Die Jacob Augstein-Debatte: Eine verpasste Chance. Ein Beitrag Sammelband "Gebildeter Antisemitismus", Teil 10

 

Matthias Küntzel

 

Hamburg (Weltexpresso) - Als der Bundestag am 13. Juni 2013 über Antisemitismus diskutierte, tauchte in der Rede der CDU-Abgeordneten Gitta Connemann auch der Name Jakob Augstein auf:

 

Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und der legitimen Kritik an Israel werden antisemitische Verunglimpfungen artikuliert. Oder es heißt: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Aktuelles Beispiel: Jakob Augstein. Er bedient sich regelmäßig antisemitischer Denkmuster. Er schwadroniert von der Allmacht Israels. Streiche Israel, setze Juden. Die Stereotype ändern sich nicht. Und Worte sind Waffen.” (Connemann 2013)

 

Es gab keine Zwischen- oder Protestrufe, sondern Beifall von allen Fraktionen mit Ausnahme der Fraktion der Linkspartei. Dies zeigt, dass die Wiesenthal-Intervention allen Widerständen zum Trotz nicht umsonst gewesen ist und dass sich die Berechtigung der SWC-Kritik für relevante Teile der Gesellschaft bestätigt hat.

 

Doch auch bei Jakob Augstein blieb nicht alles, wie es war. “Kann man der Netanjahu-Regierung hier wirklich Schießwütigkeit vorwerfen?”, fragte er in seiner “Im Zweifel links”-Kolumne vom 04. Februar 2013, die sich mit dem israelischen Angriff auf für die Hisbollah bestimmte syrische Waffen befasst. Er beantworte diese Frage mit einem klaren “Nein!”, so, als wolle er beweisen, während der Debatte dazugelernt zu haben (Augstein 2013).

 

Auch wenn seine seltener gewordenen Kommentare über Israel auch weiterhin das Bild von den “Hardlinern auf beiden Seiten” mobilisieren und aus tendenziösen Quellen zitierten, blieben sie bislang von antisemitischen Anspielungen frei.

 

Zwar hat sich Augstein von keiner seiner Aussagen distanziert, zwar hat die Debatte seinem Renommee als Starjournalist nicht geschadet—doch ist seine Ambition, Deutschland vom Schatten von Auschwitz und dem “neurotischen” Journalismus zu befreien, gescheitert.

 

Als Augstein im Dezember 2014 beim Fernsehsender 3sat dem Populärphilosophen Richard David Precht gegenüber saß, wollte ihn dieser mit der Aussage, dass die “Politik gegenüber Israel durch deutsche Schuld [geprägt]” sei, provozieren. “Das soll sie auch bleiben”, lautete Augsteins wegwerfende Bemerkung, um schnell zum nächsten Thema zu eilen (3sat 2014).

 

Allerdings hat es keine Debatte über die Debatte selbst gegeben. Die deutsche mediale Elite hat bis heute weder ihre jähe Aggression gegen das Wiesenthal Center noch das kollektive Schweigen nach dem Spiegel-Streitgespräch reflektiert.

 

Zwar lieferte das Wiesenthal Center eine gute Vorlage, doch die damit verbundene Chance—sie wurde verpasst. Die bitter notwendige Diskussion über Journalismus, Israelkritik und Antisemitismus fand nur in Ansätzen statt, ohne langfristigen Effekt.

 

Man merkte dies, als ein Jahr später das Simon Wiesenthal Center seine “2013 Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs” veröffentlichte. Hier wurden auf Platz sieben neben einer norwegischen Zeitung und einem französischen Karikaturisten auch zwei deutsche Zeitungen—die Badische Zeitung und die Stuttgarter Zeitung—an den Pranger gestellt. Sie hatten Karikaturen veröffentlicht, die den israelischen Premier Netanjahu als Vergifter des Weltfriedens zeichnen.

 

Man sieht in der Zeichnung der Badischen Zeitung, wie Netanjahu, bewaffnet mit einem Aktenkoffer mit der Aufschrift “Netanjahu und Co.” argwöhnisch ein Zwitterwesen aus Friedenstaube und Schnecke begutachtet, das in Richtung “Genf-Iran-Atom-Lösung” kriecht. Per Telefon bestellt er “Taubengift” und “Schneckenkorn”, ein Ungeziefervernichtungsmittel.

 

Dem Beobachter wird klar: Israel und nur Israel verhindert den Frieden in der Welt durch Sabotage der Atomverhandlungen mit dem Iran. Hier wird das Bild vom Juden als Giftmörder, heimlicher Saboteur und Weltbrandstifter revitalisiert.

 

Die Stuttgarter Zeitung reaktivierte das Bild des Juden als Brunnenvergifter. Der israelische Premier sitzt hier allein auf einer Bank und wirft einer Friedenstaube mit der Aufschrift “Nahostfrieden” vergiftete Brotstückchen hin. “Dieses Motiv basiert auf einer heimtückischen mittelalterlichen Lüge”, heißt es im Begleittext des Wiesenthal Centers: “Diesmal ist es nicht das Trinkwasser, das vergiftet wird, sondern die Hoffnung auf Frieden” (SWC 2013).

 

Jetzt aber wurde keine Lawine ins Rollen gebracht. Jetzt wurde die Kritik des Simon Wiesenthal Centers ignoriert.

 

ANMERKUNGEN

 

 

 

 

Info:

 

Dieser Aufsatz wurde 2015 erstmals in dem von Monika Schwarz-Friesel herausgegebenen Band “Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft” im Nomos-Verlag Baden-Baden als Band 6 der von Prof. Samuel Salzborn herausgegebenen Reihe “Interdisziplinäre Antisemitismusforschung” veröffentlicht und im Januar 2016 mit Zustimmung der Herausgeberin und des Verlages als Online-Extra Nr. 231 des Online-Portals http://www.compass-infodienst.de dokumentiert. Einen Prospekt des sehr zu empfehlenden Buches und dessen Inhaltsverzeichnis finden sich am Ende aller Beiträge

 

Inzwischen haben Lukas Betzler und Manuel Glittenberg ein 300-seitiges Buch über die Jakob Augstein-Debatte veröffentlicht: Antisemitismus im deutschen Mediendiskurs. Eine Analyse des Falls Jacob Augstein, Nomos Verlag Baden-Baden 2015, Bd. 5 der Reihe Interdisziplinäre Antisemitismusforschung.

 

Ein Literaturverzeichnis rundet die umfangreiche Serie am Schluß ab.