Jens Wernicke (im Bild) im Gespräch mit Peter Menne, Teil 2/2
Jens Wernicke
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Peter Menne sagt: Was generell fehlt, was bei all den internationalen Abkommen eigentlich längst überfällig wäre, ist eine international einheitliche Unternehmenssteuer ? aber nicht etwa am unteren Ende des Steuersenkungswettlaufs, sondern besser am anderen. In der EU werden allererste Ansätze hierzu diskutiert ? die aber längst nicht ausreichen.
Und macht derlei dabei das Gros der „Wirtschaftskriminalität“ in Ihrem Sinne aus? Oder was gibt es da noch, dass die Mächtigen dieser Welt aus Profitinteresse gegen das Gemeinwohl praktizieren, von dem jedoch kaum jemand weiß oder spricht? Aktuell fordert ja etwa Filmemacher Michael Moore gerade die Inhaftierung des Gouverneurs seines Bundesstaates, da der für eine kriminelle – und übrigens mit dem Totschlagargument der „leeren öffentlichen Kassen“ neoliberal herbeiideologisierte – Umweltverschmutzung, dank derer 100.000 Menschen vergiftet wurden, verantwortlich sein soll! Das ist schon harter Tobak, aber sicher auch ein Einzelfall…
Auch jeder Amoklauf ist ja immer ein „Einzelfall“. Aber das ist erst die halbe Wahrheit: schaut man sich mal die Waffengesetze an und rechnet die Opfer pro Jahr zusammen, dann sieht man schon deutliche Unterschiede zwischen dem Risiko, in Deutschland oder in den USA Opfer eines Amokläufers zu werden… Absolute Sicherheit gibt es keine, auch keine vor Verbrechen. Aber höchst unterschiedliche Gefährdungen gibt es schon: Statt also „Einzelfälle“ zu beschwören, gilt es, das Risiko abzuschätzen und auf ein erträgliches Maß zu senken.
Genau das gilt auch für „Wirtschaftskriminalität“: Das ist eine Grauzone ─ von strikt legalem Verhalten wie etwa bei Ikea, wo eben alle Möglichkeiten, die die national unterschiedlichen Steuergesetze bieten, radikal ausgeschöpft werden und die Firma zugleich im Brustton der Überzeugung verkünden kann, dass sie „alle in Deutschland zu entrichtenden Steuern und Abgaben“ zahle, bis hin zu definitiv illegalem Handeln, wie wir es etwa von der sizilianischen Mafia erwarten.
Dazwischen ist alles möglich, wie man beispielsweise mit Blick auf die Atomenergie sehen kann. Da haben wir ja gerade zwei traurige Jubiläen: 5 Jahre Fukushima und 30 Jahre Tschernobyl. Die jeweiligen Aufräumarbeiten sind längst nicht beendet, die Ruinen strahlen weiter. Wie gefährdet sind aber die Menschen, die dort leben müssen? Da gibt es ganz unterschiedliche Aussagen, bis hin zu der Behauptung, dass durch das Fukushima-Unglück noch kein einziger Mensch gestorben sei. Und dann wird fleißig gemessen ─ mit sehr unterschiedlichem Ergebnis, je nachdem, ob IPPNW, Greenpeace oder japanische Behörden es tun. Alex Rosen von den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges hat im Interview mit Ihnen erklärt, wie das funktioniert: Rund um das Messgerät ein paar Bleiakkus aufbauen ─ natürlich nur zur Vorsorge, wenn mal der Strom ausfällt! ─ und schon ist das Messgerät von genau der Strahlung abgeschirmt, die es eigentlich messen sollte.
Und falls Sie sich nun fragen, warum so etwas passiert: Für Japan spricht man vom Atom-Dorf: „ein Netzwerk aus Konzernen wie Tepco, Wissenschaftlern, dem Wirtschaftsministerium und der Regierung“, wie Japans ex-Premier Naoto Kan es nannte: Man kennt sich, arbeitet gut und zum gegenseitigen Vorteil zusammen. Wirklich kritisch gefragt oder kontrolliert wird nicht. Gerade bei hierarchischen Großorganisationen bilden sich gerne solche Strukturen ─ ganz ähnlich lag es wohl beim militärisch-industriellen Komplex in den USA. Oder bei der deutschen Atomaufsicht bis zum rot-grünen Atomausstieg: Danach wurden die falsch verdübelten Kühlwasserleitungen in Biblis entdeckt… Dass VW’s falsche Abgaswerte zuerst in den USA entdeckt wurden: wirklich eine Überraschung? Oder sollte man fragen: wer will schon in Deutschland bei einem so großen Arbeitgeber so besonders genau hinschauen?
