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Großbritannien wird zur Speerspitze der sozialistischen Weltrevolution

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die britische BREXIT-Koalition hat einen neuen und möglicherweise entscheidenden Bündnispartner gefunden: Nämlich das Boulevardblatt „The Sun“.


Zugegeben: Ich liebe Verschwörungstheorien. Im Fall der „Sun“ bietet sich eine an, die bislang zu wenig berücksichtigt wurde. Denn die historischen Wurzeln dieses wahrlich antiintellektuellen Massenblatts gehen in das Jahr 1911 zurück. Damals wurde der „Daily Herald“ als sozialistische Zeitung gegründet. 53 Jahre später, 1964, wurde aus ihm die formal und inhaltlich umgestaltete „The Sun“. Die Gazette neuen Gewands wendete sich an eine Arbeiterklasse, die den sozialen Aufstieg im Visier hatte und sich kulturinteressiert und weltoffen zeigten sollte. Doch die britische Feudal-Demokratie wies bereits damals wenig Affinität zum Sozialismus auf. Dessen entscheidende Frage, also die nach dem Besitz an den Produktionsmitteln, konnte nicht mit der nötigen Intensität gestellt werden, weil die dortige Klassengesellschaft als von Gott (wer immer dies auch sei) verordnet erschien - oder zumindest als solche proklamiert wurde.

Also verfolgten weder Labour-Party noch die Gewerkschaften die Idee der Weltrevolution weiter, sondern beschränkten sich auf Brot und Spiele fürs Proletariat statt auf dessen Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess. Die „Sun“ nahm darin eine wichtige Rolle ein, denn sie versorgte fortan die arbeitende Klasse mit Schlagzeilen über Sex, Verbrechen, Oberschicht und deutsche Kriegsrevanche. Am Wahlerfolg des abtrünnigen Klassenkämpfers Tony Blair hatte sie einen entscheidenden Anteil.

Jetzt ergreift sie Partei für den BREXIT. Dieser würde mutmaßlich das soziale Klima im Land verschärfen bis vergiften. Labour-Chef Jeremy Corbyn prognostiziert, dass die Arbeitnehmerrechte nach einem Austritt aus der EU drastisch beschnitten würden. Und Ex-Innenminister Alan Johnson ist sich sicher, dass die sozialen Probleme in erheblichem Umfang zunehmen würden. Das „Institut für Fiskalstudien“ befürchtet einen irreparablen Niedergang der britischen Wirtschaft, in dessen Folge die Staatsausgaben gekürzt würden - vor allem zu Lasten des Sozialetats. Mit anderen Worten: Die konservativ-monarchistische BREXIT-Koalition, deren Mitglieder traditionell von politischer Kurz- und Uneinsichtigkeit geschlagen sind, bereitet den Boden vor für eine Situation, in der die Widersprüche des Kapitalismus auch den königstreuesten Proletariern bewusst werden. Friedrich Engels könnte, würde er noch leben, sein Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ noch einmal schreiben und bräuchte darin nicht allzu viel ändern.

Die „Sun“ beteiligt sich an diesem subversiven Kommandounternehmen, obwohl ihr Eigentümer, der Medientycoon Rupert Murdoch, keiner Sympathie für Sozialismus oder Kommunismus verdächtig ist. Aber er und seine Chefredakteure haben übersehen, dass sich in diesem Blatt nach wie vor Agenten der Weltrevolution eingenistet haben, wenn auch auf subalternen Ebenen. Indem die Zeitung den Slogan der BREXIT-Bewegung, „Zurückgewinnung der Kontrolle“, quasi aus dem Mittelbau heraus unterstützt, tritt sie faktisch für einen radikalen gesellschaftlichen Wandel ein, so wie im Jahr ihrer Gründung. Denn Kontrolle war ein Schlüsselwort Lenins, aber das wurde in Eton und anderen Internaten nicht vermittelt. Dummheit führt bekanntlich zu Hochmut und die Hochmütigen unterschätzen ihre Gegner.

Anerkannte Verschwörungsexperten gehen davon aus, dass innerhalb von zwei Jahren nach dem Austritt aus der EU die Königin abdankt und die für eine Thronfolge infrage kommenden Mitglieder der Windsor-Familie ihren Verzicht für alle Zeiten erklären. Der Buckingham-Palast würde zur Zentrale der neuen „Communist Labour Party of Britain and the World“. Statt der Garde mit den Bärenfellmützen bezöge das „Wachregiment Karl Marx“ Stellung. Unmittelbar neben der Grabstätte des Ahnherrn aller Sozialisten und Kommunisten auf dem Friedhof Highgate würde eine Suppenküche für den Adel eingerichtet. Denn dieser hätte seine sämtlichen Privilegien und seinen Besitz verloren. Wöchentlich verließen Auswandererschiffe die englischen Häfen in Richtung Arabien. Bei den letzten Despoten der Welt erhofften sich die Barone, Grafen und Herzöge Asyl.

Die britische Revolution hätte nach Einschätzung von Fachleuten insbesondere Auswirkungen auf die USA, wo sozialistische Ideen zum ersten Mal auf breite Resonanz stießen. Im ehemals konservativ-reaktionären „Bibel Belt“ würden sich die Menschen in Massen zum Sozialismus bekehren und Karl Marx‘ „Das Kapital“ würde von Baptisten und Lutheranern zum „heiligsten Buch Amerikas und der Welt“ und als der Bibel gleichgestellt erklärt.

Und in Festland-Europa? Die Verschwörungs-Auguren gehen davon aus, dass der Neo-Liberalismus wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiele. Alle Großkonzerne würden verstaatlicht, in Deutschland beispielsweise Deutsche Bahn, Deutsche Post, Telekom und die Banken; die Beschäftigung würde daraufhin deutlich ansteigen, die Arbeitslosenquote läge unter 2 Prozent. Sämtliche Hindernisse für eine Energiewende ließen sich innerhalb Jahresfrist überwinden. Teile von CDU, FDP, SPD und Grünen schlössen sich zur Demokratischen Einheitspartei Deutschlands (DED) zusammen, während linke Sozialdemokraten, linke Grüne und die LINKE die Unabhängige Sozialistische Partei Deutschlands (USPD) gründeten. Drittstärkste Gruppierung wäre die Christlich-Muslimische Union (CMU), die sich als Bewahrer konservativer Werte verstünde.

Die bisherigen nationalen Armeen würden in einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ zusammengefasst und einen rein defensiven Charakter erhalten. Auslandseinsätze würden auf Kommandounternehmen in so genannten Steuerparadiesen beschränkt, um das den Bürgern gestohlene Vermögen zurück zu transferieren.

Problematisch bliebe hingegen Osteuropa; vor allem Polen und die baltischen Staaten. Katholizismus und Orthodoxie sowie Nationalismus erwiesen sich als große und nicht leicht zu überwindende Probleme. Hier hoffen die Propheten auf das gute Beispiel (Westeuropas und Britanniens), das Schule machen könnte. So wie Goethe das bereits in seiner „Iphigenie auf Tauris“ als konkrete Utopie beschrieb.

Wie bereits erwähnt: Ich liebe Verschwörungstheorien. Vor allem solche, die nicht ganz ernst gemeint, aber dennoch etwas realistisch sind. Deswegen: Wäre ich Brite, würde ich für den BREXIT votieren.

 

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