Obamas Besuch in Hiroshima und eine vergessene Rede Joachim Gaucks

Kurt Nelhiebel

Brmen (Weltexpresso) - Wird er oder wird nicht?  Seit bekannt war, dass Barack Obama als erster US-Präsident Hiroshima besuchen wird, haben Journalisten in aller Welt darüber gerätselt, ob er sich wegen des Atombombenabwurfes vom August 1945 entschuldigen werde. Niemand, der ernst  genommen werden will, hat sich an diesen Spekulationen beteiligt.

 

Erwartungsgemäß beließ Obama es denn auch bei Worten des Gedenkens an die unschuldigen Opfer des Krieges und der Forderung nach einer Welt ohne Atomwaffen. .

Mit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki erzwangen die USA im August 1945 die bedingungslose Kapitulation  Japans, das die Vereinigten Staaten 1941 mit dem Angriff auf deren Pazifik-Flotte in Pearl Harbour ohne vorherige Kriegserklärung herausgefordert hatte.  Der zweite Weltkrieg, dem schätzungsweise 60 Millionen Menschen zum Opfer fielen, war damit endgültig zu Ende. Die beiden Atombomben töteten  92.000 Menschen auf der Stelle, 130.000 starben in den vier Monaten danach, weitere er erlagen der radioaktiven Strahlung in den folgenden Jahren. Ob ihr Einsatz militärisch notwendig war, ist umstritten.

In Ihrem Buch „Gesichter des Bösen“ (Donat-Verlag Bremen) vertreten der Jurist Till Zimmermann und der Historiker Nikolaus Dörr die Ansicht, nach geläufigen juristischen Verbrechensdefinitionen ließen sich die Opfer von Hiroshima mit denen von Auschwitz vergleichen. Eine bloß juristische Betrachtung verbietet sich aber sowohl  in dem einen wie dem anderen Fall, es sei denn, man  lässt alle moralischen Maßstäbe beiseite und legt es darauf an, die Singularität von Auschwitz zu leugnen. Solche Versuche hat es immer wieder gegeben, insbesondere von Seiten notorischer Antisemiten und Anhängern der Nazi-Ideologie, obwohl selbst sie das Monströse des Massenmordes an den Juden niemals in Frage gestellt haben.

Bundespräsident Joachim Gauck sagte am 27. Januar 2015 mit Blick auf Auschwitz, er werde Zeit seines Lebens darunter leiden, dass die deutsche Nation „mit ihrer so achtenswerten Kultur zu den ungeheuerlichsten Menschheitsverbrechen fähig“ gewesen sei. Selbst eine noch so überzeugende Deutung des „schrecklichen Kulturbruchs wäre nicht imstande, mein Herz und meinen Verstand zur Ruhe zu bringen“. Das hörte sich früher ganz anders an. Da betrachtete er Auschwitz losgelöst von der deutschen Verantwortung als ein Problem der modernen Zivilisation, wie es deren mehrere gegeben habe, den Gulag zum Beispiel und Hiroshima. Gauck bezog sich dabei auf den polnisch-britischen Soziologen Zygmunt Baumann, der sich vom ehemaligen politischen Kommissar der Roten Armee zum antikommunistischen Einpeitscher gewandelt hat.

In einem Vortrag zu dem Thema „Welche Erinnerungen braucht Europa?“ zitierte Gauck am 28. März 2006 Baumanns Aussage, der Holocaust sei inmitten der modernen, rationalen Gesellschaft konzipiert und durchgeführt worden, in einer hoch entwickelten Zivilisation und im Umfeld außergewöhnlicher kultureller Leistungen; er müsse daher als Problem dieser Gesellschaft, Zivilisation und Kultur betrachtet werden. Die Moderne habe die Bindung des Menschen an Gott aufgegeben. So sei ein spezifisch moderner Charakter des Inhumanen  entstanden, der dann „den Gulag, Auschwitz oder Hiroshima“ ermöglicht und diesen vielleicht sogar unvermeidlich gemacht habe. So weit Baumann, setzte Gauck hinzu, um dann auszurufen: „Folgen wir ihm“. Als wolle er das Atemberaubende des Gesagten übertünchen, fuhr er fort:, „Begreifen wir: Humanität ist nie im sicheren Hafen“. Eine Aussage, der niemand widersprechen wird. So weit, so schlimm.

Als Ernst Nolte 1980 den Holocaust als Reaktion auf die Verbrechen Stalins in den asiatischen Verbannungslager (Gulag) verglich, führte das zu einer heftigen Debatte, die mit der Absage an jede Form der Relativierung von Auschwitz endete. Als der Gründer des französischen Front National, Jean-Marie Le Pen, 2015 die Gaskammern der Nazis als „Detail der Geschichte des zweiten Weltkriegs“ abtat, wurde er aus seiner Partei ausgeschlossen. Und was geschah  mit Joachim Gauck, der 2006 die deutsche Verantwortung für den Massenmord an den Juden im Nebel vermeintlicher Fehlentwicklungen der menschlichen Zivilisation verschwinden ließ?  Er wurde zum Staatsoberhaupt gewählt, und wenn nicht alles täuscht, sähen es viele gern, wenn er weitere fünf Jahre im Schloss Bellevue bliebe. Dann sollte er aber doch vorher sagen, welche seiner Meinungen zu Auschwitz die zutreffende ist.