Erinnerung an ein Karlsruher Urteil zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, Teil 1/2

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Mitte Juli 2016 wurde in Berlin das neue Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik vorgestellt. Darin heißt es unter anderem, Deutschland stehe in der Verantwortung, „die globale Ordnung aktiv mitzugestalten“ und sich stärker in Friedensmissionen der Vereinten Nationen zu engagieren. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden also zunehmen.

Grund genug,  an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 zu erinnern, das die Voraussetzungen für solche Einsätze beschreibt und keineswegs als Freibrief verstanden werden darf. Den Abgeordneten des Bundestages sollte es zur Pflichtlektüre gemacht werden.

Das Karlsruher Urteil zu den Auslandseinsätzen ist eines der längsten, wenn nicht überhaupt das längste Urteil, das ein deutsches Gericht nach dem zweiten Weltkrieg jemals gefällt hat. Denkwürdige 108 Druckseiten brauchte das Bundesverfassungsgericht, um zu begründen, dass sich aus dem Grundgesetz etwas herauslesen lässt, was nicht drinsteht, nämlich dass deutsche Soldaten unter gewissen Voraussetzungen außerhalb Deutschlands, ja sogar außerhalb des Nato-Gebietes, für Zwecke eingesetzt werden dürfen, die nichts mit der Landesverteidigung zu tun haben

In dem so genannten Out-of-Area-Urteil vom 12. Juli 1994 ging es um die Bereitstellung von Soldaten der Bundeswehr für eine Friedensmission der Vereinten Nationen im afrikanischen Somalia (1993) sowie um die deutsche Beteiligung an der Überwachung eines Embargos gegen Jugoslawien im Jahr 1992. Strittig war ferner die Teilnahme an AWACS-Flügen zur Durchsetzung eines Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina im Jahr 1993.

Verglichen mit den späteren Angriffshandlungen und Kampfeinsätzen in Jugoslawien und Afghanistan waren das harmlose Operationen. Allerdings gab es da gewisse Probleme mit der Verfassung. Sowohl die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP als auch die oppositionelle SPD sowie die Grünen und die PDS (Partei des demokratischen Sozialismus, Vorläufer der Partei Die Linke) hielten wegen der Auslandseinsätze eine Änderung bzw. Ergänzung des Grundgesetzes für notwendig. Alle Fraktionen legten 1992/93 jeweils eigene Gesetzentwürfe
vor, mit denen der »Streit über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines von den Vereinten Nationen autorisierten Einsatzes deutscher Streitkräfte« beendet werden sollte, wie das Bundesverfassungsgericht sich später ausdrückte.

Die Vorlagen wurden damals zur Beratung an die Ausschüsse überwiesen, wo sie offensichtlich versackten. Weshalb die Sozialdemokraten nicht darauf bestanden, dass der Bundestag die von allen für notwendig erachtete Änderung des Grundgesetzes vornimmt, sondern stattdessen vor das Bundesverfassungsgericht zogen, haben sie zu keinem Zeitpunkt erläutert. In dem Verfassungsstreit ging es im Wesentlichen um die Artikel 24 und 87a des Grundgesetzes, in denen es heißt: »Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen. Und: »Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. . . Außer zur Vereidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.« Und zwar darf die Bundeswehr im Verteidigungs- oder Spannungsfall zivile Objekte schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrnehmen. Einsätze wie in Somalia oder über dem Mittelmeer waren und sind im Grundgesetz nicht vorgesehen.

Die acht Richter des zweiten Senats in Karlsruhe bekamen mit der verfassungsrechtlichen Prüfung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr eine harte Nuss zu knacken. Das belegt allein die ungewöhnliche Länge des Urteils. Vier von ihnen meinten, die Regierung habe sich nichts vorzuwerfen, vier teilten die Bedenken der Kläger. So kam die Entscheidung schließlich mit Stimmengleichheit zu Stande – Spiegelbild einer gespaltenen Gesellschaft. Einerseits gebot es die Staatsräson, die neue militärische Rolle des wiedervereinten Deutschlands nach dem Zusammenbruch der kommunistisch regierten Staaten in Mittel- und Osteuropa verfassungsrechtlich abzusichern, andererseits musste das Urteil möglichen Befürchtungen vor einer deutschen Dominanz in einem erweiterten Europa Rechnung tragen. Fortsetzung folgt

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