlager), dem Vernichtungslager Birkenau – Konzentrationslager Auschwitz II, dem Konzentrationslager Monowitz und ca. 50 weiteren Außenlagern. In das Lager wurden zwischen 1940 und 1945 weit über eine Million Menschen aus ganz Europa deportiert. Über 90 Prozent waren Juden. Die Zahl der im KZ Auschwitz und im dazugehörigen Vernichtungslager Birkenau Ermordeten wird auf 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen geschätzt. Der Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz ist seit 1996 in Deutschland, seit 2005 international der öffentlich begangene Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main K.d.ö.R.
Westendstraße 43, 60325 Frankfurt am Main
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Dramatik am Abend mit einer beeindruckenden Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz
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