Die große Koalition vertritt nicht die Marginalisierten, sondern die, die am Drücker sind, ist das ergebnis einer Veranstaltung im Haus am Dom in Frankfurt am Main
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein Teil der Partei der Grünen scheint es anscheinend begriffen zu haben: die Deregulierung des Arbeitsmarktes nach 2002 und die Hartz-IV-Gesetzgebung ab 2004 waren doch nicht so zielführend wie immer behauptet.
Wenn sie denn überhaupt mit Sinn und Verstand gedacht waren, um den Arbeitsmarkt anzuregen - oder waren die Gesetze nicht doch mehr als Zuwendung an die befreundete Lobby der damaligen Agenda-2010-Mannschaft um Müntefering und Clement gedacht? Fest steht, dass die Reformen zu wenig durchdacht, schlecht geplant und dazu noch dilettantisch umgesetzt waren.
Man gesteht nun auch in einem offiziellen Rahmen ein, die Büchse der Pandora geöffnet zu haben: mit Leiharbeit, Niedriglohn und Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien. Das sprang als Fazit eines Vortrags mit anschließender Diskussion im Haus am Dom von Frankfurt am Main besonders heraus.
Angekündigtes Thema war: ‚Zur Entwicklung von Einkommensungleichheit, deren Ursachen und Folgen‘ mit Dorothee Spannagel, Referentin des WSI der Hans Böckler-Stiftung und dem MDB von Bündnis 90/Die Grünen Wolfgang Strengmann-Kuhn, Moderator des Abends. Aus dem Umfeld der Partei der Grünen haben wir die Einsicht in die Mängel der Deregulierung noch nie so ausdrücklich bestätigt gehört.
Arbeitsmarktreformen, deren Funktion die Entwertung der Arbeitenden war
Am 30.12.2014 zitierte hr-hessenschau mit einer skeptisch-kritischen Schlussfolgerung aus dem Hause DGB: ‘…die Reform zwinge Arbeitslose schlechtere Arbeit anzunehmen. So habe Hartz IV hauptsächlich dafür gesorgt, dass Arbeitgeber billige Arbeit finden‘. Die Reform brachte mehr ‚Verhinderung‘ von guter Arbeit (für gut Ausgebildete), denn Förderung.
Das kürzlich novellierte Leiharbeitsgesetz bedeutet keine Zurücknahme der Fehlentwicklungen, sondern geradezu noch eine grundsätzliche Bestätigung des Verfehlten. Das Gesetz ist Kosmetik, die Sand in die Augen streut. Es bleibt Arbeitgebern immer noch die Möglichkeit, abwertend mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern umzuspringen. Schuld daran sind die christdemokratisch Sozialen, die gerne großen Mächten – oder was sie dafür halten - zuspielen. Ohnehin ist klar: wer CDU wählt, ist beim Chef angesehener und der hält dann die Hand über einen.
Die in der Sozialarbeit Tätigen wissen aus anschaulicher Praxis um die degradierende Abwertung und Erniedrigung, die mit Leiharbeit, Niedriglohn und Hartz IV verknüpft ist. Wer mit Hartz IV-Betroffenen arbeitet, vermag die miese Art des Heuern und Feuerns, der Entwürdigung von Menschen um der Gewinnmaximierung willen und um den politischen Sparmeister rauszuhängen, kaum zu ertragen. Rausgeschmissen wird, weil das wirtschaftliche Kalkül Amok läuft. Als Kettenverträge noch verboten waren, wurde die Ausleihe von Arbeitskraft noch relativ gut entgolten, da der Markt noch nicht vom Raubtierkapitalismus (Max Otte) dominiert war.
Übrigens sollten Leiharbeitskräfte besser bezahlt werden als die Stammbelegschaft, weil die degradierende Verfügbarkeit sich fairerweise im Preis niederschlagen muss, wie in anderen Ländern üblich. Es geht auch weniger darum, Nachfragespitzen abzufangen als vielmehr Lohndrückerei nach Art derer von Schröders zu betreiben.
