Weil er Hakenkreuze und Neonazi-Parolen übermalte, erfährt in Limburg an der Lahn ein Pädagoge die Ignoranz von Behörden und Justiz

 

Klaus Philipp Mertens

 

Limburg an der Lahn (Weltexpresso) - Der im Schuldienst tätige Sozialpädagoge Ralf Bender entdeckt im Umfeld zweier Schulen Hakenkreuze und andere verfassungsfeindliche Symbole und Parolen auf städtischen Straßenlaternen, Verkehrsschildern und Müllbehältern. Am Tag darauf informiert er mündlich und schriftlich (per Fax) das Ordnungsamt und fordert dazu auf, die Nazi-Schmierereien spätestens bis zum Ende der hessischen Osterferien in zwei Wochen zu entfernen. Denn er möchte die Schüler nicht mit rassistischer Hetze konfrontiert sehen.

 

Als die Behörde zwei Wochen untätig bleibt und auch sonst nicht auf seine Anrufe reagiert, legt er am 13. April selbst Hand an. Schließlich ist die Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen eine Straftat (§ 86 a StGB). Beim Unkenntlichmachen von Aufklebern und Aufmalungen an 14 Objekten verläuft Sprühfarbe an einigen Stellen auf die Träger (Masten, Pfosten etc.). In den meisten Fällen in der Form schmaler Farbnasen. Bender dokumentiert das exemplarisch durch Fotos. Die von einem Anwohner herbeigerufene Polizeistreife unterstützt er bei der Erstellung eines exakten Protokolls. Am übernächsten Tag informiert er die Behörde und verweist auf den zu erwartenden Polizeibericht.

 

Vier Monate später, am 13. August 2013, erhält er eine Rechnung der Stadt Limburg. Die verlangt von ihm für die Beseitigung der Sprühfarbe an städtischem Eigentum die Erstattung der Kosten in Höhe von 3.278,17 Euro. In der Auflistung der verunreinigten Gegenstände werden nicht nur die 14 Objekte benannt, die im Polizeiprotokoll festgehalten sind, sondern weitere an anderen Orten. Ralf Bender widerspricht dieser Forderung schriftlich und unverzüglich. Insbesondere verweist er auf das Polizeiprotokoll, das die Lokalitäten genau bezeichnet. Für anderes sei er nicht verantwortlich. Es entstünde deswegen der Eindruck, dass man ihm nicht nur die Beseitigung der Spuren seiner Aktion anlaste, sondern auch die Entfernung der verfassungsfeindlichen Symbole und Parolen, die von Kriminellen aufgebracht worden seien. Zudem seien die Arbeits- und Materialkosten nicht spezifiziert.

Bender schildert in seinem Schreiben auch ausführlich, warum er sich als Pädagoge und Beamter zu einer Handlung im Sinn der Gefahrenabwehr veranlasst sieht, die eigentlich zu den Pflichten des Staats gehöre.

 

Mit Schreiben vom 16. September 2013 reduziert die Stadt Limburg ihren Anspruch auf 1.133,20 Euro. Ralf Bender akzeptiert auch diesen Betrag nicht. Am 24. Juni 2014 berichtigt die Behörde ihre Forderung erneut: Nunmehr werden 991,55 Euro in Rechnung gestellt. Der Arbeitsaufwand wird mit 24,5 Stunden beziffert, wobei dieser aus dem Aufwand für die Reinigung von 36 Objekten (!) errechnet wird. Und nicht aus den 14, zu denen sich Bender ausdrücklich bekennt! Über das Ausmaß der Verunreinigung an den anderen 22 schweigt sich die Ordnungsbehörde aus. Sie spricht nur allgemein von großflächiger Verunreinigung, was für Benders Aktion nachweislich nicht zutrifft. Mutmaßlich führt der städtische Betriebshof keine detaillierten Arbeitsnachweise. Und augenscheinlich macht man es sich einfach, zu einfach, und rechnet einfach alles zusammen. Auf diese Weise bestimmen die zwei Drittel, die Bender nicht übermalt hat, dessen anteilige Zahllast.

 

Gegen die Verursacher der rechtsradikalen Plakatierungen stellt die Behörde, die im Sinne des Hessischen Gesetzes über Sicherheit und Ordnung HGSO auch als Ordnungsbehörde fungiert, keine Strafanzeige.

 

Auch der Materialverbrauchsnachweis des Betriebshofs lässt alle Fragen offen. Denn die Rechnung, die man präsentiert, datiert aus der Zeit nach der Reinigung, trägt aber den Vermerk, dass das Rechnungsdatum auch das Lieferdatum sei. Es mag sein, dass man sich mit Graffiti-Lösern neu eindecken musste. Aber gibt es denn keine Lieferantenrechnung über den vorherigen Materialeinkauf? Es lässt sich immerhin nicht ausschließen, dass die verbrauchten Mittel preiswerter waren. Oder soll noch ganz anderes verborgen werden?

 

Da Bender nicht zahlt, reicht die Stadt Limburg am 18. August 2014 eine Schadensersatzklage beim Amtsgericht Limburg ein. Die Verhandlung darüber findet am 18.11.2014 vor dem Amtsgericht Limburg statt.

