Die Landeshauptstadt-Demonstration „Afghanistan ist #keinSicheresLand“ contra Abschiebung in die Welt der Warlords (11.02.2017)


Heinz Markert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Air Taliban by AfD, CDU/CSU und SPD“, so textete ein Demonstrationsteilnehmer zur Demonstration in der Landeshauptstadt Wiesbaden gegen eine drohende bundesweit in Gang gesetzte Kickout-Praxis in Bezug auf afghanische Einzelflüchtlinge und Familien.

Das leitende Motto der Demonstration lautete: No border, no nation - No deportation! Familien und Einzelflüchtlinge sind in ihrem Heimatland bedroht, weil sie sich vor ihrer Flucht oftmals für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben und unter anderem - um nur ein Beispiel anzuführen -:  sich gegen die örtliche Praxis der Prostitution durch lokale Machthaber wendeten, die hübsche Lehrerin-Kolleginnen und Schülerinnen aus den Schulen holen ließen, um sie im Namen eines blasphemischen Glaubens zu versklaven, wogegen ein Vater, der früher Lehrer und Kollege war und jetzt unter uns lebt, sich wendete; woraufhin er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan der unmittelbar tödlichen Drohung durch die Taliban, den Religionsverbrechern, ausgesetzt wäre. Viele sind auch bedroht, weil sie der westlichen Allianz Dienste geleistet haben.


Die Demonstration machte gegen Ende einen letzten Stopp an der Geschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen am Kaiser-Friedrich-Ring. Die Grünen sind Teil der Regierungspraxis, die eine bundespolitische Linie zwar dem Geist nach einzuhalten hat, die aber doch einen eigenen Entscheidungsspielraum beanspruchen kann, mit dem eine abweichende Praxis möglich wird: Überprüfung des Einzelfalls, Berücksichtigung der familiären Situation, des Gesundheitszustands, der Dauer des Aufenthalts und bereits erbrachter Integrationsleistungen durch die Landesbehörden können bis zuletzt die ‚Rückführung‘ verhindern.


Den Grünen wird nicht mehr recht getraut


Die Demonstranten trauen den Grünen prinzipiell nicht mehr zu, ihre menschenrechtliche Praxis unter gegebenen gesellschaftspolitischen Verhältnissen einzuhalten. Sollten die Grünen nachgeben, sind sie politisch verloren. Ihre Lage und Verfassung gibt ohnehin zu Bedenken Anlass, betrachtet man ihre augenblicklich prognostizierten Prozentwerte für kommende Wahlen.


Die Demonstration fand zwischen den herrlichen Prachtvillenzeilen Wiesbadens statt und bekam aus diesen einen nicht unerheblichen Widerhall. Aus den mehrstöckigen Villen wurde neugierig geguckt, oft gewinkt und akklamiert. Das gepflegte Bildungsbürgertum sympathisierte mit dem Anliegen der Demonstration. Ach, die Qualitätspresse braucht mehr Mitstreiter aus dem Milieu dieser jungen Demonstrantinnen und Demonstranten des letzten Samstags, aus einem konsequent menschenrechtlich gestimmten Publikum, das nicht zulässt, dass Menschen auseinanderdividiert werden. Das Anliegen der Demonstration beruhte in tätiger Aufklärung und Widerständigkeit im Jahr der Autokraten und Despoten.


Gleichwohl waren viele der mittlerweile angegrauten Achtundsechziger mit im Zug vertreten, die aufrecht geblieben und nicht im moralischen Sinn bankrott gegangen sind. Man erinnert sich des coolen Typs jenes damaligen Demonstranten, der - während er gerade auf der Mauer ruhte - vom Wasserwerfer so arg getroffen wurde, dass er einen Purzelbaum rücklings von der Mauer schlug. Er wurde zum Sinnbild einer epochalen Ära des Widerstands.


Unverzichtbare Potentiale aufgeklärter familiärer Geflechte


Kurz vor Beginn der Demonstration könnte eine Dokumentation der FR vom Wochenende mit zum Anlass geworden sein, dass doch so viele (einige Hundert, obgleich eine Minderheit) gekommen waren: die Doku über eine bildungspolitisch reich aufgestellte afghanische Familie, die aufgrund ihrer Bildungsanstrengungen und trotz schwieriger Umstände jetzt schon mehrfach, mit all ihren Mitgliedern, sich zur deutschen Bildungselite rechnen kann; die ein bereits etabliertes Bildungspotential aufweist, das sie prädestiniert, dereinst Afghanistan neu aufzubauen. Und die deswegen hierbleiben muss.


Und die darüber hinaus eine aufgeklärte menschenrechtlich gegründete Position vertritt, indem sie sich gegen den Dogmatismus religiöser Irrlehren stellt, der die Freiheit von Menschen einschränken und sie im Dienst von brutalen Machthabern, die nur in die eigene Tasche wirtschaften, in gesellschaftliche Ketten legen will.


Indessen sind unter den betroffenen Demonstrantinnen und Demonstranten auch die einzeln auf die Flucht Gegangenen zugegen, die in ihrer Mehrheit auch bildungsaffin sind, lässt man sie nur ihren Weg machen, ihre Entwicklung beschreiten und gibt ihnen Unterstützung, Hilfe und Begleitung auf ihrem Gang der Mündigwerdung. Wer sich dazu versteht, kann später, bevor er dann mal zeitlich abtritt, noch ein richtig gutes Gefühl im Rückblick auf eine gewesene, zwiespältige Existenz bekommen.

Foto: (c) Heinz Markert