Doppelausstellung ‘Die Kinder vom Lager Föhrenwald‘, - ‚Von Föhrenwald nach Frankfurt‘ - 60 Jahre danach


Heinz Markert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Kinder des in Oberbayern gelegenen Lagers in Föhrenwald (nahe Wolfratshausen), Kinder, die in einer besonderen Weise für ihre Eltern, die dem Holocaust entkommen waren, eine menschliche Brücke zwischen Holocaust-Erleiden und Nach-Nazizeit wurden.


Die Föhrenwald-Kinder wurden Mittler von einer Welt zur anderen


‚Nach-Nazizeit‘ ist eine angemessene Ausdrucksweise, weil der Nationalsozialismus ein hartnäckiges Nachleben hatte, von dem sowohl die bereits älteren wie auch die in der Lagerzeit in Föhrenwald geborenen Kinder in Frankfurt noch betroffen waren, z.B. wenn ein Schullehrer frank und frei vor Kindern zum Besten gab, dass er „den Iwan beim Scheißen erschossen“ habe. Frankfurt am Main wurde für die Kinder aus Föhrenwald zu einem Exil im Kontrast zum vorherigen Leben in Föhrenwald.


Zu Hause wurde in der Regel auch in Frankfurt jiddisch gesprochen, Deutschlernen geschah hier mit Freunden zusammen im Ostpark. Kinder lernen mit Kindern zusammen am wenigsten repressiv. Die Schule war ‚wie ins Kino gehen‘, so ein Zeitzeuge, auch hessisch wurde dort gelernt.


Geschlagen wurde an damaligen Frankfurter Schulen, deren Lehrerschaft in wesentlichen Teilen noch vom Ungeist der Nazizeit geprägt war, mit Bambus oder Stuhlbein, bis zum Ende der Fünfziger Jahre. ‚Wer ist denn die?‘, war eine der verräterischen Redeweisen in der Begegnung der aus Föhrenwald nach Frankfurt ‚überstellten‘ Kinder und Erwachsenen mit der ‚volksdeutschen‘ Umgebung.


Ihre ‚Erlebnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse‘ als ‚Föhrenwald-‘, später als ‚Waldschmidtstraßenkinder‘ (in Frankfurt am Main) bezeichnet‚ „sind von höchster Bedeutung für unser Geschichtsverständnis“, sagt die Ankündigung zum Anlass der Eröffnung. Es ist nicht ganz unzutreffend, sie als ‚Therapiegeneration‘ -  im Verhältnis zu ihren Eltern - zu bezeichnen, obwohl auch sie dem Holocaust entrinnen mussten. Dies klang immer wieder an, als die fünf Zeitzeugen im Bunker an der Friedberger Anlage über ihre Erfahrungen lebendig und anekdotisch berichteten.


Die Kinder der Holocaust-Überlebenden übernahmen eine Aufgabe, die ihnen als Kindern nicht ganz zu Bewusstsein kommen konnte. In Erzählungen betonen sie eine Unbeschwertheit und Behütetheit in Föhrenwald, wo sie immer draußen nächst der Isar umherstreifen durften. Davon brachten sie nicht wenig mit in die Stadt.


Als Kinder der Überlebenden wurden sie, auch das klang an, zur gewissermaßen heroischen Tatsache für die Fortexistenz sowohl derer, die ermordet wurden, als auch jener, die sich als Erwachsene in die neue Existenz hineinentwickeln mussten. Dieses Moment des Selbstverständnisses der Erwachsenwelt übertrug sich auch wieder auf die Kinder, prägt das Selbstverständnis des Zusammenhalts dieser Deutschen mit jüdischen Wurzeln bis heute.
Die Kinder derjenigen, die den Holocaust überlebten, sind nun gestandene Erwachsene, die sich mit nicht wenig Sehnsucht an die vielmals doch glücklichen und behüteten Tage in Föhrenwald zurückerinnern. Mehrere tausend Kinder ‚durchliefen‘ das Lager. Die Kinder wurden gerne verwöhnt. Die Erwachsenen bedrückte der Ort Föhrenwald, ihnen bedeutete er Beengtheit und Unannehmlichkeit.