 

Die zuständige Richterin lässt eine Erörterung der städtischen Kostenrechnung nicht zu. Auch das bei Schadensersatzansprüchen vielfach greifende Gebot der Schadensminimierung durch den Geschädigten (§ 254 BGB) wird nicht einmal ansatzweise thematisiert. Immerhin sollte in diesem Fall die Unterscheidung zwischen ursprünglicher Sachbeschädigung (die eine verfassungsfeindliche Straftat ist) und Benders Übermalungen von Bedeutung sein. Die Richterin weigert sich auch, auf die moralischen Beweggründe Ralf Benders einzugehen, der sich als Sozialdemokrat im Sinne Otto Wels‘ versteht. Und er verweist immer wieder auf die brandenburgische Stadt Zossen. Dort habe eine Bürgerinitiative mit ausdrücklicher Genehmigung der Polizeibehörde Nazi-Schmierereien übermalt. Bereits vor Beginn der Verhandlung verweigert die Richterin dem Fernsehteam des Hessischen Rundfunks Bild- und Tonaufnahmen im Gerichtssaal, was den Redakteur Andreas Hieke zu heftigem Protest veranlasst. Dem wird daraufhin mit Verweis aus dem Saal gedroht.

 

Im Protokoll über die Verhandlung bleiben die Nichtanerkennung von Beweismitteln sowie die Nichtbefassung mit der nicht plausiblen Rechnungsstellung der Klägerin unerwähnt. Folglich überrascht das Urteil nicht: Ralf Bender wird dazu verurteilt, die Rechnung der Stadt Limburg zu zahlen.

 

Erwartungsgemäß will sich der Pädagoge mit dieser Entscheidung nicht abfinden. Er legt über seine Prozessbevollmächtigte Widerspruch beim Landgericht Limburg ein. Doch die Anwältin ist offensichtlich unerfahren. Statt auf die Verfahrensmängel, insbesondere die Nichtbehandlung von Beweismitteln, dezidiert einzugehen, die gleichzeitig Merkmale für die unterschiedliche rechtliche Beurteilung der Rechtssituation durch Klägerin und Richterin einerseits und den Beklagten andererseits sind, erschöpft sie sich in der Darstellung biografischer Details Ralf Benders (sozialdemokratisches und antifaschistisches Elternhaus, regelmäßig Teilnahme an antifaschistischen Aktionen). Am 20. November 2015 verwirft das Landgericht Limburg die Berufung durch Beschluss. Die zaghaften Hinweise der Anwältin auf die Nichtnachvollziehbarkeit der städtischen Kostenrechnung werden als nichtzulässige nachträgliche Einführung von Beweismitteln verworfen. Die Nichtansetzung einer Verhandlung wird mit der Aussichtslosigkeit des Widerspruchs begründet.

 

Ralf Bender versucht daraufhin mit einer Verfassungsbeschwerde seinen grundgesetzlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Artikel 103 GG) durchzusetzen. Doch die Anwältin begründet die Beschwerde fälschlicherweise mit Berufung auf Artikel 1, Absatz 1 (Menschenwürde) und Artikel 19, Absatz 4 (Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt), die im konkreten Fall lediglich sekundäre Bedeutung besitzen. Das Bundesverfassungsgericht lehnt es am 18. Februar 2016 ab, sich mit der Beschwerde zu befassen.

 

Auch mit einer Strafanzeige gegen den seinerzeitigen Bürgermeister der Stadt Limburg wegen des Verdachts der Täuschung (Kostenrechnung des städtischen Betriebs) dringt er nicht durch. Sowohl die Staatsanwaltschaft Limburg als auch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt als Beschwerdeinstanz sehen keinen Anlass für einen Anfangsverdacht und die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens.

Dabei weist die im Verfahren veröffentlichte interne Rechnung des städtischen Betriebshofs erhebliche Mängel in der Betrieben auferlegten ordnungsgemäßen Buchführung auf. (GoBD des Bundesfinanzministeriums, letzte Fassung vom 14.11.14).

Ralf Becker prüft nun den Gang zum Oberlandesgericht.

 

Ralf Bender ist ein gradliniger Mann. Für manche sicherlich zu gradlinig. Kompromisse bei Vorgängen, die das Leben und das Recht der Menschen gefährden könnten, lehnt er ab. Das Schicksal der 6 Millionen ermordeten Juden bestimmt sein politisches Gewissen. Und so empört er sich. Nicht als Wutbürger, sondern als Verfechter von Humanität, Gerechtigkeit und Solidarität.

 

 

 

Info:

 

Der Frankfurter Literatur- und Kulturverein PRO LESEN e.V. hat Ralf und seinen Zwillingsbruder Reiner Bender zur Donnerstagabend-Lesung am 14. April 2016 insBibliothekszentrum Sachsenhausen eingeladen (18 - 19 Uhr). Themen sind die Haltung der Evangelischen Kirche gegenüber ihren judenchristlichen Pfarrern in der NS-Zeit und der Umgang mit neo-nazistischen Aktivitäten heute.

Während der gesamten Woche (11. - 16. April 2016) gibt es eine kleine Buchausstellung unter dem Thema »Ausgetan aus dem Land der Lebendigen«.

 

Die gesamte Themenwoche versteht sich als Kontrast zu ›Frankfurt liest ein Buch‹, dessen Organisatoren dieses Mal leider eine wenig glückliche Hand bewiesen haben.

Der Eintritt zu Ausstellung und Lesung ist frei.

 

Näheres im Internet: http://www.pro-lesen-frankfurt.de.