Serie: Soll die Universität Göttingen von einem islamismuskritischen Professor gesäubert werden?, Teil 3
Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Die rot-grüne Koalition in Niedersachsen zog aus dem Verfassungsschutz-Debakel beim „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) die Konsequenz, „die öffentliche Bewertung verfassungsfeindlicher Bestrebungen“ und die Auswertung „offenzugänglicher Quellen auf eine wissenschaftlich arbeitende Dokumentationsstelle (zu) übertragen“, so der Hannoveraner Koalitionsbeschluss.
Salzborn entwickelte im Jahr 2015 für diese Institution ein Konzept, stimmte es mit den zuständigen Stellen in Hannover ab und war als Leiter der Doku-Stelle im Gespräch.
Die Göttinger SPD-Landtagsabgeordnete Gabriele Andretta, zugleich Vizepräsidentin des niedersächsischen Landtags, bezeichnete die Dokumentationseinrichtung als einen „Eckpfeiler bei der anstrebten Reform des Verfassungsschutzes.“ Professor Salzborn, erklärte sie weiter, habe „zur inhaltlichen und methodischen Arbeitsweise“ der geplanten Stelle „ein Konzept erstellt, das uns überzeugt hat“. Er zähle „zu den bundesweit renommiertesten Rechtsextremismusforschern, der auch zu Salafismus forscht.“ [10]
Salzborns Konzept war in zweifacher Hinsicht innovativ: Es legte erstens den Schwerpunkt auf das „Weltanschauungsbündnis“ Salafismus und Rechtsradikalismus und nahm zweitens besonders den Antisemitismus, also die Idee einer jüdischen Weltverschwörung, als den zentralen gemeinsamen Nenner dieses Bündnisses ins Visier.
„Die Tür nach Göttingen ist durch Samuel Salzborn geöffnet worden“, betonte auch der SPD-Abgeordnete Marco Brunotte, der Vorsitzende des „Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutz“ im niedersächsischen Landtag.[11] Schon 2015 standen für diese Doku-Stelle, die ursprünglich zu Beginn dieses Jahres ihre Arbeit aufnehmen sollte, 750.000 EUR bereit. 2016 sind im niedersächsischen Haushalt eine Mio. EUR hierfür vorgesehen.
Abgerufen wurde hiervon jedoch kein Cent. Aus heiterem Himmel legte Prof. Beisiegel ihr Veto gegen die Projektplanung ein. Im Winter 2015/2016 lehnte sie den Vorschlag, Prof. Salzborn mit der Leitung der geplanten Einrichtung zu beauftragen, ab. Gleichzeitig kündigte sie ein „neues Konzept“ für die „Dokumentationsstelle“ an. „Das bereits erstellte Konzept ist damit offenbar gegenstandslos“ berichtete Anfang Mai der NDR. „Die Uni fängt wieder bei null an.“[12]
Im Juni reichte die Universität Göttingen ihren Neuantrag für die Dokumentationsstelle ein. Er sieht vor, dass anstelle von Fachleuten die Göttinger Staats- und Universitätsbibliothek diese Stelle betreiben soll: Als bloße Lagereinrichtung für einschlägiges Material. Von kritischer Forschung, wie sie der niedersächsische Koalitionsbeschluss gefordert hat, ist hier keine Rede mehr.
Gleichzeitig ist Salzborns Schwerpunktsetzung auf Salafismus, Rechtsradikalismus und Antisemitismus vom Tisch. „Leider“ – sagt dazu ausgerechnet Ulrike Beisiegel mit einer guten Prise Heuchelei: „Leider konnten wir das Konzept von Herrn Salzborn nicht umsetzen, weil er jetzt nicht mitarbeiten wird.“[13] Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Salzborn darf nicht mitarbeiten, weder in Hannover, noch in Göttingen, damit sein Konzept nicht umgesetzt werden kann.
Dieser Eingriff von oben, der die von Salzborn entwickelte Initiative stoppte und zerstörte, zeigt, dass es in dieser Auseinandersetzung tatsächlich um etwas geht: zum Beispiel um die Fähigkeit eines Landesparlaments, die ideologischen Grundlagen des Islamismus wissenschaftlich zu bearbeiten und öffentlich zu bewerten.
