Die Negation einer Bemerkung Schopenhauers trifft für Sinti und Roma zu, Teil 2/2


Heinz Markert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die offizielle Rolle der Stadt Frankfurt am Main im Zusammenhang mit der Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma im Einflussbereich der Stadt Frankfurt ist eine unrühmliche, schändliche. Zumal da die Aufarbeitung und Aufklärung dieses dunklen Kapitels nicht mit Ernst verfolgt wurde, was einem zweiten Unrecht und einer bestätigten Verfolgung gleichkommt.


Diesen Sachverhalt sprach endlich die seit dem Jahr 2000 am Eingang des früheren Domizils des Gesundheitsamts angebrachte Tafel aus – diese Tafel musste lange auf sich warten lassen:
„Ab 1947 waren zwei maßgeblich an ‚rassebiologischen Untersuchungen‘ beteiligte Personen, Robert Ritter und Eva Justin, im Stadtgesundheitsamt Frankfurt am Main in leitender Funktion beschäftigt. Sie wurden für ihre Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen. Die beiden Namen stehen stellvertretend für diejenigen, die unter dem Deckmantel von Wissenschaft und Forschung oder durch Wegesehen und Schweigen den Völkermord an Roma und Sinti ermöglichten.“ (Auszug)


Von einzigartiger Pseudowissenschaftlichkeit innerhalb der NS-Ideologie ist der Umgang mit einem rassistisch zurechtgebogenen Charles Darwin. Darwin war kein Darwinist. Er schleppte keine pseudowissenschaftlich zurechtgeschusterte Ideologie in sein Werk ein. Übrigens war auch Marx kein Marxist, wie er einmal betonte, um missbräuchlichen Interpretationen vorzubeugen, die ihm schon schwanten.


‚1936 wurde der Psychiater Robert Ritter Leiter der „Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“‘ (Script zur Ausstellung ‚Frankfurt-Auschwitz‘ des Fördervereins Roma e.V., S. 1). In absurder Weise war es sein Bestreben, die ‚als asozial und kriminell eingestuften „Zigeunermischlinge“ auf lange Sicht durch Sterilisation zu vernichten…‘. Nach der abstrusen Ideologie der Nazis ’galten die wenigsten als „reinrassige Zigeuner arischen Ursprungs“, von denen für das deutsche Volk keine Gefahr ausgehe‘. Diese Unterscheidung wurde später in den Vernichtungslagern hinfällig, woran sich zeigt, wie geschustert Nazis vorgingen.


Unter dem damaligen Oberbürgermeister Friedrich Krebs wurde ‚die in der Weimarer Republik praktizierte Politik der Abschiebung aus der eigenen Stadt‘ durch den Polizeipräsidenten Adolf Heinrich Beckerle verstärkt und ab 1936/37 die Sinti und Roma aus Frankfurt (und Umgebung) aus ihren Wohnungen und Wohnwagen geholt und zwangsweise in Lager interniert, besonders in jene der Kruppstraße und der Dieselstraße (‚Matra-Werke‘)
In einem Beitrag der Hessenschau von 1992, schaubar im Videoteil der Ausstellung, berichtet eine Betroffene am Eingang von Matra WBB von dem Schock, der ihnen als Familie und Kindern widerfuhr, die sich unvermittelt in einem Lager eines Industriegebiets der Stadt wiederfanden. Die ‚Lagerinsassen‘ wurden von einem Lageraufseher drangsaliert und mussten Zwangsarbeit in Frankfurter Fabriken leisten. Die Aufarbeitung dieser Geschichten wurde im offiziellen Frankfurt tunlichst vermieden und auch heute werden Sinti und Roma noch immer ausgegrenzt.


‚Im Dezember 1942 gab Heinrich Himmler den Befehl zur Deportation der Sinti und Roma nach Auschwitz‘. Das „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau wurde ‚als Modell vorgestellt‘. Die Sterberate dort lag ‚weit über dem Durchschnitt von Auschwitz‘.


