Podiumsdiskussion im DGB-Haus, moderiert von Andrea Ypsilanti, mit Ulrike Hermann (D) und Guillaume Duval (Fr) · Teil 2/2
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Fünf Prozent Lohnerhöhung, wie solle das gehen, Exporte würden dann im Wettbewerb abgezogen, so lautete der Einwand eines örtlichen SPD-Kandidaten. Ein Zuhörer geißelte die Kriminalisierung der Arbeitslosen einschließlich ihrer Kinder. Ein anderer klagte an: der Freihandel sei unfair im Verhältnis zu den südlichen Ländern der Welt.
Ulrike Herrmann meinte hierzu, Investorenschutzklauseln und Paralleljustiz im Handel, das gehe gar nicht. Sie plädiert für asymmetrische Zölle: die Dritte Welt kann sie erheben, sie selbst aber bekommt keine auferlegt. Bangladesh habe bloß Näherinnenindustrie, das sei ein Modell des 19. Jahrhunderts.
Zum Problem des unfairen Wettbewerbs
Zur Wettbewerbsfähigkeit in Europa führte sie aus: Staaten funktionierten nicht wie Unternehmen. Damit sprach sie auf die Ungleichgewichte im Verbund von Staaten und Zonen an. Ein Plus von 5 Prozent Lohnerhöhung summiere sich in 5 Jahren auf 25 Prozent. Zu unterscheiden ist zwischen der Eurozone im Innern und ihrem Außerhalb. Man möchte draußen, dass der Euro teurer wird. Waren aus Europa würden teurer, Importe nach Deutschland nähmen zu, für die USA wäre das von Vorteil (so Trumps Kalkulation).
Der Außenhandel ist weltweit ausgeglichen, wenn es noch die Währungen gibt. Der Euro ist im globalen Außenhandel ausgeglichen. Wir (D) aber haben im Euro intern abgewertet, auf Kosten der anderen Länder, wurden durch die ‚Hartz-Gesetze‘ billiger. Die alte Mark hätte aufgewertet. Deutschland ist nur bedingt attraktiv für Investitionen bei schwacher Konjunktur.
Retten von Europa geht nur, wenn bei uns die Löhne steigen. Übrigens stehe Walter Steinmeier für die Agenda 2010, es sei ein Desaster, dass ein Agenda-Mann Bundespräsident wird. Gerhard Schröder sei ein Ideologe gewesen. Die Deutschen meinen nicht, dass es gut sei, wenn deutsche Löhne steigen. Sie glauben, dass Export ganz wichtig sei. Das stamme noch aus dem Kaiserreich. Deutschland hatte damals so gut wie keine Kolonien, Export wurde zu unserer Stärke, im Gegenzug. Der Glaube an den Exportüberschuss sei hingebungsvoll, deute eine schwierige Denke an. Er sei zum nationalen Symbol geworden.
Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens findet Ulrike Herrmann nicht gut, es beziehe sich auf Erwerbstätige. Besser wäre, Hartz-IV hochzusetzen. Die Armutsfrage ist bei den kommenden Alten von enormer Sprengkraft. Die Grundsicherung ist daher das Gebot.
In Deutschland sei das Thema Inflation seltsam heikel. Herrmann findet es etwas hysterisch. Damals, in der Weltwirtschaftskrise, hatte es einen spezifischen Grund, der hing mit den Schuldrückzahlungen aus aufgenommenen Krediten für die Reparationen zusammen.
Deutschland brach aus
Guillaume Duval schaltet sich nochmal ein. Deutschland hatte in der ‚Wiederaufstiegszeit‘ wenig Inflation. Zwischenstaatlich ausgeglichen wurde durch die Kurskorrektur der Währung. Deutschland verleiht seinen Überschuss in Schulden anderer. In Europa ist das Defizit der Überschuss. Die Griechen zahlen nicht zurück. Die Zinsen sind niedrig für Deutschland, höher für die mehr verschuldeten Staaten. Die EZB macht Niedrigzinspolitik und eine Politik der Geldschwemme. Geld geht in Auslandsinvestitionen und Spekulation. - Duval fragt: Hat Trump doch recht? – Deutschland betreibt eine deflationäre Arbeitsmarktpolitik im Rahmen der Politik der Austerität [Schäubles Steckenpferd]. Zu erinnern wäre ans Deutschland der 30-er Jahre. Dafür hatte es einen furchtbaren Preis bezahlt. Heute treibt es die selbe Politik mit anderen Ländern. Wir brauchen in Europa eine andere Wirtschaftspolitik.
Andrea Ypsilanti hält sich als Moderierende mit Beiträgen zurück. Sie fragt aber doch noch, wie denn nun die Machtfrage zu stellen sei? Podium und übrige Anwesende gehen in eine gemeinsame Endrunde.