Nicht, dass da immer alles völlig unkritisch abgenickt würde. Die Frage ist eher: wie weit reicht die Kontrolle? Wenn gleichzeitig der „Wirtschaftsstandort gefördert“, Arbeitsplätze gesichert“ werden sollen ─ oder wie die immergleichen Totschlag-Argumente gerade heißen: wenn Betreiber und Aufsicht aus dem gleichen Stall kommen, die gleiche Ausbildung mitbringen müssen: dann liegt es nahe, dass die Kritik keine grundsätzliche wird. Natürlich gibt es immer wieder mal Ausnahmen wie den Fall Traube ─ doch Ausnahmen bestätigen die Regel.
Auf Ihrer Jahrestagung in diesem Jahr ging es ja unmittelbar darum, „Wie Konzernmacht die Demokratie unterminiert“. Welche Entwicklungen beobachten Sie hier aktuell? Und inwiefern sind diese eine Bedrohung für welche Demokratie?
Auf der Tagung wurde sehr schön die Abstufung von gemeinschaftsschädlichem, aber noch legalem Verhalten bis hin zu dezidiert illegalem Verhalten aufgezeigt. Ein ganz wichtiges Thema waren natürlich die Steuern, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung. Man kann nicht oft genug betonen, dass das keine Kavaliersdelikte sind. Sondern dadurch entstehen Schäden in Milliardenhöhe; Schäden, die die durch Bankraube bei weitem übertreffen.
En détail wurden die Aktivitäten der Deutschen Bank und des Bayer-Konzerns beleuchtet: Die eine macht Rückstellungen in Milliardenhöhe für ihre „vielen tausend Rechtsstreitigkeiten“, wie Wolfgang Hetzer auf der Tagung ausführte. Der andere vermarktet Antibabypillen und andere Medikamente aggressiv, die heftige Nebenwirkungen zeitigen und zu Todesfällen führen können. In „Stichwort Bayer“ sowie auf der Webseite der „Coordination gegen BAYER-Gefahren“ finden Sie Details zu solchen Geschäftspraktiken, die zugleich hochprofitabel und gesundheitsgefährdend sind.
Was aus den Beispielen deutlich wird, sind die konkreten Gefahren für eine demokratische Gesellschaft:
Zunächst mal sind es die 50 bis 70 Milliarden jährlich allein aus gerade noch legaler Steuervermeidung, die den EU-Staaten fehlen. Die illegale Steuerhinterziehung ist da noch nicht eingerechnet. Doch einfach, um die Größenordnung zu verdeutlichen: das reicht fast an die 93 Milliarden heran, die allein im deutschen Bundeshaushalt für Rente und Grundsicherung im Alter ausgegeben werden müssen. Oder das Geld, das fehlt, um die gerade auch von Unternehmen gewünschte und benötigte „Infrastruktur“ ─ von Bildung bis Verkehr ─ zu schaffen bzw. aufrechtzuerhalten.
Wichtiger ist der Einfluss auf politische Entscheidungen: gar mancher Gesetzesentwurf wird inzwischen von Lobbyisten mitgetextet. Manche Regierung will das als erfolgreiche Variante von PPP, also Public-Private-Partnership verkaufen ─ tatsächlich steht dann aber zu befürchten, dass die Gesetze privaten Profit zu Lasten vieler Bürger ermöglichen. Wo verläuft die Grenze zu Korruption und Bestechung? Wenn ein Unternehmensvertreter das Köfferli mit den Banknötli öffnet, ist das offensichtlich Bestechung ─ die wir in allen möglichen sogenannten „Bananenrepubliken“ anprangern. Wie groß ist aber der Unterschied zum Wechsel von Politikern in die Vorstandsetagen genau der Konzerne, die sie zuvor beaufsichtigt, deren Geschäftsfelder sie zuvor „reguliert“ hatten? Zu wessen Nutzen wird die „Regulierung“ da ausgefallen sein?
Die öffentliche Meinung spielt in freien Gesellschaften schon eine Rolle ─ weshalb sie von einer ganzen Branche ─ den PR-Agenturen ─ massiv beeinflusst wird. Wer kann sich die Dienste einer PR-Agentur leisten? Was ist davon zu halten, wenn die Konditionierung auf Marken und Unternehmensinteresse schon in Schulen beginnt? Die öffentlichen Etats sind knapp ─ womit wir wieder beim anderen Thema sind: Steuervermeidung. Da freut sich jede Schule über graphisch schön gestaltetes Unterrichtsmaterial, das ihnen von Unternehmen kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Scheinbar kostenlos ─ denn selbstverständlich sind die Kosten für solche Werbeaktionen, über die das Unternehmenslogo schon bei Kindern früh verankert wird, als Betriebsausgabe absetzbar: mindern den Gewinn, damit die Steuern ─ die der Staat einnehmen könnte, um sein Lehrmaterial selbst und nach pädagogischen Aspekten statt Marketingstrategien zu gestalten.
Erste Lichtblicke gibt es: Australien kündigt nicht nur an, gegen die Praxis steuersparender Gewinnverlagerung – dort vor allem nach Singapur – vorzugehen, sondern hat, wie die Frankfurter Rundschau Anfang Mai berichtete, jetzt ein entsprechendes Gesetz verabschiedet.
