Buch 'Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle', 'Die Deportation der Juden 1941-1945' 1/3

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Raub an den Deutschen mit jüdischen Wurzeln wurde mit bürokratischen Floskeln bemäntelt. Das tödlich Bürokratische war eine der Antriebsfedern des NS-Systems, der ordentlich gestimmte Bürger war für das Mordgeschäft ein gesuchter.

 

Die Erinnerungsstätte Großmarkthalle, von der 10 000 Deportationen aus Frankfurt und Umgebung in die Vernichtungslager ausgingen, war seit der Eröffnung am 25. Oktober 1928 durch Oberbürgermeister Ludwig Landmann ein architektonischer Star im Gefolge der neu-sachlichen Baupolitik der Zwanziger Jahre. Landmann starb kurz vor der Befreiung 1945 im holländischen Exil, 'unterernährt und mittellos'. Die Großmarkthalle blieb während der gesamten Zeit der Deportationen in die Todeslager in voller Funktion mit ihren Markteinrichtungen, den Kühlanlagen, Laderampen und Bahnanschlüssen, während unten im Keller deutsch-jüdische Menschen ihrer Habseligkeiten beraubt wurden. Für den 'Abtransport' waren zu allem Gipfel des Zynismus 50 RM zu entrichten.

 

 

Aufbau der Anlage

 

Die nun fertiggestellte Erinnerungsstätte besteht aus den Teilen: Der Weg - auf dem Menschen getrieben wurden -, in den Keller, dann Rampe abwärts, Keller (Ort der Leibesvisitationen und 'Matratzenlager'), bald Weg zum Fußgängersteig (über die Rampe aufwärts), zum Stellwerk (mit jetzt restlichen Gleisfragmenten), der Treppenaufgang für Angehörige und Schaulustige. Die beherrschende Materialität ist Beton, mit Freilegungen in Sandstrahltechnik. Sie bildet über die einzelnen Teile hinaus ein sprechendes Monument, dem in Wände und Wegeabschnitte - der Internierungsabschnittslogik gemäß - 26 Zitate aus historischen Quellen in Steinmetztechnik eingemeißelt sind. Die Stätte wirkt lakonisch, ist von un-musealischem Gepräge - das ist angemessen.

 

Monument ist es nicht nur nach Maßgabe der eindrucksvollen Schwere und Breite der Baukörper, insbesondere der Rampe, die den EZB-Abschnitt vom öffentlichen durch eine Glasscheibe (mit Zitat-Inschrift) trennt, wie des langen und breiten Gehwegs, sondern auch aufgrund der architektonischen Form und Linienführung des Gesamtkörpers, für den das Angelegtsein in der Landschaft wesentlich ist. Hinzu kommen, wie notiert, die jeweils – je nach Ablaufsituation – in die unterirdische Raumanlage und in die Gehstraße via Gleis eingeformten Zitate. Diese können außerhalb des EZB-eigenen Areals auf einem Verbindungs- oder Spazierweg gleichsam wie nebenbei ins Auge springen.

 

Der nun erschienene Wort- und Bildband ist editorisch hochwertig. Für eine weniger bildungsbürgerlich geprägte Frankfurter BürgerInnenschaft wäre es angebracht gewesen, in den einleitenden Beiträgen ein wenig weniger überlagernd und insofern konzentrierter zu texten.

 

 

Zeugenschaften

 

Die verzeichneten Zeuginnen und Zeugen werden mit Zitaten ihrer 'Zeugenschaft' eingeführt:

Wir abwandern morgen nach Theresienstadt. Benachrichtige die anderen. Hoffen auf Wiedersehen“.

Arthur Strauss (1873 - unbekannt) und Anna Strauss, geb. Waller (1881 – unbekannt).

Beide wurden 'im Alter von 69 bzw. 62 Jahren in das Durchgangs- und Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt [...]'. 'Von Theresienstadt aus kamen die Eheleute am 28. Oktober 1944 unter den Transportnummern „Er-1159“ und „Er-1160 in das Vernichtungslager Auschwitz, wo beide sofort ermordet wurden'. Anna Strauss ist auf einem Foto vom 1. September 1942 zu sehen..

