oder Wie man Neonazis Steilvorlagen liefert, Teil 2/2


Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Das war tatsächlich geschehen: Ralf Bender hatte am 27. März 2013 das Limburger Ordnungsamt telefonisch und per Fax darüber informiert, dass er im Umfeld zweier Schulen und darüber hinaus Aufkleber und Aufmalungen mit Hakenkreuzen und antisemitische Parolen an Laternenmasten, Verkehrsschildern, Müll-Containern und Stromverteilerkästen entdeckt hatte.

Und er wies darauf hin, dass derartige verfassungsfeindliche Symbole und Parolen gemäß Strafgesetzbuch eine ständige abstrakte Gefährdung des Rechtsstaats bedeuteten, die rasch in konkrete Bedrohungen umschlagen könnten. Deswegen sei eine unverzügliche Gefahrenabwehr im Sinn des HSOG geboten. Seine Beschreibung der Örtlichkeiten war sehr exakt.

Nachdem die Behörde bis zum 13. April, zwei Tage vor dem Ende der hessischen Osterferien, noch nichts unternommen hatte, legt Ralf Bender selbst Hand an. In der Nachbarschaft der Schulen schabt er Aufkleber ab bzw. übersprüht diese mit schwarzer Farbe, wo sie sich nicht entfernen lassen. Ein großflächig auf einem Müll-Container aufgemaltes Hakenkreuz verfremdet er durch Übermalung. Einer von Dritten herbeigerufenen Polizeistreife erklärt er den Sachverhalt und unterstützt diese bei der Erstellung des Protokolls, das vierzehn Objekte aufführt, die sich im städtischen Eigentum befinden und zwei auf privatem Gelände. Am 15. April informiert er den Leiter des Ordnungsamtes telefonisch über seine Aktion und avisiert das Polizeiprotokoll. Der bestreitet, weder telefonisch noch schriftlich unterrichtet gewesen zu sein. Bender übermittelt ihm daraufhin das Versendeprotokoll vom 27. März plus eine Fax-Kopie. Am 18. April meldet sich das Ordnungsamt schriftlich bei Ralf Bender und kündigt die Inaugenscheinnahme und Beseitigung der volksverhetzenden Aufkleber etc. an. Diese Reaktion erweckt vor dem Hintergrund der Ereignisse den Verdacht der Bewusstseinstrübung bei den Verantwortlichen.




Und das waren die ersten Folgen

Am 13. August 2013 sendet die Stadt Limburg Ralf Bender eine Rechnung über Reinigungskosten in Höhe von 3.278,13 Euro. Zwei Tage danach fordert Bender die Behörde auf, die Objekte konkret zu benennen. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass er sich nicht dazu verpflichtet sähe, sich an der Wiederherstellung eines Zustandes finanziell zu beteiligen, der ursächlich durch Neonazis und Rechtsradikale beschädigt wurde.

In einer Rechnung vom 16. September reduziert die Stadt ihre ursprüngliche Forderung auf 1.133,20 Euro und benennt nunmehr ausdrücklich die vierzehn Objekte, die im Polizeiprotokoll aufgelistet sind. Ralf Bender reagiert am 2. Oktober mit einem Brief, in dem er sich erneut aus den genannten Gründen nicht zahlungsbereit zeigt. Unter dem Datum des 14. Januar 2014 erstellt die Stadt einen amtlichen Kostenbescheid in Höhe der letzten Forderung.

Am 26. Januar, einen Tag vor dem Internationalen Holocaust-Gedenktag, entdecken Ralf und sein Bruder Reiner Bender auf einem Stromverteilungskasten unmittelbar neben dem Jüdischen Friedhof ein großflächiges Hakenkreuz sowie weitere volksverhetzende Aufkleber. Per E-Mail benachrichtig Ralf Bender deswegen am 27. Januar das Ordnungsamt und dokumentiert seine Beobachtung durch Fotos. Doch die zuständige Behörde hat es offensichtlich nicht eilig mit der Beseitigung verfassungsfeindlicher Symbole. Es dauert vier Wochen, bis die Fläche übermalt ist.

Am 6. Februar legt Ralf Bender form- und fristgerecht Einspruch gegen den Kostenerstattungsbescheid ein. Am 3. April findet eine Anhörung vor dem entsprechenden Ausschuss des Magistrats der Stadt Limburg statt. Am 24. Juni geht bei Bender ein Abhilfebescheid zum Kostenerstattungsbescheid ein. Darin wird mitgeteilt, dass eine Überprüfung ergeben habe, dass die Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung teilweise nicht durch das Hessische Straßengesetz gedeckt sei.
Daraufhin reduziert die Stadt ihre Forderung erneut, nunmehr auf 991,55 Euro. Doch dieser geänderte Kostenbescheid erreicht Ralf Bender nicht. Erst mit der Klageschrift vom 18. August, mit der die Stadt ihre Forderung auf Schadensersatz bei Gericht vorbringt, erfährt er davon.