Die Kinder, die überlebt hatten, hatten nicht wenig auch eigene schlimme Erfahrungen zu bearbeiten. Föhrenwald hatte ein Waisenhaus. Kinder mussten sich auf der Flucht alleine durchschlagen, versteckt in Wäldern, ihre Nahrung waren Pilze, Insekten oder Ratten.


‚Displaced Persons‘, ein Verwaltungsbegriff, grub sich nur langsam ins Bewusstsein


Die Ankündigung lässt uns wissen: „Nach Kriegsende 1945 bestimmte die amerikanische Armee das frühere NS-Zwangsarbeiterlager Föhrenwald für die Unterbringung von sogenannten Displaced Persons, heimatlos gewordenen Menschen aus ganz Europa. Anfang Oktober erklärte General Eisenhower das Lager Föhrenwald dann zu einem ausschließlich jüdischen DP-Lager […]. Ab 1956 wurden die jüdischen Familien insgesamt sieben Städten der jungen Bundesrepublik zugeteilt“. Zu diesen gehörte auch Frankfurt am Main.


Die Ankündigung zitiert: „An der Namensschildern der Wohnhäuser in der Waldschmidtstraße mit den Nummern 129 und 131 ist heute kaum mehr abzulesen, dass dort ein Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte geschrieben wurde. Die Menschen, die im Winter 1956/57 in jene von der Nassauischen Heimstätte errichteten 30 Sozialwohnungen einzogen, gehörten zu den letzten nach Frankfurt umgesiedelten 125 Bewohnern des ehemaligen Lagers, das am 28. Februar 1957 aufgelöst wurde“ (aus: ‚Plötzlich gab es mitten im Ort einen „Judenblock“‘, Anton Jakob Weinberger, FAZ vom 14.6.1996)


Die Welt hinter den Bildern war das Thema des vergangenen Sonntags, dem Tag der Ausstellungseröffnung. Die Fotos sind ausdrucksstark, wie nicht wenige mit Historie der menschlichen Existenz aufgeladene; am erhabensten und ein wenig verschmitzt prangt der Junge der, auf dem Kühler eines Lastwagens sitzend, die Abreise nach Norwegen erwartet. Das Lager war stets auch nur Durchgangsstation, je nachdem, wie sich eine Gelegenheit zur Rückkehr oder ein Wechsel in halbwegs normale, sich gelegentlich bietende Lebensverhältnisse eröffnete.


Ein Mittelpunkt des Lebens in Föhrenwald (heute: Waldram) war auch ein jüdisches Badehaus. Dieses besteht noch und konnte im Mai des Jahres 2016 von der ‚Initiative 9. November‘, nach Kämpfen mit Politik und Kirche, erworben werden. Es wird zu einer Erinnerungs-, Dokumentations- und Begegnungsstätte umgeschaffen.


www.BadehausWaldram.de


Ein Film zeigte den Anwesenden die Begehung des Badehauses durch ein Zeitzeugenpaar. Der Ort hat sich verändert, vieles wird wiedererkannt. Der ehemalige ‚Roosevelt-Square‘, der auch mal Adolf-Hitler-Platz hieß, heißt heute Kolping-Platz. Der Ort wurde rekatholisiert, es entstand ein katholisches Spätbekehrtenseminar. Der berüchtigte Theodor Oberländer, bayrischer Staatsminister des Innern, später Bundesvertriebenminister, sprach im Zusammenhang mit den heimatlos Gewordenen damals von einem „Fremdkörper in der Gesellschaft“. Er bestritt eventuelle Zusicherungen und sah in den Entkommenen Fürsorgeempfänger, sicher auch als Konzession an ein weiterhin antisemitisches Klima in bestimmten Kreisen der Umgebung. Globke-und-Oberländer waren in den Fünfzigern der Begriff.


Info: Die Ausstellung: ‚Von Föhrenwald nach Frankfurt‘ wurde von Mitgliedern der ‚Initiative 9. November‘/Tag des Novemberpogroms 1938 konzipiert und erstellt, sie wird gezeigt vom 19.6.2016 bis 10.11.2016. -  Ort: Hochbunker Friedberger Anlage 5/6, Frankfurt am Main/Ostend, Öffnungszeiten: sonntags 11-14 Uhr. Führungen um 11.30 Uhr und nach Absprache auch werktags. Der Besuch erfordert warme Kleidung.


www.initiative-neunter-november.de