Erinnerung an ein Karlsruher Urteil zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, Teil 2/2

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Einer der Kernsätze des Karlsruher Urteils zu den Auslandseinsätzen lautet: »Die von der Bundesregierung beschlossenen Einsätze deutscher Soldaten, denen jeweils ein vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteiltes Mandat zugrunde liegt, finden ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG, der den Bund ermächtigt, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen.«

So ein System seien die Vereinten Nationen und die Nato. In Somalia hätten die deutschen Soldaten der Befehlsgewalt eines Kommandeurs der Vereinten Nationen, bei den anderen Einsätzen dem Kommando von Nato-Behörden unterstanden, die ihrerseits im Rahmen einer Aktion der Vereinten Nationen tätig geworden seien.

Weiter heißt es in dem Urteil:: »Hat der Gesetzgeber der Einordnung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugestimmt, so ergreift diese Zustimmung auch die Eingliederung von Streitkräften in integrierte Verbände des Systems oder eine Beteiligung von Soldaten an militärischen Aktionen des Systems unter dessen militärischem Kommando.« Und: »Die deutsche Beteiligung an friedenssichernden Operationen der Vereinten Nationen ist durch Art. 24 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich legitimiert.«  Demnach sind Auslandseinsätze der Bundeswehr nur dann von der Verfassung gedeckt, wenn ihnen ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zugrunde liegt. Die Soldaten müssen zudem integrierten Verbänden angehören, die dem Kommando der Vereinten Nationen oder der Nato unterstehen, wenn die Nato im Auftrag der Vereinten Nationen tätig wird. Daraus ergibt sich, dass die Beteiligung der Bundeswehr an den Luftangriffen auf Jugoslawien, für die es kein Mandat des Sicherheitsrates gab, sowohl gegen das Völkerrecht als auch gegen das Grundgesetz verstieß. Dasselbe gilt für den Auslandseinsatz in Afghanistan zur Bekämpfung des Terrorismus im Rahmen der Operation Enduring Freedom, für den ebenfalls kein Mandat des Sicherheitsrates vorlag. Inzwischen ist die Beteiligung am Krieg in Syrien hinzugekommen, gegen die jetzt die Linksfraktion des Bundestages Verfassungsklage erhoben hat.

Bezeichnender Weise erwähnte die Regierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 weder bei der Rechtfertigung des Angriffs auf Jugoslawien 1999 noch bei der Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan und auf die Arabische Halbinsel im Jahr 2001. Sie erklärte lediglich, die deutschen Streitkräfte handelten bei der Operation Enduring Freedom »nach den Regeln eines Systems der gegenseitigen kollektiven Sicherheit im Sinne des Artikels 24 Absatz 2 Grundgesetz.« In beiden Fällen gingen Regierung und Bundestagsmehrheit darüber hinweg, dass für solche militärischen Zwangsmaßnahmen eine Ermächtigung des Sicherheitsrates nach Artikel 42 der UN-Charta notwendig ist. Die Resolutionen 1368 und 1373 des Sicherheitsrates ersetzen diese Ermächtigung ebenso wenig wie Artikel 51 der UN-Charta oder Artikel 5 des Nato-Vertrages, in denen von »militärischen Zwangsmassnahmen« nicht die Rede ist.

 Die SPD  betonte in ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht: »Wollte man Militäraktionen, zu deren Durchführung keine Verpflichtung nach der Satzung der Vereinten Nationen besteht, generell durch Art. 24 Abs. 2 GG rechtfertigen, wären die Grenzen des Zulässigen kaum mehr erkennbar.« (BVerfG Urteil S. 318). Als Regierung und Bundestagsmehrheit bewaffnete Einsätze beschlossen, bei denen es sich zweifelsfrei um militärische Zwangsmaßnahmen handelte, für die es kein Mandat nach Art. 42 der UN-Satzung gab, verletzten sie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, dessen Auslegung des Grundgesetzes für alle verbindlich ist.

Dass sich das Gericht mit dem out-of-area-Urteil über eigene Aussagen zu den Aufgaben der Bundeswehr hinwegsetzte, steht auf einem anderen Blatt. In seinem Urteil über die Verfassungsmäßigkeit des Wehrpflichtgesetzes hatte das Bundesverfassungsgericht 1978 den
»unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers« hervorgehoben, »dass die Streitkräfte der Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe dienen sollen«. (BVerfGE 48). Selbst die Teilnahme an so genannten Friedensmissionen, etwa wie in Somalia, lässt sich schwerlich als
Verteidigung gegen einen bewaffneten Angriff auslegen.

Sinn und Zweck der Streitkräfte beschreibt Artikel 87a des Grundgesetzes. Er ist die eigentliche Klippe bei der rechtlichen Bewertung von Auslandseinsätzen. Der als verbindlich geltende Grundgesetzkommentar (Maunz-Düring) versteht unter »Verteidigung« die Abwehr eines Gegners, der die Bundesrepublik von außen her mit Waffengewalt, also mit militärischen Mitteln, angreift. Allerdings stelle der Artikel keine verfassungsrechtliche Schranke gegen einen Auslandseinsatz der Bundeswehr dar.

Das Bundesverfassungsgericht zog sich in diesem Punkt elegant aus der Affäre. Es erklärte, die »mannigfachen Meinungsverschiedenheiten« darüber, wie der Begriff Verteidigung auszulegen sei, bedürfe in den vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. »Denn wie
immer dies zu beantworten sein mag, jedenfalls wird durch Art. 87a GG der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, dem die Bundesrepublik gemäß Art. 24 Abs. 2 GG beigetreten ist, nicht ausgeschlossen.«

In einem Punkt räumte das Gericht ein Versäumnis der Regierung ein, und zwar hätte sie den Bundestag bei den Auslandseinsätzen nicht übergehen dürfen. Das Grundgesetz verpflichte die Bundesregierung, für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die – grundsätzlich vorherige – konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Ein Freibrief war und ist das – wie übrigens das gesamte Urteil – nicht, denn diese Zustimmung kann sich laut Bundesverfassungsgericht natürlich nur auf Einsätze beziehen, die durch ein Mandat des Sicherheitsrates legitimiert sind. Darüber haben sich Regierung und Bundestagsmehrheit unter anderem bei der Beteiligung an den erwähnten Militäreinsätzen in Jugoslawien und  Afghanistan - die von den KFOR- und ISAF-Einsätzen streng zu unterscheiden sind – hinweggesetzt.

 

Info:

(Aus Conrad Taler,  „Der braune Faden – Zur verdrängten Geschichte der Bundesrepublik“, PapyRossa Verlag 2005)