Im Lager Auschwitz-Birkenau unternahm der Arzt Mengele ‚grausame wissenschaftliche Versuche an Menschen‘. Die Experimente endeten damit, dass die Erwachsenen und Kinder umgebracht wurden. ‚Die verbliebenen 2.897 Menschen des „Zigeunerlagers“ Auschwitz wurden am 2.8.1944 ermordet, nachdem sie sich im Mai desselben Jahres durch einen Aufstand kurzzeitig erfolgreich gegen die massenhafte Vergasung zur Wehr setzten‘. (Script)


Die Traumata der zweiten und dritten Generation


Wie schon angedeutet, werden die Traumata der Erstbetroffenen an die nächsten Generationen weitergereicht. Das ist ein Vorgang der kulturellen Vererbung mit weitreichenden Folgen auf die Nachkommen. Uniformen, Stiefel, Amtspersonen und Ärzte lassen alles Erlebte wieder hochkommen, weil es neuronal gespeichert ist.


Der Vater war nach all dem, was ihm zustieß, verhaltensgestört. Er war abgestumpft, hat sein erworbenes Schema der Erinnerung auf die Familie projiziert. Er war Alkoholiker, unbeherrscht, die Kinder sollten keine Spielzeuge haben. Während eines Zusammentreffens mit anderen Betroffenen in Auschwitz bemerkten die damaligen Kinder, dass die anderen Eltern genauso waren. Die Kinder durften nichts. Kam ein Kind nur zwei Minuten zu spät aus der Schule, war die Angst sofort wieder da, sie war injiziert. Die Kinder wurden, wenn überhaupt, selbst zum Arzt gebracht. Panik, Angst und Sorge meldeten sich regelmäßig in das Lebensgefühl zurück.


Kindheit und Elternschaft war von Verlustängsten geprägt. Nichts wurde erlaubt, nicht Schwimmbad, Schulkameradinnen und Schulkameraden, immer musste in Hörweite geblieben werden. Schule war wichtig, auffallen war zu vermeiden, überall sollten die Kinder die Besten sein. Fingernägel wurden streng kontrolliert, Nase und Ohren. Eine Oma fehlte.
Nach dem Anschlag auf die Wohnungstür traute man sich nicht die Polizei zu informieren. Wenn etwas gestohlen wurde, waren es zuerst ‚die Zigeuner‘, man wurde geschnitten. Nach 42 Jahren wird nochmals ein ganz alter Vorwurf ins Gesicht geschleudert.


Auch die dritte Generation ist noch von Diskriminierung und Ablehnung betroffen. Sohn und Tochter hatten Schwierigkeiten, verleugneten ihre Herkunft, verheimlichten sie. Bei der Berufswahl der deutschen Roma war Zurückhaltung angebracht. Auf einem Betriebsausflug kam es zur ‚Enthüllung der Herkunft‘: als Folge, dass es herausgekommen war, wurde die Ausbildung abgebrochen.


Mit einem ‚Outen‘ konnte alles verloren werden, was man aufgebaut hatte. Menschen werden nach einer Schablone ein- und aussortiert, nach dem Vorurteil. Eine der Schwestern sagte: auch Roma haben Fehler, aber nicht alle; sie pauschal zu bewerten ist das Problem - das Problem der Minderheit. Das Konstrukt Minderheit bedeutet: Ausgrenzung von Nachbarn, die Deutsche sind und sich auch so fühlen.


Die Anträge zur Entschädigung waren mit einem schweren Gang zum Amt verbunden. Die Schuld einer Mehrheit wurde beständig geleugnet, die Verfolgung, die spätestens ab 1939 begann, wurde in Zweifel gestellt. Pro Tag betrug die Entschädigung für das erlittene Unrecht 5 DM.


Info:
Ausstellung „Frankfurt – Auschwitz“, im Klapperfeld, 60313 Frankfurt, Klapperfeldstraße 5, geöffnet vom 29. Juli bis 17. September 2016, Samstag von 15 bis 18 Uhr, am 31. August, 7. und 14 September jeweils von 10 bis 13 Uhr.