Gerichtsakten blieben bis heute unter Verschluss

Kurt Nelhiebel


Bremen (Weltexpresso) - Der 17. August 1956 war ein sonniger, warmer Tag. Morgens beim Frühstück in einem Karlsruher Hotel meinte einer meiner Journalistenkollegen, ich müsste meine Kleidung wohl noch vervollständigen. Mit offenem Hemdkragen würde ich beim Bundesverfassungsgericht nicht eingelassen. Also kaufte ich mir auf dem Weg zum Gerichtsgebäude eine billige Krawatte und band sie mir um den Hals.

Kaum hatte der Gerichtsvorsitzende den ersten Satz des Urteilstenors im Verfahren gegen die Kommunistische Partei Deutschlands gesprochen, stürzte die  Journalistenmeute an die Telefone.

Mit dem Verbot entsprach das Gericht einem fünf Jahre zurückliegenden Antrag der Bundesregierung.  Konrad Adenauer hatte den westlichen Alliierten 1950 ohne Wissen des Kabinetts die Aufstellung deutscher Streitkräfte angeboten und fürchtete zu Recht mit erheblichem Widerstand. Sein Innenminister Gustav Heinemann quittierte aus Protest gegen Adenauers Eigenmächtigkeit seinen Dienst. Der Gedanke an eine deutsche Wiederbewaffnung so  kurz nach Kriegsende wollte vielen Menschen nicht einleuchten. Um was es der Regierung ging, konnte im Verbotsantrag nachgelesen werden. „Die KPD ist Hauptträgerin der sogenannten Volksbefragungsaktion gegen die Remilitarisierung.”  Sie handle im Rahmen „eines von den  Machthabern in der Sowjetzone entworfenen Angriffsplanes”, in dem die Partei das „Rückgrat der inneren Aggression” darstelle. Die in der DDR herrschende Ordnung solle auf die Bundesrepublik übertragen werden. Die Partei sei daher „in höchstem Maße verfassungsfeindlich” und müsse „von der weiteren Beteiligung an der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik ausgeschlossen werden.”

Ob beim Verbot alles rechtsstaatlich zugegangen ist, darf  bezweifelt werden. Jedenfalls nahm es die Bundesregierung mit der Gewaltenteilung nicht sonderlich ernst und das Bundesverfassungsgericht hielt die Akten nicht ohne Grund 60 Jahre unter Verschluss. Die Frist läuft  mit dem 17. August dieses Jahres ab. Was Joachim Gauck in einem Vorwort zu einem Buch über den Staatssicherheitsdienst der DDR geschrieben hatte, galt in diesem Fall sechs Jahrzehnte lang nicht. Aus der Einsicht in Akten könnten  „tief reichende historische, aber auch persönliche Einsichten“ erwachsen, meinte Gauck als ehemaliger Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde.

Vor Jahren habe ich  beim Bundeskanzleramt angefragt, ob sich anhand des Schriftwechsels zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgerichts der Eindruck widerlegen lasse, die Regierung habe Druck auf das höchste deutsche Gericht ausgeübt. Antwort habe ich niemals  bekommen. Als die Bundesregierung 1951 ihren Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD formulierte, ging sie nach Ansicht des Historikers Josef Foschepoth  nicht von einer ernsthaften Bedrohung des Staates aus. Vielmehr habe sie in einem „symbolisch wahrnehmbaren, rechtsverbindlichen Akt die politische, kulturelle und gesellschaftliche Distanzierung vom Kommunismus insgesamt vollziehen“ wollen.

Das Gericht ließ sich viel Zeit mit der Behandlung des Antrages. Sein Präsident  Hermann Höpker-Aschoff wollte das Gericht nicht als Handlungsgehilfe der Politik verstanden wissen.. In einem unter seiner Leitung zustande gekommenen Beschluss des ersten Senats heißt es: „Wer das Bundesverfassungsgericht, gleichgültig in welcher Gestalt anruft, will das Recht und nicht eine politisch genehme Entscheidung, und er muss voraussetzen, dass das Gericht in allen seinen Entscheidungsgremien nur dem Recht dient und allein dem Recht verpflichtet ist.“  Erst nachdem Höpker-Aschoff gestorben war, kam Bewegung in das Verfahren. Aber auch seinem Nachfolger Josef Wintrich war die Sache nicht geheuer. Im November 1954 suchte er Adenauer in Bonn auf, um sich zu vergewissern, ob die Regierung an ihrem Verbotsantrag festhalte. Wenige Tage später setzte das Gericht einen Termin für den Beginn der mündlichen Verhandlung fest, aber ein Jahr nach deren Abschluss hatte sich das Gericht  immer noch nicht zu einem Urteil durchgerungen. Aus den Kabinettsprotokollen geht hervor, dass die Regierung beunruhigt war. Sie brachte ein Gesetz auf den Weg, das die Zuständigkeit für Parteiverbote vom ersten auf den zweiten Senat verlagerte.  Nach diesem, wie Alexander von Brünneck sich ausdrückte,  "deutlichen Wink",  erließ der erste Senat am 17. August 1956 die lange erwartete Entscheidung.  

In einem Beitrag zum 60jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts schrieb die Süddeutsche Zeitung am 27. 9. 2011: „Das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands rührte ans Herz der jungen Demokratie.“ Jutta Limbach bekannte als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, sie hätte mit dem Wissen und dem Horizont von heute den KPD-Verbotsantrag abgelehnt.

 

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