Ein persönlicher Nachruf auf Ernst Nolte (11. 1. 1923 – 18. 8. 2016), Teil 2/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das alles konterkarierte der besagte Artikel von Ernst Nolte. Denn er setzte unserem Bestreben, die Verbrechen der Nazis als deutsche Schuld anzuerkennen, diese zu analysieren und zu demaskieren einen Schlußstrich, in dem er Hitler und seine Schergen als Reaktion auf und damit als Nachahmer des Stalinschen Gulags bezeichnete:

 „Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ‚asiatische‘ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ‚asiatischen‘ Tat betrachteten? War nicht der ‚Archipel Gulag‘ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‚Klassenmord‘ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ‚Rassenmords‘ der Nationalsozialisten? Sind Hitlers geheimste Handlungen nicht gerade auch dadurch zu erklären, daß er den ‚Rattenkäfig‘ nicht vergessen hatte? Rührte Auschwitz vielleicht in seinen Ursprüngen aus einer Vergangenheit her, die nicht vergehen wollte?“

Nein. So schlimm der Stalinismus wütete, der von 1930 bis 1953  angebliche oder tatsächliche Kritiker des Stalinismus, rund 18 Millionen Menschen kasernierte und 2, 7 Millionen zu Tode folterte, ermordete oder verhungern ließ, er läßt sich aus vielen Gründen nicht mit dem Nationalsozialismus vergleichen, bzw. dieser mit ihm. Denn der systematische industrielle Massenmord von Mitbürgern im Nazi-Deutschland, von dem übrigens auch Nolte spricht, und der Raub ihrer Besitztümer, Geld, Schmuck und Kunst, Wohnungen und Häuser etc., ist schon deshalb etwas anderes, weil es nicht um politische Feinde ging, sondern RASSE oder was man dafür hielt, ausschlaggebend war, ob man leben durfte. Hinzu kommt, daß nicht allein wie in der UdSSR staatliche Stellen diese Verbrechen ausübten, sondern  diese getragen waren vom Wegschauen oder sogar Beteiligtsein der deutschen Mitbürgern, die ja sahen, wenn jüdische Bevölkerung aus ihren Wohnungen vertrieben, durch die Straßen getrieben und deportiert wurden in ein Nirgendwo, was mit dem Tod in der Gaskammer endete. Während ihre Besitztümer von gerade diesen guten bürgerlichen Deutschen unter sich aufgeteilt wurden.

Unsere Diskussion in Israel fand in dem oben erwähnten Kontext statt. Daß da ein Historiker  wie Nolte sich einen Namen machen wolle und die bisher bei der Linken als Sachwalter eines neuen demokratischen Deutschlands mit Menschenrechten angesiedelte moralische Kompetenz gegenüber der Nazivergangenheit aufgehoben werden sollte, zugunsten einer neuen Situation, daß nämlich die Deutschen doch nur das nachgeahmt hätten, was die Stalinisten ihnen vorgemacht hatten.

Diese von Nolte und anderen gewollte gesellschaftliche Umorientierung innerhalb der deutschen Gesellschaft, die ja die 'Schuldfrage' verharmloste, hatten auch Jürgen Habermas u.a. klar erkannt. Ihr massiver journalistischer und politischer Einsatz wäre ohne solches Weiterdenken gar nicht zu verstehen. Denn der Artikel von Ernst Nolte wollte denen, die mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der bundesrepublikanischen  Gesellschaft weiterhin beschäftigt waren, den Boden unter den Füßen entziehen, bzw. hätte dies getan, wenn die gesellschaftliche und politische  Stimmungslage letztendlich Nolte gefolgt wäre. Die Stimmung in Deutschland in Bezug auf die Verbrechen des Nationalsozialismus hat aber Ernst Nolte damals nicht richtig eingeschätzt.

Anders als in den Fünfziger und Sechziger und noch den anfänglichen Siebziger Jahren, hat sich – fernab einer wissenschaftlichen Analyse  - in der westdeutschen Gesellschaft etwas ganz anderes getan: Solche leicht melodramatische amerikanische vierteilige Fernsehserie wie HOLOCAUST – DIE GESCHICHTE DER FAMILIE WEISS, die im Januar 1979 hierzulande ausgestrahlt wurde und das fiktive Schicksal der jüdischen Arztfamilie Weiss im Dritten Reich erzählt, hat zu größerer Anteilnahme am Schicksal der jüdischen Bevölkerung geführt als jegliche vorherige Aussage, Sendung, Film oder Fernsehen. Erst jetzt wurde breit in den Familien nachgefragt, erst jetzt wurde der Naziterror in deutschem Namen wirklich zum Thema, mit vierzigjähriger Verspätung! Und genau 1986 kam zudem mit SHOA der zweiteilige Dokumentarfilm von Claude Lanzmann in Deutschland heraus, in dem Überlebende von den KZs berichteten, was erneut zur Diskussion über die Nazizeit in der Bundesrepublik führten.

Es war also nicht nur die gegen die Noltschen Thesen gerichtete politisch-wissenschaftliche Diskussion, die  immer mit dem Namen Habermas verknüpft ist, aber sehr viele Mitdiskutanten brachte, die Nolte ins Abseits drängten, sondern es war auch das gesellschaftliche Klima, daß man sich sehr wohl endlich um seinen eigenen Dreck zu kümmern habe. Und nicht gleich wieder Ausreden brauchte, andere hätten doch auch, oder sogar früher etc. Insofern hat dem linksliberalen Lager der Bundesrepublik im Nachhinein dieser Nolteartikel aus der FAZ sogar genützt, denn er hat die moralische Kompetenz der Linken in Sachen Nationalsozialismus bestärkt und einer sich wissenschaftlich gebenden Rechten keinen Boden überlassen.

Zu Recht hat sich Ernst Nolte danach als abgeschoben und ausgeschlossen gefühlt. Er war ein Ci-devant geworden, der auch von seiner eigenen Klientel links, d.h. rechts liegen gelassen wurde, ja geradzu gemieden wurde, es war für Historiker und andere ab irgendwann einfach nicht opportun, mit ihm in ein Horn zu blasen oder zu seiner Gefolgschaft zu gehören. Da kann einem der Mann schon wieder leid tun. Denn er sagt – so was ist schon tragisch – neben seiner steilen und falschen These der Analogie von Stalinismus und Nationalsozialismus, bzw. der Nachahmung des Letzteren – auch völlig richtige Sachen.

Die notwendige zentrale Frage, wie Auschwitz möglich war, also die Frage nach der Ermordung des jüdischen Teils der deutschen Bevölkerung durch Deutsche, hatte in all unseren Diskussionen, einschließlich des Auschwitzprozesses von 1963-65,  einen solchen Stellenwert erhalten, daß alles andere überlagert wurde. Sprich, alle anderen entsetzlichen Verbrechen der Nazis nicht mit gleicher Emphase weiterverfolgt wurden, wie vor allem die Euthanasieverbrechen, die bis heute juristisch durch Anklagen und Prozesse immer noch nicht aufgearbeitet sind. Das beklagte Nolte zu Recht, aber seine Methode, durch die  Nachahmungsthese der Nazi-KZs an den Gulag eine Art Schuldminderungsgrund für die Nazis zu schaffen, erreichte geradezu das Gegenteil. Jetzt wurde erst recht über die KZs diskutiert und die anderen wichtigen Themen blieben weiterhin liegen. Und dann blieben auch noch seine Thesen nach kurzer und heftiger Diskussion ein Rohrkrepierer.

Wenn die Zeitung, die Noltes Vergangenheitskorrektur veröffentlicht hatte, die FAZ, heute in ihrer Sonntagsausgabe davon spricht, daß der Historikerstreit von heute her gar nicht so groß und bedeutend war, wie es damals schien, so ist dem kräftig und laut zu widersprechen. Nur weil der öffentliche Diskurs von Habermas u.a., ja von uns allen, so eindeutig ablehnend geführt wurde, wurde diese, Historikerstreit genannte versuchte Geschichtsrevision zur Entlastung des deutschen Gewissens zu ihrem eigenen Bumerang. Daß die Taten der Nazis in ihrer Art und Beschaffenheit originär und einzig und hoffentlich sich nie wiederholen werden, war und ist gemeinsames Verständnis des überwiegenden Teils deutscher Bevölkerung.

Diese gesellschaftliche Übereinkunft  wurde ziemlich schnell deutlich, der Historikerstreit war gar keiner mehr und Noltes Ansinnen vergeblich. Nolte gehörte der Vergangenheit an. Von Siegen und Niederlagen schreiben wir in solchen Kontexten nicht gerne. Aber es waren welche.

 

Foto: links Jürgen Habermas, rechts Ernst Nolte (c) Die Welt