Buch 'Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle', 'Die Deportation der Juden 1941-1945' 3/3

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Während der ganzen Fahrt wurden wir von einer johlenden Menge beschimpft und verhöhnt. 'Schlagt sie doch tot, warum die teuren Kohlen für den Transportzug!' Immer wieder diese Zurufe, offenbar einstudiert“.

 

Gegen alle aufgeklärten Geister: Im Nachkriegsdeutschland, in der Zeit nach dem 'Dritten Reich', waren Rechtfertigung und Verhüllung des 'Vorgefallenen' an der Tagesordnung.

 

Das lief noch lange so. Es hieß unter anderem: ja der Hitler hat es 'nur gut gemeint', er wollte Deutschland groß machen (so sprach eine Musiklehrerin), oder: hätte er 'das mit den Juden' nicht gemacht, dann wäre es doch gut gewesen. Vor wenigen Jahren - nach dem 11. September 2001 - war von Seiten einer Hochbetagten zu hören: 'jetzt sehen die Amerikaner mal wie es ist, wenn auf Städte Bomben fallen!'.

 

Das kommt den weit verbreiteten und eingeprägten Figuren des Relativierens und Aufrechnens gleich, die Adorno unter dem Begriff des Schlaffen Bewusstseins subsumiert hat.

 

 

Das Organigramm des Gestapo-Beamten Heinrich Baab

 

Baabs Rechtfertigung stand im Einklang mit dem Verdrängen in weiten Teilen der Bevölkerung. Allzuviele hatten nicht widerstanden, sondern zugeschaut oder billigend hingenommen.

 

Er blieb unverdrossen stolz auf seine Leistungen. Beständig wurde in seinen Kreisen von 'Evakuierung' gesprochen. Das bedeutete: Rauswurf aus der Volksgemeinschaft aufgrund der Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinschaft, Heimat und Leben verloren durch Entzug!

 

Tatsächlich aber hatte Heinrich Baab einem mörderischen System gedient. Zwischen dem 1. August 1942 und dem 16.Juni 1943 wurde er 'wegen seiner sadistischen Verhöre zum personifizierten Schrecken...'. - Im September 1947 wurde er verhaftet. Im Beitrag von Alfons Maria Arns und Raphael Gross heißt es: Baab 'wurde nach einem aufsehenerregenden Prozess am 5. April vom Schwurgericht Frankfurt wegen Mittäterschaft in 55 Fällen des vollendeten und in 21 Fällen des versuchten Mordes sowie mehr als 50 Fällen der Körperverletzung im Amte, der Aussageerpressung und Freiheitsberaubung zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt'. - 'Heinrich Baab wurde am 21. Dezember 1972 krankheitsbedingt aus der Haft entlassen'.

 

Nach der Verurteilung Baabs schien für Frankfurter Justizkreise die strafrechtliche Ahndung der Gestapoverbrechen an Juden erledigt zu sein. Das galt für das gesamte Land und für weite Teilen der gesamten neuen Republik. Es galt bis zum Auftreten des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer im Jahre 1957 ein unrühmliches Versagen der Nachkriegsjustiz, von Adenauer gewollt und diktiert. In den Staatsdienst übernommene NS-Juristen kamen wieder in Amt und Würden. Der Justizapparat wurde bis ins oberste Ministerium hinein zur Hochburg ehemaliger Nazis.

 

Baab begab sich aber nicht in sein Schicksal, sondern versuchte von der Strafanstalt Butzbach aus mit Gnadengesuchen, Anträgen auf Wiederaufnahme und Memoranden Wirkung zu erzielen. Dies wurde begünstigt, da zu Zeiten des Urteils gegen ihn nicht auch gegen die ihm übergeordneten Beamten der Frankfurter Gestapo ermittelt wurde. 'Gegen mehrere Hauptverantwortliche, die damals untergetaucht waren, wurde nicht oder nicht intensiv genug gefahndet'. Baab berief sich auf den damals in aller Munde umgehenden 'Befehlsnotstand', er sah sich allein als '“kleines Rädchen und weisungsgebundener Beamter“', der 'zum Wohle Deutschlands seine Pflicht getan habe'. Insofern blieb er auch bis zuletzt stolz auf seine Leistung. Bei Monica Klingreen wird wohl auch zitiert: 'Am 6. März 1942 gab es ein Treffen aller Stapostellen bei Eichmann in RSHA in Berlin; dort wurde die Deportation von 55 000 Juden aus dem Reich, Wien und Prag geplant'.

 

 

Fragwürdige Nachkriegsjahre in der Justiz

 

Die Justiz tat sich bis zum Fall Demjanuk im Jahre 2009 über Jahrzehnte schwer, anstelle des unmittelbar konkreten Tatnachweises, der Umstände halber - auch mit der Zeit abnehmend - nicht ausreichend zu erbringen war, den Terminus 'objektiver Tatbeitrag' für die Urteilsfindung festzusetzen und anzuwenden, d.h. aber konkret: Beteiligung am „industriell durchgeführten Massenmord“.

 

 

Die Skizzen von Heinrich Baab

 

Mit seinen Skizzen hat er eine Art Prominenz erlangt. Es handelt sich zunächst um eine einfacher gehaltene Deportationsszkizze aus der Haft in Butzbach aus dem Jahr 1963 und weiterhin um einen präziser gehaltenen Deportationsplan aus dem Jahr 1966, der zeigt, wie die 'Judenevakuierungen' (eine verhüllende Vokabel) in den einzelnen Stationen der Ausbürgerung im Keller der Großmarkthalle angelegt waren. An der 4. Station wird eine 'Kennkarte' ausgehändigt, mit dem Aufdruck 'Evakuiert', bei Zahlung von 50 RM für den Transport in eine durch simplen Verwaltungsakt vollzogene Heimatlosigkeit. Seine dritte Skizze zeigt ein 'Organigramm zu den Deportationen' – offenbar so etwas wie das Steckenpferd dieses Schindknechts – aus der Stadt Frankfurt am Main hinaus, 'eingeordnet in die Gesamtorganisation des Massenverbrechens' unter Hitler, Bormann, Frick, Himmler, Eichmann und Schacht.

 

http://www.ffmhist.de/ffm33-45/portal01/portal01.php?ziel=t_jm_deportationen_1941_42

 

Die Karten vermitteln einen Eindruck von dem bürokratisierten Mord, der rechtfertigenden Sachlichkeit und Präzision des Räderwerks eines riesigen Apparats. Das Organigramm erinnert an ein Brettspiel für Erwachsene und Kinder von 1938, betitelt mit „Juden raus!“, in dem Juden wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel „rausgejagt“ werden.

 

Baab hat sich in einer Rolle des stolzen und wohlinformierten Mitwissers der NS-Maschinerie gefallen. Dabei war es ihm ein zentrales Anliegen, die vor Ort Verantwortlichen ins Organigramm einzutragen, ohne aber seinen eigenen Namen mit einzubauen. Traurig war zu jener Zeit, dass die Volkesstimme-Presse (FNP) ihm gewogen war, weil er den Selbstentlastungsversuchen der Verstrickten und der großen wie kleinen Täter eine Stimme gab.

 

Info: 'Erinnerungsstätte an der Großmarkthalle, Die Deportation der Juden 1941-1945, Raphael Gross und Felix Semmelroth (Hrsg.) im Auftrag der Stadt Frankfurt am Main, Fotodokumentation von Norbert Miguletz, Prestel Verlag, München 2016 ISBN-978-3--7913-5531-3