Zu den Vorgängen um die Resolution der UN zum israelischen Siedlungsbau in palästinensischen Gebieten und zu der Reaktion Israels, Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Seit letzten Freitagabend ist so allerhand passiert. Während sich gläubige Muslime zum Freitagsabendgebet in die Moschee begeben, gläubige Juden anfangen, sich auf den Schabbat vorzubereiten und gläubige Christen in Gedanken schon der Geburt ihres Heilands am folgenden Tag gedenken, wurde in New York die erste Resolution der UN seit 1979 gegen den Siedlungsbau der Israelis in besetzten palästinensischen Gebieten beschlossen.


Die UN dazu zu bringen, ihren Protest von 1979 auch durch Nachfolgebeschlüsse ernst zu nehmen -  die Besiedelung palästinensischen Landes (Westjordanland und  Ostjerusalem), oft unter Vertreibung und Landraub durch Israelis, wurde permanent durch neue Besiedelungen verschärft - wurde im UN-Sicherheitsrat immer wieder versucht. Das letzte Mal 2011. Wie zuvor scheiterte ein entsprechender Beschluß am Veto der USA, am Veto Barack Obamas. Diesmal nicht. In der neuen Resolution – die Kritik an den Gewalttaten  und Attentaten von Palästinensern einschließlich - heißt es, daß die expansiven Siedlungsbauten der Israelis verurteilt werden und gefordert wird, daß diese „sofort und vollständig eingestellt werden“. Diese Siedlungen seien ein Verstoß gegen internationales Recht, seien ein großes Hindernis für den Friedensprozeß in Nahost.

Dazu ist zu sagen, daß die offizielle Politik Israels noch immer von der  Zwei-Staaten-Lösung spricht, also einem Staat Israel und einem Palästinenserstaat, was auch politische Absicht der UN ist. Hintergrund sind die beiden Palästinensergebiete: Westjordanland und Ostjerusalem.  Das Westjordanland wurde nach dem von Israel gewonnenen Sechstagekrieg 1967 nicht mehr freigegeben, Ostjerusalem im Jahr 1980 annektiert.

Heute wohnen rund 700 000  Israelis in 125 verschiedenen Siedlungen im Westjordanland und in Ostjerusalem. Nicht eingerechnet sind dabei zusätzliche 100 sogenannte wilde Siedlungen, die von der Netanjahu-Regierung ihre Legalisierung fordern. Nach der Oslo-Friedenskonferenz im September 1993 sollte ein Palästinenserstaat für die nächsten Jahre politisches Programm sein, stattdessen siedeln heute dreimal mehr Israelis in diesen palästinensischen Gebieten.  

Hintergrund: Am 13. September 1993 hatten in Washington die Außenminister Mahmud Abbas, Schimon Peres, Warren Christopher und Andrei Kosyrew in Anwesenheit von Yitzhak Rabin, Jassir Arafat und Bill Clinton die „Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung“ (auch Oslo I genannt) unterschrieben. Da sich beide Seiten das erstemal gegenseitig anerkannten, wurde der Friedensprozeß als erfolgreich eingeschätzt. Die PLO wurde als offizieller Vertreter der Palästinenser von den Israelis akzeptiert, die PLO ihrerseits versprach, alle Passagen  mit dem Ziel der Vernichtung Israels aus ihrer Charta zu streichen. Dies stellte einen Meilenstein im Friedensprozess dar. Eine autonome Regelung der palästinensischen Angelegenheiten in baldiger Zukunft wurde ebenfalls festgelegt. Eine Woche später wurde das  Abkommen von der Knesset ratifiziert.

Der Friedensprozeß in Nahost schien niemals so ernstgemeint und wahrscheinlich wie damals im Jahr 1993. Offiziell gilt also die Zwei-Staaten-Lösung bis heute, aber Israel tut nicht nur nichts dafür, sondern arbeitet sogar offen dagegen. Auf palästinensischer Seite gibt es ein Hin und Her, denn die damalige zuverlässige PLO-Gefolgschaft der Palästinenser gilt so nicht mehr.


Zurück zur jetzigen Situation. Wie man heute weiß, hatte sich Abd al Fattah al Sisi, der Staatspräsident Ägyptens, der ursprünglich die Resolution initiieren sollte, vom Anrufer Donald Trump aus Amerika überzeugen lassen, dies nicht zu tun, weshalb neue Initiatoren nötig waren. Die Resolution wurde dann tags darauf von Neuseeland, Malaysien, Venezuela und dem Senegal beantragt und mit 14: 0 Stimmen bei Enthaltung der USA verabschiedet.

Der  UN-Sicherheitsrat setzt sich aus 15 Mitgliedern zusammen. Davon sind fünf ständige Mitglieder: Frankreich, Rußland, USA, Volksrepublik China und Großbritannien, die sogenannten Vetomächte, weil ihr Nein ausreicht, eine ansonsten 14stimmige Resolution zu blockieren, wie es die Jahre hindurch für die USA hinsichtlich von UN-Forderungen zur israelischen Siedlungspolitik geschehen war. Die anderen zehn Mitglieder ergeben sich durch ein regionales Gruppenverfahren.