Herrn Strengmann-Kuhn gefragt, ob denn die gewollte, politisch organisierte Lohndrückerei abgehakt bleiben dürfe oder nicht doch dereinst korrigiert, wiedergutgeschrieben und erstattet werden müsste, lässt ihn zu einer Sprachformel greifen. Wie üblich beim Finanzthema in den Jahren der Krise. Immerhin waren die Schröderjahre eine Zeit der Untreue der politischen Klasse im Verhältnis zu den ihr Schutzbefohlenen, die das Personal der Heimtücke einst ahnungslos gewählt hatten.
Die Reform ist reine Kosmetik
Als wesentlicher Punkt ist zu betrachten - die christliche Union hat dafür gesorgt -, dass zwischen Perioden zusammengezählter Leiharbeitszeiten nicht, wie von Andrea Nahles zunächst geplant, sechs Monate liegen müssen, sondern die Unterbrechung generell auf drei Monate verkürzt ist, bis Ausgeliehene wieder im selben Betrieb beschäftigt werden können. Erst nach 9 Monaten Leiharbeitsverhältnis sollen Beschäftigte den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft erhalten, was die gezielte Herabsetzung und Demütigung zementiert. Aber der Christ-DU-ler ist bedenkenlos in der Abwertung seiner Artgenossen durch Missgebrauch, die einzig und allein der rohen Herrenkaste dient, zu der sich die CDU milieumäßig hinzuzählt.
Die Zeitungen titelten Mitte Mai 2016 überwiegend gleich gegen diesen fragwürdigen, nicht wirklich geminderten Spielraum für Leiharbeit. Ein Leserbriefschreiber der FR reagierte indem er schrieb: ‚Die Neuregelung implementiert aber diesen Missbrauch, indem sie ihn zwar mindert, aber faktisch diese Zweiklassengesellschaft anerkennt‘. Außerdem blieben auch Schlupflöcher um gleiche Bezahlung zu vermeiden, indem sie zum Beispiel die Beschäftigten nach neun Monaten ganz regulär entlassen‘. (Robert Maxeiner, FR vom 23.05.2016)
So geht das Abwertungs- und Erniedrigungsgeschäft, das parallel auch ein Enteignungsprogramm einschließt, munter unter christlichem Gepräge weiter.
Eine Einschränkung der Leiharbeitnehmerüberlassung ist nicht nur deswegen zu fordern, weil die Arbeitenden nicht um den Wert ihrer Arbeit, ihres Ertrags und ihres Einsatzes gebracht werden sollten, sondern auch weil die Schieflage in Europa als Folge des von Deutschland unfair überzeichneten Wettbewerbs reduziert werden muss – die auch die Rechtsentwicklung befördert - und ebenso, weil die von den Arbeitnehmern weggelenkte Finanzmasse nicht noch weiter die spekulativen Finanzmärkte befeuern darf.
Große Vermögen werden immer weniger in die Realwirtschaft investiert, landen in den sich selbst reproduzierenden, sich selbst vermehrenden Kapitalanlageformen, die das Kapitaleinkommen einer exponentiell wachsenden Vermögensschraube befüttern. Der Anteil der Arbeit ist langfristig von 65 auf 55 Prozent gefallen, der der Nicht-Arbeit entsprechend gestiegen. Es geht auch darum, neue Blasen zu verhindern.
Die jetzige Neunmonatsregelung ‚zugunsten‘ der Gleichstellung ist auch verfehlt, weil die Hälfte der Zeitarbeitsverhältnisse nur drei Monate währt. Und nur jeder Vierte ist länger als neun Monate beschäftigt. So wäre es recht und billig, jedes Zeitarbeitsverhältnis wie ein Normalarbeitsverhältnis – oder besser - zu entgelten, damit für die Betroffenen wenigstens der stinknormale Anteil eines Normalarbeitsverhältnisses rüberwächst.
Info:
Reihe Böll Economics, 23.05.2016, Haus am Dom, Domplatz 3, Frankfurt am Main
http://www.boell-hessen.de/wp-content/uploads/2016/05/Folien_Spannagel-Vortrag_Böll-Economics_23.05.2016.pdf
http://boeckler.de/index_wsi.htm