Was, wenn es schiefgeht? · Herbstratschlag von Attac zum G20-Gipfel 2017,  Teil 2


Heinz Markert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) – G20 war eine Reaktion auf die Asien-Krise von 1999, wie Alexis Passadakis zur Vorbereitung auf den Gipfel begann auszuführen. Die Krisensituation startete augenscheinlich mit dem Einbruch der Siebziger Jahre, als die Sockelarbeitslosigkeit zur festen Größe wurde. Die Finanzkrise hatte bereits zur Schröder-Ära ihr Vorspiel zu Beginn der 2000er Jahre (was aber verdrängt blieb).

Jedoch schon der Beinahe-Zusammenbruch des Katastrophen-Hedgefonds LTCM im Jahr 1998, der das Verhältnis von Kredit und Eigenkapital auf 20 zu 1 hebelte, konnte als Einleitung zum denkbar großen Crash verstanden werden.


Die Asienkrise erweiterte die Runde des informell-staatlichen Krisenmanagements um Australien, China, Russland, Südafrika, Indien, Argentinien. IWF, Weltbank, OECD sind auf den regelmäßigen ‚Familienfotos‘ stets mit von der Partie. In der bleiernen Zeit der Niedrigzinspolitik bleiben zaghafte Versuche der Re-Regulierung der Finanzmärkte mit Basel III und Anhebung der Eigenkapitalquoten, der Stabilisierung des Freihandelsregimes oder gar Europa-eigenen Ratingagenturen, doch nur ‚Alter Wein in neuen Schläuchen‘. ‚Sie sind ‚nicht weitreichend genug‘. Und: das überreichliche Geld befüttert weiter die Spekulation.


Eine ‚neue Pluralität‘ ist mit den Brics-Staaten/Schwellenländern: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika eingekehrt. Davor war der Weltenlenker-Managerkreis G7-dominiert. Ist G7 nun vorbei? Der alte Kern hat seine Bedeutung eingebüßt. Neue Akteure kamen hinzu. Entwicklung, höchst drängend im Weltmaßstab und Weltklima (Deutschland verfehlt durch den wiederaufgelebten Fossil-Geheimbund auf Rot-Schwarz-Regierungsebene) – soeben wurde Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) gefedert, ihr Klimaschutzplan gestutzt.


Wer wird herrschen, wer setzt sich durch - wer kann zurückgedrängt werden? Es gibt mehr oder weniger geheime Agenden und solche, die ad-hoc entstehen: den Aufstieg Chinas und Russlands eindämmen, Plattform für bilaterale Treffen organisieren (zu Syrien), Finanzmarktkapitalismus stabilisieren. Eine große Linie besteht darin, die UN rauszuhalten; einiges an akademischer Debatte (Joseph Stiglitz) spielt hinein, was politisch nicht wirksam wird. 2017 ist auch ein Jahr der Bundestagswahl. So wird versucht werden, öffentlichkeitswirksam aufzutreten: die Auftritte vorm großen informellen Weltlenkerclub für die Wirkung im Wahlkreis zu nutzen. Der Kontext Bundestagswahl steht oben auf einer stillen Agenda. So geht Politik und die Massen laufen mit.
Aber es wird auch zivilgesellschaftliche Begleitprozesse geben mit den NGOs, mit Labor-20, Civil Siciety-20 (C-20). Die Heinrich-Böll-Stiftung wird vertreten sein, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, der NABU, Misereor, Brot für die Welt, Grüne Jugend, um nur einige zu nennen. Die Gewerkschaften werden sich wohl auch noch einbringen.


Es wird in Hamburg unweigerlich Proteste geben. Attac distanziert sich von gewalttätigen Phantasien in vorhandenen Spektren abgespaltener Gruppen. Es möchte Gegenentwürfe zum Neoliberalismus, dem Menschheitsspalterunwesen, bewerben, sich gegen herrschende Krisenlösungen stellen, die solidarisch-emanzipative Bewegung des nicht-repressiven Politikmodells auf die Ordnung der Tage setzen. Auf der G20-Plattform soll eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung zur Erscheinung kommen.