Diese zehn nichtständigen Sitze werden zur Hälfte jedes Jahr auf die Dauer von zwei Jahren durch die Generalversammlung bestimmt. Der afrikanische Block hat Anspruch auf drei Sitze. Asien, der Gruppe der lateinamerikanischen und karibischen Staaten und der Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten stehen je zwei Sitze zu  und Osteuropa hat Anspruch auf einen Sitz. Jedes Jahr werden also fünf nichtständige Mitglieder für die Dauer von zwei Jahren durch die Generalversammlung neu gewählt. Für 2015-16 sind das Venezuela, Neuseeland, Spanien, Angola, Malaysia, für 2016-17 Ägypten, Senegal, Japan, Uruguay, Ukraine.

Nach der Resolution, wie gesagt der ersten beschlossenen nach über 36 Jahren, die im übrigen lediglich eine Willenserklärung, also mehr eine moralische Angelegenheit ist und keine Strafen oder sonstige Konkretisierungen nach sich zieht, hat dennoch zu mehr als heftigen Reaktionen des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und einigen seiner Kabinettsmitglieder geführt.

Netanjahu macht direkt Barack Obama für die Abstimmung verantwortlich, der durch seine Enthaltung die Resolution passieren ließ, aber vom Israeli als Haupträdelsführer bezeichnet wird. Nach übereinstimmenden Quellen hat der israelische Ministerpräsident tatsächlich gesagt, die Regierung Obamas habe die 'schändliche Resolution orchestriert' und wird noch deutlicher: „Gemäß unseren Informationen haben wir keinen Zweifel daran, daß die Obama-Regierung die Resolution initiierte, ihre Wortwahl koordinierte und verlangte, daß sie durchgebracht wird.“

Das ist eine politische Kampfansage Israels an Barack Obama und seine Regierung, die bisher durch ihr  Veto jegliche Kritik an israelischer Politik im UN-Sicherheitsrat verhindert hatte. Und im übrigen kann man gar nicht laut genug sagen, daß die Existenz Israels alle Jahrzehnte hindurch durch niemanden politisch und finanziell so garantiert und gestützt wurde wie durch die Regierungen der USA.
Fortsetzung folgt



Kommentar: Grundsätzlich finde ich, daß sich Deutsche bei der Beurteilung der Politik israelischer Regierungen zurückhalten sollten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Wenn diese beiden Artikel immer von Israel und israelischer Politik sprechen, sind damit die in Wahlen Siegenden gemeint. Das sind in Israel schon sehr lange Koalitionen aus rechtsgerichteten/ultraorthodoxen Parteien. Das war nach der Gründung Israels lange ganz anders. Die Aufbauarbeit Israels haben die Vorgängerparteien der Arbeitspartei zusammen mit den Gewerkschaften geleistet. In den Siebziger/Achtziger Jahren war die Zwei-Staaten-Lösung die ernst gemeinte und damals politisch durchsetzbare Lösung des politischen Konflikts.

Wenn ich heute zur gegenwärtigen Situation etwas schreibe, hat das mit meinen israelischen Freunden von damals zu tun, die Jahr für Jahr für diese politische Lösung gestritten und gekämpft haben und sich seit so vielen Jahren von ihren israelischen Regierungen im Stich gelassen fühlen. Sie sitzen zwischen allen Stühlen, denn der damalige freundschaftliche Umgang mit den palästinensischen Mitbürgern ist durch die Politik Israels und die Aktionen und Reaktionen von immer wütender werdenden und zunehmend radikalisierten Palästinensern, die sich in Terror und Mord äußern, weithin unmöglich geworden und nur noch in Privatem möglich. Eine trostlose Situation. Meine Freunde haben in Israel derzeit keine mehrheitsfähige Stimme. Aber ich kann ihre Hoffnung auf eine politische Lösung in zwei Staaten äußern und ihre Angst, daß der Zusammenschluß von Netanjahu und Trump das Ende der Hoffnungen auf ein offenes, demokratisches Israel und die Zukunft des Landes in einer Region, die überwiegend von arabischen Staaten umgeben ist.

Die Meinungen und Hoffnungen meiner Freunde repräsentieren in Israel Männer wie Schimon Peres, Avi Primor, Amos Oz und viele, aber nicht genug andere.

Schimon Peres (1923-2016) war mehrfach Ministerpräsident Israels, sieben Jahre Staatspräsident und erhielt den Friedensnobelpreis zusammen mit Jassir Arafat und Jitzckak Rabin für den Oslo-Friedensprozeß.
Avi Primor, geb. 1935, war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland und hat sich nicht nur um die deutsch-israelische Freundschaft verdient gemacht, sondern ist eine wichtige Stimme in der Kritik an der Siedlungspolitik der gegenwärtigen Regierung in Israel.
Amos Oz, geb.1939, vertritt als Schriftsteller nicht nur Grundsätze der Humanität, sondern äußert sich klar zu politischen Fragen (seit 1967 Befürworter der Zwei-Staaten-Lösung)  und hat die politische Bewegung der Siebziger Jahre  PEACE NOW mitbegründet.


Fotos:

UN-Teilungsplan von 1947 (c) wikipedia

Die Friedensflagge mit den beiden Staatsflaggen und Friedensaufschriften (c) wikipedia.de