oder Warum ist die Linke nicht links?
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Sahra Wagenknechts Äußerungen zur Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin erhalten Beifall von ganz Rechts und heftige Kritik aus der eigenen Partei.
Der Abgeordnete Jan van Aken fordert sogar Wagenknechts Ablösung und auch Dietmar Bartsch, der sich mit ihr den Fraktionsvorsitz teilt, geht auf Distanz. Andere Linke sehen sie bereits auf dem Weg in die CSU. Da sich eine Auseinandersetzung mit der AfD wegen deren nachweisbarer Nähe zum Faschismus erübrigt, will ich mich auf die Analyse der parteiinternen Kritik beschränken. Denn diese erscheint mir als symptomatisch für eine nur noch in Rudimenten vorhandene sozialistische Grundüberzeugung, typisch für zu viel Opportunismus und zu wenig Opposition und Neuanfang.
Hätte Sahra Wagenknecht das organisatorische Chaos bei der Flüchtlingsbetreuung und das Fehlen klarer Integrationsziele etwa loben sollen? Hätte sie den Unsinn wiederholen sollen, der uns aus fast jedem Medium entgegenschlägt: ›Wir befinden uns auf einem guten Weg, wir haben zwar Fehler gemacht, dennoch sind die Probleme in einem überschaubaren Zeitraum lösbar‹? Hätte sie wie andere Politiker Placebos verteilen sollen, während in Ansbach, Würzburg, Nizza und Paris das Leben von Menschen bedroht und vernichtet wird?
Selbstverständlich sind diese Verbrechen nicht durchweg Folgen einer dilettantischen bis desolaten deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik. Dennoch weisen sie eine Gemeinsamkeit auf: Die Täter sind/waren fanatisierte Muslime, die sich jenseits eines reaktionären religiösen Fundamentalismus nicht zurechtfinden/zurechtfanden.
Wer die Attentate und ihre Hintergründe kritisiert, stellt dadurch nicht automatisch das Asylrecht in Frage. Vielmehr müssen eine demokratische Gesellschaft und erst recht eine sozialistische Partei wie die Linke deutlich machen, dass der Zustrom von Menschen, die seit Jahrhunderten durch ein autoritäres Islamverständnis und weltlichen Despotismus manipuliert und um ihre Rechte gebracht werden, anderer Instrumente als der bislang angewendeten bedarf. Das Elend lässt sich nicht ändern, wenn man lediglich die Länder auswechselt, aber die eingeübten, gegen das je eigene Lebensinteresse gerichteten Denkstrukturen belässt und toleriert.
Kaum jemand bestreitet, dass sehr viele Flüchtlinge traumatisiert sind. Und jeder Sachkenner weiß, dass in den Lagern die Frustrationen mit jeder neuen Enttäuschung wachsen und dass sie früher oder später in Gewalt umschlagen können. Hierzu gehört auch die Flucht in den Islamismus, wenn alle anderen Auswege verbaut scheinen.
Wir müssen erkennen und daraus Schlüsse ziehen, dass der weitaus größte Teil der Menschen mit falschen Erwartungen gekommen ist, weil er ein nicht zutreffendes Bild von Deutschland entweder von vornherein hatte oder sich ein solches von Schleppern aufschwätzen ließ. Die Situation in ihren Heimatländern hat die „normalen“ Menschen nicht kritikfähig und politisch bewusst gemacht. Sie flohen vor dem Krieg, aber eher selten vor der geistigen Versklavung. Dem Krieg zu entrinnen versuchen, kann nur ein erster Schritt auf dem Weg zur wirklichen Befreiung sein.
In der jüdischen und christlichen Theologie bedeutet Befreiung immer Umkehr (altgriechisch: Mentanoia) und keineswegs, den Gefahren und Problemen auszuweichen. Der Gottlose, an dessen Tod Gott keinen Gefallen habe, solle umkehren von seinen bösen Wegen und leben (z.B. Hesekiel 33, Vers 11). Eigentlich ist das auch im Koran intendiert, nur stehen solche Forderungen im Widerspruch zur diktatorischen Praxis in den meisten islamischen Ländern.
Hier wäre für die Linke eine Gelegenheit, ihre „heiligen Schriften“ als Antwort auf den islamischen Fundamentalismus ins Spiel zu bringen: »Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewusstsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat.« (Karl Marx, Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie). Hier wird ganz konkret die Befreiung des Menschen angesprochen, der nicht länger seine Ideale und Hoffnungen auf eine religiöse Metaebene projiziert, sondern sie im Hier und Jetzt umzusetzen versucht.
Doch bei der Theorie darf es nicht bleiben. Aktionen sind gefragt. Die politische Schulung war jahrzehntelang eine Stärke der Sozialisten. Warum also richtet die Partei nicht Lerngruppen ein, in der die deutsche Sprache und das notwendige gesellschaftliche Bewusstsein vermittelt werden? Denn Sprachunterricht auf Elementarniveau und das Aneignen einfachster handwerklicher Fertigkeiten, so wie bislang in staatlichen und privaten Einrichtungen vermittelt, kann den vielfach verschütteten Begabungen nicht gerecht werden, sondern führt früher oder später zu Ernüchterung und Unzufriedenheit. Integration muss den Charakter von Befreiung besitzen, andernfalls wird sie nicht funktionieren.
Deswegen sollte aus linker Sicht nicht das Merkelsche Aussitzen und Beschönigen gefragt sein, sondern die tatkräftige Solidarisierung mit den Elenden - schließlich ist Deutschland auch das Land von Karl Marx und Friedrich Engels (was auch für Frankreich, Belgien und England gilt). Es wäre gut, wenn die Linke zu ihren Wurzeln zurückfände. Sahra Wagenknecht könnte hierzu einen Anstoß gegeben haben.
Foto: Sahra Wagenknecht (c) Webseite der Linken