paris gipfel 100 1920x1080Das jüdische Logbuch Februar/März

Yves Kugelmann

Paris (Weltexpresso) - Wer kann gegenwärtig Konflikte noch richtig lesen? Seit der zweiten Präsidentschaft Trumps werden tagtäglich gewichtige Veränderungen angekündigt. Das eine folgt Ideologien, das andere Pragmatismus oder schlicht einer kapitalistischen Doktrin. Europas Antwort ist Aufrüstung. Amerikas Strategie ist Rückzug als Antwort auf Drohungen. Im Regierungssitz Élysée ist an diesem Tag Hochbetrieb. Frankreichs Präsident hat das Europa-Heft öffentlichkeitswirksam an sich gerissen. Ein Kommen und Gehen der Diplomatie – und an diesem Tag auch noch ein Abendessen mit Deutschlands Bundeskanzler in spe, Friedrich Merz. Wie nachhaltig und substanziell das ist, wird sich zeigen müssen.


Zu Beginn von Russlands Angriff auf die Ukraine gab es schon einmal einen Macron-Versuch, Europa zu formieren. Lange dauerte das nicht an – sicher auch deshalb, weil Macron innenpolitisch andere Baustellen hat. Konfliktforschung ist eine wichtige Disziplin. Karl Poppers Credo – «Der einzig vernünftige Weg, einen Konflikt zu lösen, ist der Weg der friedlichen Diskussion» – scheint ein weit entrückter Ruf aus der Zukunft zurück ins 18. Jahrhundert – das immer realere wird.

Denn was geschieht, wenn Vernunft nicht mehr die Grundlage der Agitation ist, sondern Macht, Reichtum, Ideologie oder Religion? Was, wenn Partikularinteressen wichtiger werden als das große Ganze? Was, wenn Konspiration, die politische Lüge, alternative Wahrheiten oder Infiltrierungen dominieren – wenn Recht, Gerechtigkeit und wissenschaftliche Fakten nicht mehr durchdringen oder gar nicht mehr die Grundlage politischer Entscheidungen sind?

Donald Trump wird der Meute täglich irgendwelche Köder zuwerfen, auf die sie sich stürzt und sich tagelang daran abarbeitet, während im Windschatten Fakten geschaffen werden – an Parlamenten und Institutionen vorbei. Trump setzt seinen Kampf zur Einschränkung freier Medien, Kultur und Wissenschaft um. Wird Macron mit Europa mehr als nur verbal dagegenhalten, oder regieren am Schluss Strafzölle? Wird die Immunität von Politikern zum grössten Komplizen der Gegenaufklärung und des Unrechts?

In Paris hat es längst zu regnen begonnen, die Straßen sind verstopft, und Menschen hetzen gestresst von der Arbeit nach Hause. Der Charme der Stadt weicht der Verhärtung. Am Tisch sitzt beim Café eine bald 80-jährige hohe französische Diplomatin, eine durch und durch laizistische Muslima mit algerischen Wurzeln, ihr gegenüber ein israelischer Diplomat. Beide sind besorgt, beide lächeln am Ende eines langen Gesprächs. Es ist alles Schwierige gesagt. Die lächelnde Zuversicht bleibt.

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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 28. Februar 2025 
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG