Wie Israel sich in der neuen Weltordnung zurechtfindet. Und nicht weiß, was das am Ende wirklich bedeutet
Redaktion tachles
Tel Aviv (Weltexpresso) - Dass Donald Trump, um es euphemistisch zu sagen, «ungewöhnliche Wege“ geht, ist inzwischen jedermann klar. Jeden Tag gibt’s eine neue Botschaft, die die Weltordnung einreißt, umschmeißt oder auf den Kopf stellt. Und nun das: Am Mittwoch wurde bekannt, das die USA direkt mit der Hamas verhandeln. Es geht um fünf amerikanisch-israelische Geiseln, die Trump endlich raus haben will. Sein Sonderbeauftragter für Geiselfragen, Adam Boehler, hat sich mit Hamas-Größen in Katar getroffen. Die Hamas steht auf der Terroristen-Liste der USA, mit Terroristen redet Washington eigentlich nicht, und wenn, dann nur indirekt. Das hat Trump nun geändert.
Wird das Israels Premier Benjamin Netanyahu gefallen? Das läuft so ziemlich an ihm vorbei, was Trump gerade macht. Aber was kann Netanyahu dazu schon gross sagen?
Die Lage ist nicht einfach, das ist spätestens seit der Demütigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymir Selensky im Weißen Haus vor einer Woche klar. Die Trump’sche Außenpolitik hat sich da in knapp 40 Minuten offenbart: Bist du nicht für mich, bist du gegen mich. Machst du nicht, was ich will, dann mache ich dich fertig. Wild West also. Nicht mehr, nicht weniger. Netanyahu wird die Szene gesehen haben, keine Frage. Geschenkt, ihn hätte man nicht ob seiner Kleidung angepöbelt, er hätte auch brav hundertmal «Danke USA» gesagt, ehe Trump überhaupt den Mund aufgemacht hätte. Doch mit Trump weiß man nie. Und das Verhältnis der beiden Buddies war schon mal zerrüttet, weil Netanyahu Joe Biden zu seinem Wahlsieg damals gratuliert hatte, wie es sich gehört. Das hat Trump «Bibi» sehr übel genommen und der musste in den Monaten vor dem Wahlsieg Trumps viel tun, um die Gunst des großen «Dealmakers» zurückgewinnen. Er pilgerte dazu sogar nach Mar-a-Lago.
Aber was heißt das schon? Und was bedeutet das vor allem für die zukünftige Politik im Nahen Osten? Donald Trump hielt im Kongress vor ein paar Tagen eine Rede. Und er sagte da einen Satz, den Netanyahu sicher auch gehört haben wird: ‚Wir werden unsere Geiseln frei bekommen‘. Mit anderen Worten: Er wird einer Wiederaufnahme des Krieges, wie ihn viele israelische Regierungspolitiker wollen und daher wohl auch Netanyahu, nur unter gewissen Bedingungen zustimmen.
Für Israel scheint sich aber im Moment eine Art «goldener Weg» aufzutun. Trump ist mit Kanada, Mexico, der EU und der Ukraine beschäftigt. Da ist sein Focus, vor allem sein Hass, seine Wut, sein Feindbild. Israel gehört – bislang – nicht dazu. Israel muss keine Strafzölle fürchten, es bekommt alle Waffensysteme, die es haben will. 2000 kg Bomben, die Joe Biden Netanyahu verweigert hatte, sind inzwischen in Tel Aviv angekommen. In der auseinanderbrechenden Welt des Westens könnte sich die Treue Netanyahus zu Trump aber noch bitter rächen. Die Tatsache, dass Israel mit den USA (und Nord-Korea, Ungarn und noch ein paar solcher freundlicher Staaten) gegen eine UN-Resolution gestimmt hat, in der die territoriale Unversehrtheit der Ukraine betont und die Aggression Russlands verurteilt wurde, wird in Berlin, Paris oder London mit Sicherheit nicht gut ankommen. Die EU versucht sich gerade als Bewahrerin liberaler, demokratischer Werte zu behaupten, da die USA unter Trump diese Ideen im Eiltempo auf den Müllhaufen wirft. Wie wird man in Brüssel auf Israel in Zukunft schauen? Die Kritik nimmt seit Beginn des Gaza-Krieges ja sowieso zu, wenn aber Netanyahu so eindeutig auf der Seite eines US-Präsidenten bleibt, der gerade Autokraten umschmeichelt und einen demokratisch gewählten Führer eines überfallenen Staates zur Kapitulation zwingen will, dann wird man das in Zukunft wohl kaum gut heißen.
Kann das Israel egal sein? Mitnichten. Die EU ist weiterhin der zweitwichtigste Markt für Israel, die Teilnahme am Horizon-Projekt für gemeinsame Forschung und Entwicklung, ist für den jüdischen Staat angesichts der allgemeinen Boykott-Bewegung vielleicht noch existentieller geworden als schon zuvor.
Wie geht es also weiter? Im Moment sieht es an allen Fronten kompliziert aus, auch an den militärischen. Die Hamas zögert jetzt schon seit Tagen neue Verhandlungen hinaus, Israel kann sich (noch) nicht entscheiden, ob es den Krieg wiederaufnehmen und damit die restlichen Geiseln dem wohl sicheren Tod ausliefern will. Die Hamas geht davon aus, dass Israel nicht wieder kämpfen will. Sie weist auch den neuen Plan der arabischen Staaten für Gaza zurück, da sind die Islamisten auf derselben Seite wie Israel, da Netanyahu die Machtübernahme der Palästinensischen Autonomiebehörde in Gaza nicht akzeptieren will. Für die Hamas ist das ideal. Es gibt keine Entscheidung, also sind sie und bleiben sie in Gaza an der Macht. Sie fühlen keinen Druck, im Gegenteil. Sie beobachten die Annäherung zwischen Washington und Moskau sehr genau. Was wäre, wenn Putin mit Trump einen Deal zur Ukraine macht und dem US-Präsidenten hilft, einen neuen Vertrag mit dem Iran auszuhandeln? Dann bliebe die Hamas sowieso an der Macht und Israel hätte das Nachsehen. Im übrigen, warum sollte die Hamas die Geiseln freigeben? Wenn sie das täten, hätten sie nichts mehr in der Hand. Und selbst wenn es eine neue Vereinbarung geben sollte, die Hamas wird alles tun, um die Sache in die Länge zu ziehen. Je länger der Waffenstillstand andauert, umso sicherer wird Hamas sein, dass Israel nicht mehr angreifen wird. Selbst wenn Trump sagt, dass er mit allem einverstanden ist, was sein Freund Netanyahu entscheiden wird. Die monatelange Verweigerung darüber nachzudenken, was am «Tag danach» in Gaza geschehen soll, könnte sich nun als ganz bitterer Bumerang für Netanyahu und Israel erweisen. Dann hätte die Hamas diesen Krieg endgültig gewonnen.
Foto:
©tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. März 2025