Die Frankfurter Römerberggespräche - 12.März 2016 - luden ein zur Verteidigung der Republik

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Thematischer Schwerpunkt sind die drei Grundsatzreferate zu den Römerberggesprächen. Der Frankfurter Kulturdezernent Felix Semmelroth sprach zur Einleitung des Tages warnend von dem aus-der-Mitte-Gleiten 'ganz normaler Bürger' im Zusammenhang mir dem Erfolg der Rechtspopulisten und noch extremer Gestimmten, ja sogar von einem 'Extremismus der Mitte'.

 

Mit Stimmungen Politik machen muss dem Demokraten ein Geht-gar-nicht sein, das Aufklären über diffuse, aufgeladene, hysterische Stimmungen ist die klügere Vorgehensweise.

 

60 Prozent gingen nicht zur Kommunalwahl, sie haben damit auch 'Frankfurt zum Spielball von Interessen gemacht', wie Klaus Philipp Mertens in dieser Zeitung schrieb, haben sich aber auch ihr Eigentor geschossen. Semmelroth zitiert den später ans Pult tretenden Redner des Tages Udo di Fabio, der von einem 'Versagen des Westens' sprach; verfasste, alteingeschriebene Normen geraten unter Druck, es scheint etwas am Erodieren, wenn Andersdenkende zu Feinden erklärt werden. Die Diskurskultur ist zerrüttet, man hält es mit der Unversöhnlichkeit, dem platzverweisenden 'Tertium non datur'.

 

 

Udo di Fabio: Ob wohl das Fundament des Westens uns Rutschen gerät?

 

Udo di Fabio hatte das Gutachten zur Grenzsicherung für die CSU verfasst. Ohne diesen Aspekt zur Hauptsache zu erheben: es ging di Fabio nicht darum, die Staatlichkeit als Anwalt gegen ein Überborden von Offenheit und Liberalität zu stilisieren. Das Gutachten benennt einen Grundkonflikt: den zwischen einer angeblich oder wirklich überzogenen Supranationalität Brüsseler Machart, die als ein übermächtig Verhängtes erscheint und der fundamentalen 'Volkssouveränität'. Zwischen diesen Polen spielt sich eine juristische Kontroverse ab, die immer wieder dialektisch zu schlichten ist.

 

Es ist leicht, der Entgrenzung und dem Partikularen das Wort zu reden und das Gegenüber als dürren Konstruktivismus und als Ausbund der Überregulation zu verwerfen. Doch ein Diktat der einfachen Mehrheit zu Gericht, wie der in Polen tobende Konflikt andeutet, wäre keine Lösung. Demokratien sind unter Druck gekommen, ein Misstrauen gegen Institutionen machte sich breit, der Anstand von Regierungen schwand, aber Orban und Erdogan zu umarmen und sich für Seehofer zu entscheiden, der nichts Klares weiß, ist keine Alternative. Die fluchtverliebten Anarchen vor den Verfassungen 'haben keine Antwort'. Es sind 'Attacken' auf das sonst sehr attraktive westliche Gesellschaftsmodell.

 

Am Beispiel der Türkei ist zu verfolgen, wie etwas ins Rutschen kommt, das eine verhängnisvolle Eigenlogik annimmt. Vorbild der demokratieabträglichen Deregulierungen war die Entgrenzung der Finanzmärkte, um – wie von Gerhard Schröder propagiert – 'Verkrustungen zu schleifen'. Markt wurde in Macht überführt, wie vollzogen im brutalen chinesischen Kaderkapitalismusmodell. Der Weg zu einer rechtlich befriedeten Weltzivilisation, die sich dialektisch und in Balancen voran arbeitet, ist aber unabweislich.

 

Ein Einwand: Die Verfassungsgebung, orientiert an menschenrechtlichen Grundsätzen, sie ist wohl unabgeleitete Grundlage, aber der Weg zum Weltrecht eines Naturrechts der menschlichen und natürlichen Würde ist mit einem UN-Recht, einem EU-Recht und einem posthum in Aktion tretenden internationalen Strafgerichtshof noch am Anfang. Den Menschenschindern in den fehlenden Regionen wäre umgehend entgegenzutreten, besonders denen mit den wirtschaftlichen Motiven. Es bedarf größter Anstrengungen, um zu dem - von Kant eingeforderten - 'ewigen Frieden' zu gelangen, der sich in Schritten regulativ voranarbeitet. Ein Satz von di Fabio lautete noch: bei aller Tendenz zum nationalen Protektionismus und zur volksgemäßen Renationalsierung - 'Nerven behalten!'.

