Gedanken über den Terror zu Ehren Gottes

 

Klaus Philipp Mertens

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ich radikalisiere mich. Denn islamistische Gewalttäter lassen mir keine andere Wahl.

 

Wer Menschen dahinschlachtet und dadurch Parteien wie der AfD in Deutschland oder dem Front National in Frankreich Wähler zutreibt und dadurch die Säulen der Demokratie ins Wanken bringt, darf auf keine Toleranz, auf kein Verständnis hoffen.

 

Aber keine Angst: ich greife nicht zur Kalaschnikow. Ich lese lediglich, aber ich lese laut - so laut, dass man es überall hören und hoffentlich auch verstehen kann. Nämlich in den Werken der klassischen deutschen Philosophen, von Kant bis Hegel, von Feuerbach bis Marx und Engels, und auch noch in den Schriften von Skeptikern wie Franz Overbeck oder Wilhelm Weischedel. Will wissen, was sie über das Wesen der Religion geschrieben haben. Und ich hoffe darauf, dass jeder, der sich als links bezeichnet, diesem Beispiel folgt und auf diese Weise sowohl dem Islamismus als auch anderen doktrinären Religionen die Deutungshoheit über die Dinge der Welt abspricht. Denn:

 

Es gibt keinen Gott.

 

Und deswegen kann niemand seine eigenen politischen Absichten einschließlich aller Versuche, Gewalt zu billigen, mit vermeintlich göttlichen Befehlen rechtfertigen. Ludwig Wittgenstein formulierte am Ende seines sprachphilosophischen „Tractatus logico-philosophicus: „Worüber man nichts weiß, darüber kann man nicht reden.“

 

Reden kann man hingegen über die Gedanken, die sich Menschen über einen Gott, gar über Götter, gemacht haben. Beispielsweise über das epochale Buch von Ludwig Feuerbach aus dem Jahr 1841: „Das Wesen des Christentums“, in dem er die (christliche) Religion als Projektion menschlicher Wünsche bezeichnet.

 

Karl Marx hat Feuerbachs Thesen weitgehend übernommen. In seiner Einleitung zu „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, die er um die Jahreswende von 1843 auf 1844 verfasste, schrieb er u.a.:

Der Mensch macht die Religion, die Religion nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewusstsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewußtsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d’honneuer, ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.

Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.

Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusion über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertals, dessen Heiligenschein die Religion ist.“

 

Deswegen habe ich genug von jener propagierten Toleranz, die nichts weiter ist als Gleichgültigkeit gegenüber den Vorgängen in der Welt und die alles, was nicht in das gepriesene unpolitische Wohlfühldenken passt, als das Werk verblendeter Einzeltäter klassifiziert. Denn wer hat die Täter von Paris, Nizza und jetzt von Würzburg verblendet und gewissenlos gemacht?

 

Sind es nicht jene Diktatoren und Warlords in islamischen Ländern, denen es ausschließlich um persönliche Macht geht? Sind es nicht jene weltlichen Ersatz-Allahs, die soziale Gerechtigkeit in ihren Ländern bewusst verhindern und stattdessen ihren irdischen Lakaien ein himmlisches Paradies in Aussicht stellen? Seit mindestens siebzig Jahren hat Arabien nichts nötiger als eine soziale Reform, gar eine sozialistische Revolution. Doch sämtliche Ansätze, beispielsweise durch Nasser in Ägypten, scheiterten an der Verinnerlichung eines religiösen Glaubens, der Hingabe und Unterwerfung fordert und dadurch Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit verhindert.

 

Karl Marx schrieb in der bereits ausführlich zitierten Einleitung zur Hegelschen Rechtsphilosophie:

Die Kritik des Himmels verwandelt sich in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.“

 

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland würde es gestatten, religiösen Überzeugungen, deren Werte im Gegensatz zu den verbrieften Grundrechten stehen, als verfassungsfeindliche Bestrebungen zu klassifizieren. Denn die Freiheit des religiösen Bekenntnisses ist immer an die Akzeptanz jener Freiheit gebunden, die nicht zuletzt auch aus der Säkularisierung hervorgegangen ist. Dieser Grundsatz sollte, ja müsste die unverzichtbare Eintrittskarte für Deutschland sein.

 

Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ war ein Schlagwort aus der Adenauer-Zeit. Sein Nachteil war, dass Freiheit nicht analog den Vorgaben des Grundgesetzes definiert wurde, sondern zum Instrument gegen politisch Andersdenkende (Kommunisten aller Schattierungen bis hinein in die Sozialdemokratie) missbraucht wurde. Die Aussage als solche erscheint mir jedoch als akzeptabel.

 

Foto: Gehirnwäsche im Terrorcamp des ISIS (c) T-Online