Resümee und Endrunde
Es ist schon eine üble Sache nach 30 Jahren in Hartz-IV zu fallen. Bildung sei immer noch von der Herkunft abhängig. Umverteilen ist angebracht, eine andere Steuerpolitik nötig. Wie wäre es, wenn die unteren Einkommen entlastet würden und die ganz oberen in gleichem Umfang belastet. Das wäre doch ein Konjunkturprogramm, oder? – Die Hälfte der Menschen wählt gegen die eigenen Interessen. Muss Politik wirklich so schwer sein?
Der Hochfrequenzhandel müsse mit einer Finanztransaktionssteuer beantwortet werden [sie ist vom Brexit-Land verhindert worden]. Wir haben keine Investitionen trotz negativen Realzinsen. Schädliche Subventionen in Bezug auf landwirtschaftliche Produkte, die nach Afrika exportiert werden, sind abzuschaffen. Der Rohstoffhandel wird von mächtigen Bataillonen diktiert. Die Entwicklungshilfe muss erhöht werden, sie nutzt aber nichts gegen eine falsche globale Wirtschafts- und Handelspolitik. Ein Zuhörer weiß von einem Fall, in dem Vieh geschlachtet wurde, weil fremde Milch den Markt der Kleinbauern überschwemmte. Das Geld der Potentaten geht aus den Ländern in die Steueroasen. Entwicklungshilfe kompensiert nur fehlerhaftes Handeln.
Ulrike Herrmann findet höhere Löhne zielführender als Steuererhöhungen für Superreiche oder Steuersenkung für Bürger. Was die Machtfrage angeht, so wäre zu bedenken, dass wir eine Konsenskultur haben. Daraus ergibt sich eine Diskurshoheit. Kaum wäre Rot-Rot-Grün an der Macht, kippten nach einem halben Jahr Landtagswahlen einer Wende entgegen. Immer müssten alle überzeugt sein, das ergibt in der Summe eine Große Koalition. Duval meint, in Frankreich habe der Präsident mehr Macht als die Bundeskanzlerin.
Duval sieht die Lage in Frankreich als nicht so schlecht an. Die Inlandsnachfrage habe gehalten, die Löhne gingen nicht zurück, auch nicht die öffentlichen Ausgaben. Villon wollte schon Austeritätspolitik auferlegen. Es kam zu keiner Katastrophe durch eine Regierung, ‚wir also haben gerettet‘, meint Duval. Deutschland sei da anders gewesen. In Deutschland gingen die Löhne zurück, auch in Griechenland und Italien. Frankreich weise keinen Überschuss mehr auf, weil Spanien nicht konsumiere. Frankreich hat die Löhne nicht zurückgefahren, Deutschland aber mache die Eurozone kaputt. Die Lohnkosten zurückzuführen gehe auf Dauer nicht gut, besser wäre: ‚Deutschland erhöht‘.
Die Lage ist verschlechtert, Rechtsextreme haben an Gewicht gewonnen. Ist es vorbei mit der Union? Die deutsche Kleinkariertheit ist nicht zu erklären. ‚Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht zu spät ist‘, meint Duval. Er zieht einen Vergleich mit Japans Pearl Habour. Japan entschied sich nachher, sein System in kürzester Zeit umzukrempeln. Es hatte zuvor nur Schiffe und Lastwagen produziert, heute ist es ein ganz anderes Land. So könnten auch vier Jahre verschärfter ökologischer Krise eine Wende bringen, aufgrund eines gesteigerten Erkenntnisprozesses.
Warnung: Zwei Drittel der Arbeiter gehen nicht wählen, trotz sozialdemokratischen Bewusstseins. Zu Trump: Europa kann nur gemeinsam - und Deutschland muss seine Wirtschaftspolitik in Europa radikal ändern, sonst ist steht es alleine da, ohne NATO und auf seinen Exportüberschüssen hockend.
Ulrike Herrmann liefert noch eine nette Vergleichsgeschichte, um die Möglichkeit des Paradigmenwechsels zu untermauern: Seehofer wollte einst, dass in allen Gremien der Partei eine Frauenquote festgesetzt wird. Schlimm aber war: in der CSU wollten die Frauen das nicht. Aufgrund von Umfragen ergab sich, dass Parteien dann gewählt werden, wenn Frauen zu sehen sind. Dadurch kam es, dass die Quote durchgesetzt wurde. Für den Wandel bedeutet das: Parteien führen nicht, sie folgen. Mit dieser wahren Erzählung war dem Abend noch ein recht erfreuliches und entspannendes Ende gesetzt.
Foto: © Heinz Markert
Info:
Podiumsdiskussion ‚Wie wollen wir weiterwirtschaften?‘ mit Ulrike Herrmann, Wirtschaftsjournalistin und Publizistin, Guillaume Duval, Chefredakteur der französischen Zeitschrift „Alternatives Economiques“, Moderation: Andrea Ypsilanti, SPD, Mitglied des Landtags, 9. Februar 2017, 19.30 Uhr, DGB-Haus, Wilhelm-Leuschner-Str.