Wie aber ist die sagenhafte Energie zu erklären, mit der die Uni-Präsidentin nicht nur die Gremien ihrer Universität sondern auch die Verantwortlichen des niedersächsischen Landtags brüskiert, um dieses Projekt zu torpedieren und sich der Mitarbeit eines weltweit hochgeachteten Wissenschaftlers zu entledigen? Zumindest erinnert ihre furiose Kampagne an das Sektierertum linker Organisationen aus den Siebzigerjahren, als man Säuberungskampagnen initiierte, um „Abweichler“ zu isolieren.
Natürlich wäre es das Selbstverständlichste der Welt, sollte Naturwissenschaftlerin Beisiegel einige Einschätzungen des Politologen Salzborn nicht teilen. Um über divergierende Positionen zu streiten, sind Universitäten da. Den vermeintlichen Abweichler vom Hof zu jagen, ist hingegen ein Akt, der nicht hingenommen werden kann und nicht hingenommen wird, wie die beispiellose Solidaritätskampagne für Salzborn zeigt. Hier soll zeitgemäße Forschung vertrieben und durch ranzig anmutende „political correctness“- Vorgaben ersetzt werden.
In Göttingen wurde bis Ende Mai hauptsächlich über eine Fünf-Jahresverlängerung der Stelle Salzborns debattiert – und in diesem Zusammenhang auch der Artikel 28 des NHG, der diesen Fall regelt, kontrovers diskutiert.
Seit der Veröffentlichung der „gemeinsamen Stellungnahme von Universitätsleitung und Sozialwissenschaftlicher Fakultät“ vom 1. Juni 2016 gibt es eine neue Situation. Seit diesem Tag gilt, dass die Professur nicht um einige Jahre verlängert, „sondern mit derselben inhaltlichen Ausrichtung erneut und zukünftig als unbefristete Professur“ eingerichtet werden soll.[14] Damit aber gilt Artikel 26 des NHG: „Professuren sind öffentlich auszuschreiben“, heißt es hier. Jedoch könne „von einer Ausschreibung … abgesehen werden, wenn … ein Professor auf Zeit auf derselben Professur auf Dauer berufen werden soll.“
Nun hat selbst Prof. Beisiegel in der vermeintlichen Gewissheit, dass Salzborn gehen müsse, dessen Arbeit gelobt: „Wir würden nie einen Professor, der seine Arbeit gut macht, aus der Uni haben wollen“, erklärte sie in einem Interview. „Herr Salzborn habe sehr guten Unterricht gemacht, Berichte und Publikationen geschrieben.“[15]
Je länger die Universität damit wartet, von einer Neuausschreibung abzusehen, je länger sie zögert, Salzborns befristete Tätigkeit in eine unbefristete zu verwandeln, desto mehr setzt sie ihren Ruf noch weiter aufs Spiel.
Anmerkungen
[10] Landtagsabgeordnete Andretta setzt sich für Prof. Dr. Samuel Salzborn ein, auf: http://gabriele-andretta.de/content/481780.php sowie Patrick Gensing, Zurück auf Null bei Rechtsextremismus-Projekt, NDR.de, 1. Mai 2016.
[11] Johannes Vetter, Uni trennt sich von Antisemitismusforscher, in: Frankfurter Rundschau, 12. Mai 2016.
[12] Patrick Gensing, a.a.O. .
[13] Wieland Gabcke, Viel Wirbel um Nichts in der Causa Salzborn?, auf: NDR.de, 4. Juni 2016.
[14] https://www.uni-goettingen.de/de/3240.html?tid=553 .
[15] Wieland Gabke, a.a.O. .
Foto:
Die ehrwürdige Universität, bei deren Nennung einem immer automatisch sozusagen die Göttinger Sieben ins GEdächtnis fallen. weshalb die folgenden Bilder sie als Zeichnung und Denkmal (mit prominenter Begleitung) zeigen.