 

Der Band verzeichnet unter dem laufenden Abschnitt 17 Zeugenschaften. Er endet mit der Zeugenschaft von Edith Erbrich, geb. Bär (*1937). Sie war während einführender Termine im Gebäude der EZB als Zeitzeugin bekannt geworden. 'Der Vater Norbert Bär war Jude, die Mutter Susanna Bär, geb. Henz, Katholikin [...]'. 'Edith sowie ihre vier Jahre ältere Schwester Hella galten gemäß der Rassenlehre als „Mischlinge ersten Grades“'. 'Nach dem Regierungsantritt Hitlers verlor der Vater umgehend seine Stellung im öffentlichen Dienst [...]'. 'Am 14. Februar 1945 [...] wurden Norbert Bär und seine sieben- und zwölfjährigen Töchter nach Theresienstadt verschleppt'. - 'Die hochschwangere Susanna Bär begleitete ihre Familie zum Zug'. Vater und Kinder wurden in Theresienstadt getrennt. Das Lager wurde am 8. Mai 1945 von der Roten Armee befreit.

 

'Meine Mutter hatte für uns das Notwendigste gepackt [...] Sie wollte freiwillig mit, aber sie durfte nicht' [...] Ein Mann rief: „Hebt die Mädchen noch einmal hoch, ihre Mutter will sie noch einmal sehen!“' (Edith Erbrich)

 

In den Zeugenschaften von Tilly Cahn und Cläre von Mettenheim heißt es, dass von beiden schriftliche Zeugnisse vorliegen. Die sie betreffenden Ausführungen belegen eine Herkunft aus dem gebildeten bürgerlichen Stand. - Tilly Cahn bestand 1912 an der Schillerschule das Abitur. Die Mutter war norddeutsche Protestantin, der Vater Garnisonsadjutant und von jüdischem Bekenntnis. Weiterhin steht geschrieben: 'Vor allem die Tagebücher liefern uns heute erschütternde Einblicke, wie Stadtverwaltung, Gauleitung unter Jakob Sprenger und Geheime Staatspolizei die jüdische Bevölkerung drangsalierten und quälten'. - Von Cläre von Mettenheim stammt der sog. „Dauerbrief“, den sie zwischen 1939 und 1946 verfasste. Während es sich zunächst um Briefe an ihre in England lebende Tochter handelte, zeichnete Cläre später kriegsbedingt ihre Alltagsbeobachtungen regelmäßig ohne Korrespondenz auf. Ihre Überlieferung ist 'eine einzigartige stadtgeschichtliche Quelle'.

 

Es findet sich auch eine 'Biografische Notiz' zu Friedrich Schafranek. Dieser war Diplomatensohn des Vaters Heinrich, Handelsattaché im diplomatischen Dienst. Mit dem Anschluss Österreichs im März 1938 verlor der Vater seinen Status als Diplomat. Fluchtversuche scheiterten. Die Familie wurde Oktober 1941 in das Ghetto Lodz verschleppt. Vater und Bruder starben durch Misshandlung und Entkräftung. Im August 1944 wurde Mutter Olga in Auschwitz-Birkenau vergast und verbrannt.

1946 konvertierte Friedrich zu Protestantismus und studierte evangelische Theologie. Er erhielt kleinere Pfarrstellen in Unterfranken. In der Gemeinde Schlupfloch war er später antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Er hielt über die Jahre noch regelmäßig Vorträge als Zeitzeuge und starb 2013 im Alter von 88 Jahren.

 

Die Großmarkthalle und die gewaltsame Verschleppung der jüdischen Bevölkerung

 

Diese Abschnitte von Monica Kingreen enthalten die zentralsten Schilderungen des Infernos, das mit der nationalsozialistischen Raub- und Mordpolitik verbunden war, wobei klar wird, dass das Motiv des Raubes und der Entwertung des Nicht-Ich zentrale Antriebsmomente sind. Raub ist ein teuflisches Ritual.

 

Die sehr gelungenen Fotos, die der Band zur Erinnerungsstätte liefert, sind zu rühmen. Sie zeigen auch gut nachvollziehbar die Einmeißelungen, mit denen die an den Verschleppten verübten Drangsale in jeder Vorphase des Vernichtungsdrehbuchs in Zitatform ins Monumentale eingeschrieben sind. Der Filmvergleich ist nicht hergeholt. Für alle Beteiligten könnte der Ablauf, wenn auch ganz verschieden konnotiert, nachträglich wie das Abspulen eines Horrorfilms erscheinen.

 

Die NS-Ideologie ist bloß Vorgabe, kein Jünger oder Ausführender hat sie je für wahr gehalten. Alles war nur ein pseudophilosphischer Kehricht. Es ging allein um die Entwürdigung eines Nicht-Ich durch Raub, Mord, Totschlag, Folter und Ausbeutung.

Fortsetzung folgt

 

Info: 'Erinnerungsstätte an der Großmarkthalle, Die Deportation der Juden 1941-1945, Raphael Gross und Felix Semmelroth (Hrsg.) im Auftrag der Stadt Frankfurt am Main, Fotodokumentation von Norbert Miguletz, Prestel Verlag, München 2016 ISBN-978-3--7913-5531-3