Natürlich wird der Freihandel um CETA und TTIP kurz vor dem Gipfel noch einmal ganz nach oben gerückt und die Kontroverse um die fairen Standards für Mensch, Tier und Ökosphäre auf der Gipfel-Plattform ausgetragen mit Themen wie: Steuerparadiese und Panama-Papers, Rüstungsexporte, Klimazerstörung, Landraub, fragwürdige, weil klimaschädliche Distribution von billigen, subventionierten Nahrungsmitteln um den Erdball (weitere Themen liefert die Homepage von Attac). Alles, was umtreibt wird mit Ratio, Vernunft und Fürsorge auf die konkurrierende Gipfel-Agenda gesetzt. Von den schlechten Erfahrungen mit dem NAFTA-Handelsabkommen wird es eine Erzählung geben. Der Slogan des Papstes lautet: ‚Kapitalismus tötet‘, d.h. die Erhebung des Kapitals zur ‚Massenvernichtungswaffe‘ mit Derivaten (nach Warren Buffet, Investment-Guru).


Der Sachverständigenrat hat soeben wieder die alten Rezepte aufgewärmt und gefordert: mehr Privat, weniger Staat (als ob Privat nicht die größte Geldvernichtung betrieben hätte!), Ausbau des Niedriglohnsektors. Das hat seinen Hintergrund: die psychosozial depressiv gestimmten Weisen haben, außer Peter Bofinger, den nicht unwahrscheinlichen Finanzcrash der Geldblase vor ihrem geistigen Auge: mit gesenkten Löhnen und beschnittenen Sozialausgaben lassen sich kommende Einbrüche umstandsloser ‚refinanzieren‘.


Was wir landes- und weltpolitisch zunehmend beobachten müssen: es waltet auf den Problemfeldern - die viele umtreiben - die Tendenz vor: die bessere Lösung wird permanent hintertrieben und ausgehebelt, wie bei der gerade erst lancierten Absage an den Klimaschutzplan 2050. Drei gräusliche Beta-Tiere sind dabei: Minister Gabriel (Wirtschaft), Christian Schmidt (Landwirtschaft) und Alexander Dobrindt (Verkehr). Diese und so viele andere sägen am schleichenden Untergang der irdischen Natur. Sie hängen in den Fängen der Lobby-Vereinigungen.

 


Die vernünftigsten Menschen weit und breit


An dieser Stelle sei es an der Zeit, den Attacies ein Loblied zu singen: sie sind unglaublich nüchtern, sachlich gefasst und in Diskursen und Auseinandersetzungen lupenreine Vernunftmenschen, gleichsam wie in die Welt der Irrationalität durch Schöpfungsakt eingepflanzt als Gegenmodell, nicht ganz aber ohne auch ein wenig Buchhaltermentalität. Politiker sind dagegen notorische Irrgänger. Wahrscheinlich hat ein CDUler aus dem Umkreis der alten Koch-CDU Attac verpetzt und ihm die Gemeinnützigkeit beim Finanzamt löschen lassen. Bäh, CDU, du änderst dich halt nicht. Die CDU könnte sich glücklich schätzen, so vernünftig eingestellte, durchweg sachlich gestimmte und scharfsinnig Argumente einbringende Mitglieder in ihren Reihen zu wissen, denen es nur um die Sache einer schwer gefährdeten Menschheit geht, die stets mehr im freien Fall abwärts sinkt.


Gleichzeitig verstehen sie sich im Vorblick auf die zivil angelegten Aktionen in Hamburg auch auf Choreographie und insbesondere auf die Unverzichtbarkeit von Erzählungen angesichts einer höchst gordisch-kritischen Verfassung des europäischen Gemeinwesens und der Gemeinwesen darüber hinaus. Sie machen sich Gedanken um die bestmögliche Kampagne. Erzählung heißt: Logos und Mythos haben in gleichem Maße ein Recht, in einer Sprache der Metaphern (wie ‚Die Welt ist keine Ware‘), die immer neu zu finden ist. Texte sollen nicht überfordern, schon gar nicht um die Lage noch mehr zu verwirren. Das in sich Verwobene braucht eine Form der Darstellung, die verständlich ist, die ankommt - nicht vorbeirauscht, wie der eingespielte Politsprech der ‘Linkspartei‘ (eine leider abwertende Bezeichnung für die Partei Die Linke, übrigens).

 

Foto: (c) Heinz Markert
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