Zum Austritt der Ex-BdV-Präsidentin aus der CDU

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Die CDU-Bundestagsabgeordnete und langjährige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, ist aus der CDU ausgetreten, behält aber ihr Bundestagmandat. Gegenüber der Zeitung „Welt am Sonntag“ äußerte sie die Hoffnung, dass die Alternative für Deutschland (AfD) in den Deutschen Bundestag einzieht. Aktuell plane sie jedoch keinen Übertritt zu der Partei.


Steinbach begründete ihren Schritt mit der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel. Tatsächlich dürfte sie aber nur der Anlass gewesen sein. Erika Steinbach lebt seit vielen Jahren im Konflikt mit ihrer Partei. Besonders verübelt hat sie Angela Merkel ihre Ausbootung aus der bundeseigenen Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Damit versank der einst politisch mächtige Bund der Vertriebenen in der Bedeutungslosigkeit. Er  existiert nur noch dank staatlicher Alimentierung.

Keine Bevölkerungsgruppe hat nach dem Zweiten Weltkrieg soviel politische Zuwendung erfahren wie die Vertriebenen. Sie wurden von allen Parteien umworben und spielten als Hilfstruppe im Kalten Krieg zwischen West und Ost eine bedeutende Rolle. Keiner hat so laut  nach der Wiederherstellung der Vorkriegsgrenzen gerufen, wie die Verbandsfunktionäre der Vertriebenen. Als der erste sozialdemokratische Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Willy Brandt, die Deutschen darauf vorzubereiten begann, dass mit der Rückgabe der ehemaligen Ostgebiete nicht zu rechnen sei, gehörten sie zu seinen schärfsten Kritikern. „Radikalste Kampftruppe gegen  die Ostpolitik“ von Willy Brandt, nannte sich der Bund der Vertriebenen (BdV). Dabei hatte Brandt nur ausgesprochen, was andere verheimlichten. Schon Konrad Adenauer war sich dessen bewusst, dass man „nicht alles wieder zurückdrehen“ kann, wie er sich 1957 in einem seiner Teegespräche hinter verschlossenen Türen ausdrückte.

Mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bundesrepublik als völkerrechtlich verbindliche  Grenze zwischen Deutschland und Polen hatte der Bund der Vertriebenen als politische Hilfstruppe im Kalten Krieg de facto ausgedient. Der Kampf um die Deutungshoheit über die jüngere europäische Geschichte und insbesondere über die Geschichte der Vertreibungen war damit aber nicht beendet. Bei der Abstimmung im Bundestag über den Grenzvertrag mit Polen votierten 23 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion mit Nein, darunter Erika Steinbach. Sie gaben am 17. Oktober 1991 zu Protokoll: „Dem Vertrag über die Bestätigung der bestehenden Grenzen können wir nicht zustimmen, da wir uns  . . . für eine in die Zukunft gerichtete Lösung aller offenen deutsch-polnischen Fragen eingesetzt haben.“ Offen geblieben seien insbesondere Eigentums- und Vermögensfragen.  

Um sich ungeachtet der politischen Veränderungen weiterhin Gehör zu verschaffen,  gründete der BdV 1999 ein eigenes „Zentrum gegen Vertreibungen“. Nach offizieller Lesart sollte es dazu dienen, „Vertreibung und Genozid grundsätzlich als Mittel der Politik zu verbieten“.  Die Zwangsaussiedlung der Deutschen nach Kriegsende wird hier in einem Atemzug  mit dem Völkermord der Nazis an den Juden genannt. Kein Wunder, dass Abgesandte des Zentrums gegen Vertreibungen in Polen auf scharfe Ablehnung stießen, als sie dort nach Archivmaterial für die erste Ausstellung des „Zentrums“ suchten. Das Jüdische Historische Institut in Warschau verweigerte ihnen jegliche Zusammenarbeit.  Obwohl die Bundesregierung wusste, dass sich in Polen eine breite Abwehrfront gebildet hatte, beschlossen die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD im November 2005 – im selben Jahr, in dem in Berlin das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas eingeweiht worden war - ein „sichtbares Zeichen“ zu setzen, um, wie es offiziell hieß,  „an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibungen für immer zu ächten“.

Drei Jahre dauerte es, ehe der Bundestag die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schuf. Unter der Überschrift „Bundestag beschließt Gedenkstätte für Vertriebene“ war in der Presse über den denkwürdigen Vorgang zu lesen: „Es ging auf 23 Uhr zu, als Bundestagspräsident Thierse einen von CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung Deutsches Historisches Museum als Tagesordnungspunkt 19 aufrief. Als selbständige bundesunmittelbare Stiftung wird das DHM die unselbstständige ‚Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung’ tragen. Innerhalb von einer Minute waren – bei geschätzten zwei Dutzend noch anwesenden Abgeordneten – die zweite und die dritte Beratung und die jeweils dazugehörige Abstimmung vollzogen. Lukrezia Jochimsen für die Fraktion Die Linke und Katrin Göring-Eckart für die Grünen hatten ihre Ablehnung des Projektes vorher zu Protokoll gegeben. Zweck der unselbständigen Stiftung ist es laut Gesetzestext, „im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wach zu halten“.

Säuerlich kommentierte die BdV-Präsidentin den Beschluss des Bundestages mit den Worten: „Natürlich ist das ein Erfolg, darüber freue ich mich.“ In Wirklichkeit hatte Erika Steinbach wenig Grund zur Freude. Ab jetzt führten nicht mehr sie und der Bund der Vertriebenen die Regie bei der Erinnerung an die Vertreibung, sondern die Bundesregierung beziehungsweise deren Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU). Um die Fäden halbwegs in der Hand zu behalten, verlangte der BdV die Aufnahme seiner Präsidentin in den Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Das lehnte Bundesaußenminister Guido Westerwelle kategorisch ab; er wusste um den schlechten Ruf Erika Steinbachs in Polen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich  ein Mitglied des Beirates bereits wieder verabschiedet. Er könne mit dem Konzept der Stiftung nichts anfangen, sagte der polnische Historiker Tomasz Szarota zur Begründung. Es beruhe auf der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, in der diese auf Rache und Vergeltung verzichteten. Das sei einfach nur zynisch. Der Verlust der Heimat sei zwar eine Tragödie, aber es gebe etwas Schlimmeres, das sei die Vertreibung aus dem Leben. „Es ist ein Unterschied, ob die Deportationszüge im Vernichtungslager Auschwitz hielten oder im Grenzdurchgangslager Friedland. Die einen gingen in den Tod, die anderen in eine neue Heimat. Mein Vater wurde von den Deutschen erschossen. Erika Steinbach kann mir nicht die Hand reichen und sagen: ‚Ich vergebe Ihnen, Herr Szarota’“.

Geschichtsvergessen und geltungsbedürftig wie Erika Steinbach ist wäre es kein Wunder, wenn sie sich von der AfD als Kandidatin für den nächsten Bundestag aufstellen ließe.

 

Foto: Erika Steinbach (c) t-online.de