Weil er vor allem die Ahnungslosen überzeugen konnte, gewann Donald Trump die Präsidentenwahl

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Als John Lackland (Johann Ohneland) ging der englische König Johann (1199 - 1216) in die Geschichte ein. Irgendwie erinnert Donald Trump an ihn.


Denn es ist zumindest fraglich, ob die Deklassierten auf Dauer als Hausmacht ausreichen, auf die sich ein US-Präsident bei seinen Entscheidungen berufen kann und verlassen muss. Schließlich zählt die Republikanische Partei fast ausnahmslos zum politischen Establishment und steht dem deregulierten (Finanz-) Kapitalismus genau so nahe wie die Führungsschicht der Demokraten. Wer lediglich 75 Prozent der wenig Gebildeten bzw. knapp 50 Prozent der gesamten Wähler hinter sich weiß, verfügt nicht über die Handlungssouveränität, die für einen Systemwechsel, wenn er denn gewollt ist, notwendig wäre.

Die Wirklichkeit, der sich Trump ab Januar stellen muss, ist in entscheidenden Punkten desillusionierend. Hierzu ein Beispiel: Angesichts der überirdischen Telegrafenleitungen, die weite Teile der ländlichen Gebiete der USA durchziehen, fühlt man sich dort wie in einem Dritte-Welt-Land. Auch der Hochwasserschutz am Mississippi entspricht vielfach nicht den Sicherheitsanforderungen. Es wären massive finanzielle Investitionen notwendig, um westeuropäische Standards zu erreichen. Doch woher soll das Geld kommen, wenn die Steuern für Unternehmen auf 15 Prozent gesenkt werden? Der Unternehmer und Steuervermeider Donald Trump zahlt seinen Angestellten nachweislich deutlich schlechtere Löhne als die Mitbewerber. Steuerersparnis für Unternehmen führt offenbar nicht zwangsläufig zu höheren Investitionen (u.a. in Fachkräfte), sondern sie sind Mitnahmeeffekte, die nur dem engsten Kreis zugutekommen.

Das Abschotten der Märkte gegen ausländische Konkurrenz erscheint nur auf den ersten Blick als ein Königsweg zur Belegung der Binnenproduktivität. Vor allem Großunternehmen sind zusätzlich auf ausländische Märkte angewiesen. Was wären Coca Cola, McDonald’s, Heinz, Esso, Adobe, Microsoft, Apple, Google, HP, Lewis, Amazon (um nur einige zu nennen) ohne die Konsumenten in Westeuropa? Die europäischen Regierungen würden wirtschaftliche Einbahnstraßen nicht lange zulassen und dadurch Trumps Milchmädchenrechnung ad absurdum führen.

Auch der beabsichtigte Ausstieg aus der Klimapolitik würde sich kurz über lang als Hasardeurstück erweisen. Selbst die Volksrepublik China hat mittlerweile erkannt, dass man sich durch ungezähmte Umweltzerstörung vor allem auch selbst umbringt.

Und was würde geschehen, wenn der Kriegsverursacher USA (man denke nur an Afghanistan oder den Irak) sich vollständig aus den Folgen seiner Interventionen zurückzöge? Oder wenn er ausgerechnet das islamistische Saudi-Arabien mit Atomwaffen hochrüstete? Oder Erdogans Genozid gegen die Kurden tolerierte? Für einen solchen Fall wäre es nicht unrealistisch, vom Entstehen einer neuen Weltmacht auszugehen, nämlich einem osmanisch-arabischen Imperium, das wie der typische Zauberlehrling vor allem gegen seinen Meister ins Feld zöge. Dann könnte der 11. September 2001 alsbald kein singuläres Ereignis mehr für die USA sein.

Entscheidend dürfte sein, dass die demokratischen europäischen Regierungen der künftigen US-Administration die Grenzen zwischen rationaler Politik und Verantwortungslosigkeit klar machen. Die ersten Äußerungen von Angela Merkel erscheinen als richtiger Weg; hoffentlich hält sie daran fest. Aber auch in den USA selbst müsste das Problembewusstsein dafür wachsen, was auf das Votum der Frustrierten folgen könnte. Wem wenden sich die Abgehängten und Enttäuschten zu, wenn Trump ihre Erwartungen nicht erfüllen kann (was wahrscheinlich ist)? Entsteht eine amerikanische Spielart des Faschismus? Oder erwächst in der Wahlheimat des Kapitalismus ein autoritärer Kommunismus stalinscher Prägung? Gerade weil die Meinungsforschungsinstitute das nicht im Blick haben, sollte man diese Ultima Ratio ernsthaft erwägen. Denn falls der Verstand versagt, greift bekanntlich der Unverstand um sich.

Übrigens: Im Krieg mit Frankreich verlor König Johann die Normandie und den größten Teil Westfrankreichs und damit sein Stammland. 1215 zwang ihn der rebellierende Adel zur Annahme der Magna Charta, die ihm und sämtlichen seiner Nachfolger enge Grenzen der Macht setzte und die bis heute ein wesentlicher Teil des englischen Verfassungsrechts ist. Zu seinem schlechten Ruf trugen Shakespeares Drama „Johann“, Walter Scotts Roman „Ivanhoe“ und die Legenden um Robin Hood bei. Johann galt seinen Zeitgenossen als grausam, böse und wollüstig.