Die Rechtspflege auf dem falschen Pfad

Am 18. November findet vor dem Amtsgericht Limburg zunächst ein Gütetermin und im unmittelbaren Anschluss eine öffentliche Verhandlung statt. Hierbei weigert sich die Amtsrichterin, einen Beweisantrag Ralf Benders anzunehmen. Denn der wollte auf einen ähnlich gelagerten Fall in der brandenburgischen Stadt Zossen verweisen, über den das ZDF in der Sendereihe „37 Grad“ im Frühjahr 2013 berichtet hatte. Dort hatte die Stadtverwaltung zunächst ebenfalls Aufkleber rechtsradikaler Gruppen nicht beseitigt. Die örtliche Polizei hatte jedoch Bürger beim Abschaben und Übersprühen unterstützt, weil sie eine unverzügliche Gefahrenabwehr für geboten hielt.
Die Richterin weigerte sich auch, auf die widersprüchliche Kostenberechnung der Stadt Limburg näher einzugehen. Denn darin waren nicht die konkreten Arbeits- und Materialkosten für 14 Objekte aufgeführt, sondern ein Durchschnittswert, der sich aus insgesamt 36 Objekten errechnete. Für Juristen ist das ein eindeutiger Verstoß gegen Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 287 schreibt dann eine detaillierte Würdigung des Schadens vor, wenn ein solcher zwischen den Parteien strittig ist). Bezeichnenderweise werden diese Punkte im offiziellen Verhandlungsprotokoll nicht erwähnt. Erst durch die Presse erfährt man von nicht zugelassenen Beweisen.
Das Urteil, das am 9. Dezember 2014 verkündet, wird, überrascht dann nicht mehr. Ralf Bender wird dazu verurteilt, die Forderung von 991,55 Euro plus Zinsen und die Prozesskosten zu zahlen.

Am 12. Dezember veröffentlicht die Stadt Limburg das Urteil auf ihrer Internetseite und nennt den vollständigen Namen und den Wohnort des Beklagten. Das Urteil ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftig; wird es wegen der Berufung erst ein knappes Jahr später sein.

In der Folgezeit gehen bei Ralf und Reiner Bender zahlreiche anonyme Anrufe sowie Droh- und Hetzbriefe aus dem rechtsradikalen Milieu ein. Am 19. Dezember wird der private PKW von Reiner Bender mit einem Hakenkreuz beschmiert und zerkratzt.
Im Februar und März 2015 nehmen die Geschwister Bender nach Beratung durch Sicherheitsexperten der Polizei eine kostenintensive Sicherung ihres Wohnhauses vor (elektrisch zu betätigende Hoftore und Fensterrollläden, Installierung einer Überwachungskamera, Einbau von Bewegungsmeldern).

Gegen das Urteil des Amtsgerichts legt die Prozessvertreterin Ralf Benders Berufung vor dem Landgericht Limburg ein. Am 20. November 2015 verwirft das Landgericht die Berufung ohne Ansetzung eines Termins aus formalen Gründen. Insbesondere werden die in der Vorinstanz nicht zugelassenen Beweise bzw. Beweisanträge als Neueinbringung von Beweismaterial gemäß § 531 Zivilprozessordnung aufgefasst.

Dort heißt es in Absatz 2:

Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
1. einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2. infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden.

Durch exakt diese Verfahrensmängel war die Verhandlung vor dem Landgericht gekennzeichnet. Doch der Rechtsweg war für Ralf Bender durch die Gerichtsentscheidungen ausgeschöpft.

Am 7. Juli 2016 beantragt die Stadt Limburg einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, da Ralf Bender - entsprechend seinen diversen Ankündigungen - nicht gezahlt hatte. Durch Spenden von demokratischen Initiativen wird die Forderung schließlich im August 2016 ausgeglichen.


Wer die Demokratie nicht verteidigt, ermuntert ihre Feinde

Fast zeitgleich geraten Personen, Initiativen und Vereine, die Ralf und Reiner Benders Anliegen in eine breitere Öffentlichkeit tragen und es unterstützen, in das Visier von Rechtsextremisten.

Der Frankfurter Kultur- und Literaturverein PRO LESEN, ein gemeinnütziger und rechtsfähiger Förderverein der Frankfurter Stadtbücherei, hatte die Brüder Bender im April 2016 zu einer Veranstaltungsreihe eingeladen, in der es um lange hinausgezögerte Aufarbeitungen des nationalsozialistischen Unrechts bzw. um neonazistische Versuche einer Umdeutung der historischen Ereignisse geht. Im April stehen der Umgang der Evangelischen Kirche mit ihren judenchristlichen Mitgliedern und Pfarrern im NS-Staat sowie die Aktion der Benders auf der Tagesordnung.
Ralf und Reiner Bender berichten den Besuchern über ihre Erfahrungen mit den Limburger Behörden. Die vom Verein erstellte übliche Dokumentation wird in digitalem Format an Mitglieder und Interessierte versandt und kann seither im Internet kostenlos abgerufen werden. Insgesamt erreicht sie bis Dezember dieses Jahres mehr als 2.000 Empfänger.

Allem Anschein nach blieb dies dem Neonazi-Milieu nicht verborgen. Seit August 2016 gehen beim Vorsitzenden des Vereins, Klaus Philipp Mertens, anonyme Droh- und Schmähbriefe mit volksverhetzendem Charakter ein. Für den Fall eines politischen Systemwechsels wird Bender-Unterstützern und allen, die ähnliche Überzeugungen haben, eine Vergeltung angekündigt. Dabei wird ausdrücklich auf die Guillotine verwiesen.
Der Autor der Hetzschriften bezieht sich ausdrücklich auf die Aktionen von Ralf und Reiner Bender und sieht sich in der passiven Haltung des Limburger Magistrats bestätigt. Deswegen ist nach Auffassung von Klaus Philipp Mertens ein eindeutiges Signal aus Limburg unverzichtbar.

Obwohl der mutmaßliche Absender den Ermittlungsbehörden namentlich bekannt ist, zieht sich das Verfahren hin. Mittlerweile liegt zwei- bis dreimal im Monat ein Hass- und Hetzpamphlet im PRO LESEN-Briefkasten.

Foto: Hakenkreuze in Limburg (c) Ralf Bender