Daneben stehen aber weiter große Gefahren wie zum Beispiel das geplante „Freihandelsabkommen“ TTIP: Nach dem gerade geleakten Stand der Verhandlungen droht immer noch, dass die demokratische Selbstbestimmung eines Landes durch „regulatorische Zusammenarbeit“ und internationale Schiedsgerichte ausgehebelt wird. Wie solch‘ „Schutz von Investitionen“ aussieht, konnten wir gut bei der Fußball-WM in Brasilien beobachten: auch da gibt es Hooligans, und auch in Brasilien steigt die Gewaltbereitschaft mit steigendem Alkoholpegel. Ein guter Grund, Alkohol in den Fußballstadien zu verbieten ─ was Brasilien 2008 getan hatte. Doch da hatte das Land die Rechnung ohne den Wirt ─ pardon: das Gesetz ohne den Fifa-Sponsor gemacht. Der Braukonzern Anheuser-Busch InBev beklagte sich bei der Fifa. Sorry, den Namen „Inbev“ kennt kaum jemand ─ wohl aber die Marken des belgisch-amerikanischen Braukonzerns: „Budweiser“, „Becks“, „Franziskaner“, um nur einige zu nennen.
Der Fifa jedenfalls war ihr Sponsor wichtiger als die Entscheidungen und Gesetze des brasilianischen Parlaments. Also setzte der ─ private! ─ Verein „Fifa“ den Staat Brasilien unter Druck, damit der Sponsor Budweiser sein Bier doch in den Stadien verkaufen durfte. Was ist wichtiger: ein Gesetz, das Sicherheit und Gesundheit der Fußballfans schützt? Oder die Interessen des Sponsors, sein Gebräu gerade in ausverkauften Stadien zu verkaufen? Brasilien knickte ein, erlaubte den Bierverkauf zur WM per Sondergesetz. Anschließend zeigte sich der Fifa-Generalsekretär überrascht von den vielen Betrunkenen, die sich „gar nicht gut benommen“ hätten. Ja, wer hätte das ahnen können? Etwa der Budweiser-Controller, der den Zusatzgewinn im Verhältnis zu den Sponsoring-Kosten berechnet hat?
An genau das Fußball-Ereignis sollten wir uns erinnern, wenn jetzt TTIP diskutiert wird: Schließlich geht es da ja bloß darum, Investoren vor ungerechtfertigten Staatseingriffen zu schützen ─ wie es Brasilien mit seinem Alkoholverbot in Fußballstadien versucht hat.
Je höher der zu erwartende Gewinn, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass jede Vernunft ausgeblendet wird. Marktgeschehen mag vieles sein ─ sicher nicht jedoch das Ergebnis von Einsicht und Vernunft. Der kriminellen Spielart Einhalt zu gebieten: dazu ist Business Crime Control angetreten. Schauen Sie doch mal auf unsere Webseite oder in unsere Zeitschrift BIG Business Crime!
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Foto: Jens Wernicke (c) WikiMANNia
Info:
Peter Menne, Jahrgang 1964, M.A., studierte Germanistik und Soziologie. Er arbeitet als Unternehmensberater, entwickelte für die Personalberatung eine funktionale Klassifikation von Arbeit. Als Photograph stellte er zu verschiedensten Themen aus, darunter „Immer dichter wohnen?“ oder „Maghreb – Reise ins Landesinnere“. Er engagiert sich seit langem in Initiativen für Bürgerrechte und säkularen Humanismus, wurde 2015 in den Vorstand von Business Crime Control gewählt. Er ist Träger der Hessischen Medaille für Zivilcourage und gemeinsam mit Reiner Diederich Herausgeber von „Der Müll, die Stadt und der Skandal. Fassbinder und der Antisemitismus heute“.
Jens Wernicke laut WikiMANNia
Jens Wernicke (* 1977) absolvierte eine Ausbildung als Fachangestellter für Bürokommunikation und 2001-2008 ein Diplomstudium Kulturwissenschaften, Schwerpunkt Medien, in Weimar und hat neben einer Flut von Artikeln viele Bücher veröffentlicht.
Übrigens:
Es gibt keine Zufälle heißt es oft und der Redaktion des Weltexpresso ist es just so ergangen. Es macht nämlich derzeit ein Krimi der KrimiBestenListe in der Redaktion die Runde, DIE TOTEN SCHAUEN ZU, von Gerald Kersh 1943 geschrieben und in der wunderbaren Reihe von pulp master gerade als Nr. 41 erschienen. Schlägt man die letzte Seite auf, so liest man: NachDenkSeiten: Die kritische Website (da allerdings hätten wir Webseite geschrieben). Für alle, die sich noch eigene Gedanken machen: www.NachDenkSeiten.de
Na, denn.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Jens Wernicke. Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde.