Deutschland und Europa versagen in der Flüchtlingspolitik mit zunehmender Abschottung und Gleichgültigkeit


Heinz Markert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Und das obwohl deutsche Konzerne durch Rüstungsexport und Kooperation mit unfähigen, korrupten Regimen einen wesentlichen Grund für Unordnung und Chaos auf der Südhalbkugel liefern. Schäuble lehnt eine klare Festlegung der Sorgfaltspflicht für deutsche Konzerne bei Geschäften im Ausland ab und damit die Gerechtigkeit. Für ihn gilt der Grundsatz: Profit vor Menschenrechten (‚Profit statt Menschenrechte, Monitor 08.09.2016).

Zuvor Mare Nostrum, jetzt: ‚SOS Mediterranee‘ und ‚Sea-Watch‘


Handelsschiffkapitän Klaus Vogel, Präsident und Gründer von SOS Mediterranee Deutschland e.V. hat 2015 seinen Brotberuf bei Hapag Lloyd aufgegeben und sich seither der Seenotrettung im Seegebiet Sizilien/Lampedusa/Lybien gewidmet. ‚SOS Mediterranee e.V. ist eine zivilgesellschaftliche Hilfsinitiative zur Rettung von Flüchtlingen in Seenot auf dem Mittelmeer‘.


Die Aquarius, ein Fischereischutzboot von 77 Meter Länge, mit einem Tiefgang von 6,6 Metern und zuzüglich zwei schnellen Booten sowie einer Krankenstation wurde für die Rettung aus Seenot gechartert. Es hat (mit Unterdeck) eine Transportkapazität für 200-500 Menschen. An Bord befindet sich eine seemännische Besatzung, die ‚Search-and-Rescue‘-Crew und ein Team der Ärzte der Welt. Die Leitstelle MRCC Rom koordiniert die Einsätze.
Klaus Vogel sagt: „Wir sind Geschaffene; eines Tages werden wir selbst Geflüchtete sein“. Grenzziehung bezeichnet er als Perversion, Europa braucht „humanitäre Korridore“ für Flüchtlinge aus Lybien.


Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) verabschiedete Besatzung und Schiff am 4. Februar 2016 zum ersten Einsatz. Bei diesem wurden 193 Menschen gerettet.

 


Hintergrund: Mare Nostrum und Frontex


Ab Herbst 2013, als Terror und Bürgerkrieg die Flucht von Menschen ansteigen ließen, startete Italien mit seiner Marine und der Küstenwache die Aktion Mare Nostrum, von dem sich das übrige Europa fernhielt. Premier Matteo Renzi sagte: „Es ist beschämend, dass die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete EU nicht einmal gewillt ist, die Kosten für das grandiose italienische Rettungsprogramm Mare Nostrum zu übernehmen. […] Wir dürfen nicht erlauben, dass das Mittelmeer zu einem Friedhof wird. Die EU darf nicht einfach wegschauen“.


Ende Oktober 2014 endete die Operation Mare Nostrum. Anfang November 2014 begann die Operation Triton, benannt nach dem Meeresgott, unter Führung der EU-Grenzagentur Frontex.


In einem Schreiben an die EU-Kommissarin Malmström forderte der deutsche Minister de Maiziére, im Rahmen von Frontex +, die Operationen ‚Hermes‘ und ‚Aeneas‘ zu verstärken. Denn Frontex sollte in Zusammenarbeit mit Drittstaaten vornehmlich dem Abfangen und Festsetzen - in lybischen Flüchtlingslagern -(‚Willkommenszentren‘) dienen, eigentlich aber der Abschreckung.- ‚Lybier schlagen‘, sagen Festgesetzte (Monitor, 12.12.2014). Es gab nach Beendigung von Mare Nostrum keine systematische Seenotrettung mehr.

 


Metaphysische Zweifel an der Lauterkeit von Flüchtlingen


Den allerschwersten Stand in der abendlichen Runde hatte nun ausgerechnet Klaus Vogel, der Retter. Alois Theisen, ein Mann der negativen Anthropologie, wie viele von ihm moderierte Sendungen belegen, wollte unbedingt als normative Erkenntnis in den Vordergrund rücken, dass die Flüchtlinge nicht aus realer Bedrohung den Weg nach Europa machten, sondern weil sie wegen des Wohlstandgefälles verlockt würden sich aufzumachen, wozu Kanzlerin Merkel ihren unverantwortlichen Teil dazugegeben habe, wie ihr beständig in einer Plattformel unterstellt wird.


Rainer Forst bestand darauf, dass sich die Flüchtlinge aus Gründen realer Bedrohung an Leib und Leben - weil sie unmittelbar um ihr Leben fürchten müssen - auf den Weg machten. Die Welt ist in Unordnung und Chaos versetzt durch korrupte Systeme, mit denen multinationale Konzerne paktieren und Raub und Raubbau an den Ressourcen begehen (Film: ‚Landraub‘). Dürre und Knappheit als Folge von Umweltzerstörung erzeugt ethnische Rivalität und daran anschließende Genozide.


Die Geflüchteten ‚können nichts für ihre Herrscher‘. Sie haben ihre Souveränität am Leben verloren. Ein Zurückbringen wäre zynisch, so Klaus Vogel. Wir selbst (auf der Nordhalbkugel) machen die Schlepper. So zweifelhaft sie erscheinen mögen, sie sind auch Helfer der Flüchtlinge, ergänzt er. Und: wir werden die Herausforderung nicht los, müssen die Fluchtursachen bekämpfen, es braucht eine gerechte Weltwirtschaftsordnung: Korrupte Systeme sorgten sich nicht um Menschen, diese seien ihnen egal. Wir ziehen Vorteile aus der Ausbeutung der globalen Ressourcen.


Paolo Ferri hält es für sinnvoller, die Waffenindustrie zu beschränken, als bei der Raumfahrt zu kürzen.

 


Die Grenze wird technologischer


Klaus Vogel befürchtet eine unmenschliche Perfektionierung der Grenze. Es ist klar, dass das Drama sich dann bloß zuspitzen wird. Früher habe mindestens einer im Dorf in Mali eine Vision von und den Pass für Frankreich gehabt. Nach einigem Aufenthalt im fernen Land sei er auch mal wieder zurückgekommen und der Bruder habe den Pass bekommen. Mit der biometrischen Erfassung aber sei die Grenze perfektioniert und manifester worden.


Rainer Forst besteht darauf: Jenseits der Grenzen fordert die Universalität des Rechts, dass die Hilfe für Geflüchtete nicht wesentlich auf Barmherzigkeit gründet, sondern Pflicht ist - die die Gerechtigkeit gebietet. Es ist Grundrecht, einen Asylantrag stellen zu dürfen, das darf nicht vereitelt werden. Das Menschenrecht fordert ein, im Herkunftsland Bedrohte und Verfolgte nicht einfach von uns weisen zu dürfen.


Klaus Vogel erwähnte noch den Ukrainer, der auf dem Rettungsschiff Dienst tat. Zunächst sah er die Flüchtlinge als Bedrohung an, er wollte Helm, Metalldetektor und Waffe, um sich wehren zu können. Zuletzt aber haben alle Ukrainer die Flüchtlinge in die Arme genommen und waren stolz, ihren Rettungsdienst geleistet zu haben.

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Info:
Evangelische Akademie Frankfurt, ‚Grenzwelten – Weltgrenzen‘, Auftakt zum Halbjahresthema am 07.09.2016, Historisches Museum Frankfurt · Begrüßung: Dr. Thorsten Latzel · Einführung und Moderation: Alois Theisen. - ‚Europas Kometenjäger Rosetta‘, Dr. Paolo Ferri vom ESA-Raumfahrtkontrollzentrum Darmstadt · ‚Wie viel Grenze braucht der Mensch‘, Prof. Dr. Rainer Forst, Universität Frankfurt · ‚Menschen in Seenot´, Dr. Klaus Vogel, Präsident und Gründer von SOS Mediterranee Deutschland e.V.