Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen ein NPD-Verbot
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung, die NPD nicht zu verbieten, dem politischen Zweckopportunismus einen Verfassungsrang eingeräumt.
Denn dem Urteil zufolge ist nicht mehr die (festgestellte) Verfassungsfeindlichkeit einer politischen Partei allein das Kriterium, sondern deren Erfolgsaussichten. Artikel 9, Absatz 2, des Grundgesetzes, der zu den Grundrechten zählt, und Artikel 21, Absatz 2, sehen das anders.
Artikel 9, Absatz 2, lautet: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“
Und in Artikel 21, Absatz 2, heißt es: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“
Bemerkenswerterweise wird Erfolg ausschließlich quantitativ gemessen. Keine Mandate in Bundestag und Landtagen und eine sehr überschaubare Anzahl in Kommunalparlamenten sollen im Sinn einer marktwirtschaftlichen Bewertung die Erfolgs- und Gefahrenlosigkeit dieser Partei beweisen. Von einer jederzeit abstrakten Gefährdung der Rechtsordnung, also einer schleichenden qualitativen Unterwanderung der Grundrechte durch organisiertes rassistisches und volksverhetzendes Gedankengut, ist hingegen an keiner Stelle die Rede.
Dabei hätte das Gericht nur einen Blick ins Strafgesetzbuch werfen müssen. Dessen Paragraphen 86 und 86a stellen das öffentliche Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe - wegen der davon jederzeit zu befürchtenden abstrakten Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung.
Als verfassungswidrig gilt demnach nicht nur eine Partei, die vom Verfassungsgericht verboten wurde, sondern auch eine, die als Ersatzorganisation einer verbotenen gilt. Die ideologische Nähe der NPD zur verbotenen NSDAP wird in der Entscheidung sogar ausdrücklich hervorgehoben, insbesondere wurde ihr unverhohlener Rassismus erwähnt. Was braucht es mehr, um diese Gruppierung als NSDAP-Nachfolgeorganisation zu verbieten? Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1952 zum Verbot der nazistischen Sozialistischen Reichspartei Deutschlands bietet hinreichend formaljuristisches Material, an dem man sich hätte orientieren können.
So völlig losgelöst von der politischen Realität, die - im Zusammenhang mit dem Asylrecht und dem Zuzug von Flüchtlingen - zunehmend von gewaltbereiten neonazistischen Milieus zu beeinflussen versucht wird, erscheint die Position des Verfassungsgerichts als Prinzipienlosigkeit. Die so genannten „nationalbefreiten Zonen“ in Ostdeutschland mögen im Verhältnis zur Größe des Landes unbedeutend sein. Aber der Ungeist, der von dorther weht, könnte sich zu einem flächendeckenden Tornado entwickeln. Möglicherweise fallen auch die zehn Morde, die dem NSU zugeschrieben werden, rein quantitativ und kriminalstatistisch nicht ins Gewicht. Aber sie zerstören die Moral eines Volkes.
Stattdessen wird dem Gesetzgeber die finanzielle Austrocknung der NPD empfohlen. Das würde zum einen juristisch schwierig sein, weil eine nicht verbotene Partei am politischen Willensbildungsprozess zwangsläufig teilnimmt und Anspruch auf Wahlkampfkostenerstattung innerhalb eines vorgegebenen Rahmens besitzt. Zum anderen liest sich dieser Ratschlag, als wäre er einem Lehrbuch des Neoliberalismus entnommen: „Vernichte die Aktien deines Konkurrenten bereits an der Börse, dann ist ein Wettbewerb auf dem Markt nicht mehr nötig.“
Die bisherige Entscheidung des BVG zur Politik der EZB, insbesondere zum Ankauf von Schuldverschreibungen, ist von einem ähnlich grundgesetzwidrigen Tenor geprägt. Während die gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestags den Haushalt verabschieden, bewegt sich die Europäische Zentralbank auf einem Rechtskonstrukt, das sich den Rechten der Legislative entzieht. Denn die Bundesregierung (Exekutive) delegiert Aufgaben, die im Zuge der Währungsunion entstehen, an den Europäischen Rat (wiederum eine Exekutive), der nicht der vollständigen Kontrolle des Europäischen Parlaments unterworfen ist. Die Eigendynamik der EZB orientiert sich wegen fehlender demokratischer Kontrolle weniger an den Interessen der nationalen Parlamente als an denen der privaten Kreditwirtschaft.
Vor diesem Verfassungsgericht muss der Bürger allmählich Angst haben.
Foto: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (c) wdr.de