 

 

Phillip Ther: Kapitalismus im Stressmodus

 

Ther handelte von der Krallung der Staaten durch das autonom gewordene Geld, dem Wesenskern des Neoliberalismus, mit Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung, handelte vom Zurückfahren des Sozialstaates und einer Überhöhung des Marktes, sprach den Radikalismus und Extremismus der neuen Ökonomie der 'Parallelgesellschaften' (nach Rainer Voss; Film: 'Master of the Universe') an.

 

Die Überschuldung Lateinamerikas war die Blaupause für die darauf verhängte Wirtschaftspolitik. Zuvor war nach dem Ölpreisschock überreichliches Geld unter die Leute, bzw. Staaten, gebracht worden, absehbare Überschuldung miteinprogrammiert. Nur, eine Entwicklung über den Weg der Verschuldung, funktioniert nicht, sie führt in die Schuldenfalle, wie sich später am Beispiel Argentiniens nochmal zeigte. Die Einpfropfung überbordenden Geldes schuf scheiternde Staaten, die etwas Besseres verdient hätten.

 

Entscheidend wurde das 'globale Jahr' 1989. Ein tonangebender Milton Friedman, Meisterdenker des Neoliberalismus, predigte freien Markt und minimierten Staat. Er kam 1980 mit der 5-teiligen Fernsehdokumentation 'Free to choose' daher. Dem 'Failure of Socialism' setzte er den 'Cry for Freedom'' entgegen, das Eingehen von 'Risks' und das 'Make your own Choices'. Für Tausendsassa Friedman war der eigentlich zurückhaltende Adam Smith Gewährsmann. Ronald Reagan und Arnold Schwarzenegger mischten in den steilen Achtzigern, dem Jahrzehnt der wieder gesellschaftsfähigen Gier, schauspielernd mit.

 

Kredite waren durch den IWF immer an soziale Einschnitte gebunden. Diese hielten die Geldmaschine am Laufen, machen sie umso größer – und sie schufen Abhängigkeit. Die Sowjetunion bekam ihr Schockprogramm in Neoliberalismus verpasst. Folge war das sagenhafte Vermögen der Ultrareichen. Die deutsche 'Streuhand' schloss mit einem Defizit von 250 Mrd., eine Klientel war bedient. Merkel lässt treiben und geht dann in den Krisenmodus über. Dieser herrscht vor. Mit der Deregulierung und Entstaatlichung hat sich der Staat kastriert, eine Gestaltung ist kaum mehr sichtbar. Kriseninterventionismus ist zum Normalprogramm geworden.

 

 

Robert Misik: Kapitalismus im Stressmodus: mit 'Kaputtalismus'

 

Der berüchtigte Dominoeffekt stand 2008 an, das System wurde gerade nochmal gerettet. Nach Neoklassik und Effizienzlehre hätte es gar keine Krise geben dürfen. Gemäß dieser nämlich handeln die Marktteilnehmer naturgegeben (nach der unsichtbaren Hand) rational. Im Neoliberalismus läuft aber seit 30 Jahren etwas falsch. Er war die Reaktion auf die Krisenentwicklung des Kapitalismus. Griff Keynes´ Lehre mit Wohlfahrtsstaatsorientierung und Deficit spending (Anregung des Wirtschaftsprozesses durch staatliche Investitionen) nicht mehr? Arbeitsplätze wurden vernichtet, ohne dass genügend neue entstanden, nicht jeder verlorene Arbeitsplatz kann durch einen ganz neuen ersetzt werden. Dies erforderte staatliche Investitionsanreize und die Umlegung der Produktivitätsfortschritte auf alle.

 

Die Finanzmärkte wurden aufgebläht, weil Produktivität und Erneuerung lahmten. Jeder kann sich alles vorstellen, nur nicht, dass es den Kapitalismus nicht mehr gibt. Aber er 'krächzt und stöhnt' nun. Früher erschien Stagnation als eine Ausnahme. Auch aufgrund einer wegbrechenden Innovation kommt es nicht mehr zur Prosperität (Umleitungseffekte noch unberücksichtigt). 2003 fand ein Abkoppeln der Arbeitsplätze statt, es findet sich der 'Bogenhaken nach unten', im Diagramm. Die Regierung bleibt im Notfallmodus. Motto: Maschine kaputt – Eliten haben keinen Plan, Angst entsteht - Notprogrammverhandlungen bis tief in die Nacht, autoritäres Regieren dominiert - mit der ominösen schwarzen Null).

 

Krisenkapitalismus ohne Vision, Maschine kaputt, eben Kaputtalismus.

 

Foto: Logo Römerberggesprache