Österreicher entschieden sich für das kleinere Übel

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Wer Alexander Van der Bellen in seiner ganzen Hilflosigkeit während des Streitgesprächs mit seinem Rivalen Norbert Hofer im Fernsehen erlebt hat, der machte sich fortan keine Illusionen: Dieser Mann würde die Probleme des Landes niemals lösen können, sollte er das Rennen um das Amt des österreichischen Bundespräsidenten gewinnen.

 

Nun hat es der grüne Politiker geschafft, den Kandidaten der Freiheitlichen Partei mit einem hochdünnen Vorsprung zu überrunden und damit den befürchteten Triumph der Rechtspopulisten zu verhindern. Ein Grund zur Erleichterung ist das nicht, und zwar nicht nur, weil die Ursachen der seit Jahren virulenten nationalistischen Grundströmung im Lande fortbestehen, sondern auch weil Van der Bellen, anders als seine politische Heimat verspricht, eher einen konservativen  Kurs verfolgt.

„Hinter seinem zur Schau getragenen Humanismus erfüllt Alexander Van der Bellen alle Voraussetzungen, um den politischen und wirtschaftlichen Eliten in Brüssel und Washington zu gefallen: neoliberal, weltoffen. NATO-affin, Russland-feindlich und – wenn es sein muss – autoritär.“ Zu diesem Schluss kam Hannes Hofbauer einen Tag vor der Stichwahl in der Zeitung „Neues Deutschland“. Schon im Krieg der NATO gegen Jugoslawien habe Van der Bellen, damals außenpolitischer Sprecher der Grünen, eine „bellizistische Linie“ vertreten. Auf die Frage, ob NATO-Flugzeuge für ihren Kriegseinsatz über das neutrale Österreich fliegen sollten, habe er im November 1998 in der Zeitung „Falter“ geantwortet: „Naja, sicher.“

Wirtschaftspolitisch gehört Van der Bellen nach Einschätzung Hofbauers dem rechtsliberalen Flügel der Grünen an. „Als Ökonom bin ich natürlich ein Anhänger des Freihandels“, habe er vor einem halben Jahr im Interview mit der Wiener Zeitung „Die Presse“ gesagt.  Erst als Norbert Hofer seine Gegnerschaft zu dem transatlantischen Freihandelsabkommen herausgestellt und damit die Mehrheit der Österreicher hinter sich gewusst habe, sei Van der Bellen zaghaft in Richtung Kritik an TTIP eingeschwenkt.

Nachdem sich bei einer Umfrage in Österreich 31 Prozent der Befragten für einen Austritt aus der EU ausgesprochen hatten,  bezeichnete Van der Bellen sie herablassend als „Falschwähler“. Was aus seinem Versprechen werden würde, als Bundespräsident niemals einen Angehörigen der FPÖ auf das Amt des Bundeskanzlers zu vereidigen, so darf füglich angenommen werden, dass er sich daran nicht mehr gebunden fühlen würde, oder, was wahrscheinlicher ist, gebunden fühlen dürfte.

Jeder zweite österreichische Wähler hat sich am Sonntag dafür ausgesprochen, das höchste Staatsamt einem Rechtspopulisten anzuvertrauen. Das sagt einiges aus über die Stimmungslage im Lande, die von den etablierten ehemals großen Parteien entweder nicht wahrgenommen oder negiert worden ist, bis der Druck von rechts außen so stark wurde, dass sie, insbesondere im Hinblick auf die Zuwanderer-Problematik, teilweise die rabiate Tonlage der Rechtspopulisten übernahmen. In wenigen Tagen werden sich die verantwortlichen Politiker allüberall in Europa erleichtert über den (Schein)-Sieg Van der Bellens zufrieden zurücklehnen. Ist ja noch mal gut gegangen.