Podiumsdiskussion im DGB-Haus, moderiert von Andrea Ypsilanti, mit Ulrike Hermann (D) und Guillaume Duval (Fr) · Teil 1/2


Heinz Markert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die FR schrieb kürzlich von schwer belastenden Konzentrationen langlebiger organischer Schwebstoffe im 11000 Meter tiefen Marianengraben und von: ‚Der Tragödie nächster Akt‘ in Bezug auf die jetzige Lage Griechenlands. Europa, das Finanzsystem und die sich anbahnende Umweltkrise waren Brennpunktthemen des Abends mit Andrea Ypsilanti.


Die ehemals von destruktiven Kreisen des Schwarzgelbmilieus Ausgebremste und Diffamierte (übrigens auch durch die FR, was diese Leser kostete), die gemeinsam mit Hermann Scheer (‚Der energetische Imperativ‘) all das schon wollte, was jetzt wieder – oder weiterhin - auf der Tagesordnung steht, nämlich faire Lebensbedingungen für Arbeitende (die zu Teilen aus Frust zur AfD wechseln) und das Ende der Umweltbedrohung durch die fossilen Energiekonzerne. Atomkraft bekam 2011 die Absage, wie von Ypsilanti/Scheer 2008 gefordert. Die energetische Wende hätte regenerative Wertschöpfung nach Hessen geholt.


Zehn Jahre später also, die Gesellschaft tritt auf der Stelle, die Widersprüche und globalen Bedrohungen wachsen. Das gesetzte Thema ‚Wie wollen wir weiterwirtschaften?‘ spielt auf einen Doppelsinn an: Wollen wir einfach so weiterwirtschaften oder wollen wir die Richtung ändern? – Andrea Ypsilanti gab in ihrer Einleitung als Moderierende nur eine knappe Einschätzung der Lage, dass nämlich das Ende der Welt wahrscheinlicher erscheine als das Ende des Kapitalismus. Stecken wir als Gattung irgendwie im selbstbereiteten Manko?


Guillaume Duval von der Zeitschrift „Altérnatives Economiques“ war es vorbehalten, einige Einsichten vorzugeben. Staatsausgaben sollen so niedrig wie möglich sein, darunter leide die Bewältigung der Aufgaben für die Gesellschaft und die Investitionen in öffentliche Güter. Wenn aber die Armen arm sind, denn gehe es auch den Reichen schlecht - sie bekommen so etwas wie ein schlechtes Gefühl. Interne linke Kritik wollte er nicht aussparen, wenn er das sowjetische Modell noch einmal verwarf. Die heutigen politischen Eliten wollten die grassierende Steuervermeidung nicht lösen, weil sie ihr heimlich verpflichtet seien (wie auch Jean Claude Juncker).


China spart an den Massen, das geht im Westen nicht, immerhin aber denkt es jetzt global und setzt sich für die Belange der Umwelt ein. Auf diesem Feld findet ein Lauf gegen Natur statt – wird es für sie noch reichen? -, eine umweltpolitische Weltunion und ein Transfersystem müssten in einen Weltstaat leiten, das sei aus den Gefahrengründen unumgänglich.

 


Regierungskapitalismus unschöner Art


Ulrike Herrmann, die scharfsinnige Analytikerin des Kapitals, die etwas auf den Punkt zu bringen weiß, referierte zu den drei Finanzkrisen der vergangenen 10 Jahre. So kurz seien die Abstände zwischen den Krisen der Finanzmärkte noch nie gewesen. Sie sprach zur Dotcom-Krise von 2000 (5-6 Billionen vernichtet), zur von US-Amerika ausgehenden Subprime-Immobilien-Krise mit den windigen Papieren – Hypotheken gingen noch an Leute ohne Einkommen - und zur Eurokrise ab 2010, die andauert und mit einer Währung zusammenhängt, die unterschiedliche Länder zusammenschweißt, wobei die krasse Unterschiedlichkeit durchaus gewollt ist und zementiert wird.


Das Debakel schreitet voran, weil der deutsche Akteur uneinsichtig ist. Das Grundproblem bestehe darin, dass es schlicht zu viel Geld gebe. Vor 1980 waren die Finanzmärkte strikt reguliert, hernach wurde dereguliert. Die sich aufbauende Finanzblase ist eine Vermögensblase, die letzten Krisen haben erst mal nur ‚kleine Dellen‘ hinterlassen. Geld entsteht aus dem Nichts, wenn Banken Kredite vergeben (‚Giralgeld‘). Schwierig ist das Verhältnis Geld/ Realwirtschaft. Eine Krise der Finanzwirtschaft zieht die Realwirtschaft mit runter (fehlendes Trennbankensystem und Existenz von Schattenbanken).


Seit 1980 begannen die Banken sich verstärkt gegenseitig Kredite zu geben (A > B; B > A). Geld wurde gedruckt und mit diesem Geld spekuliert. Derivate wurden entwickelt, um die Spekulation zu steigern. Das Wettspiel mit den Papieren und Börsenkursen beschleunigt sich. Zuvor war biederer Handel mit Rohstoffen, Aktien und Währungen angesagt. Die Finanzblase ist astronomisch, sagenhafte Summen sind unterwegs. Jeder Bankmitarbeiter weiß: die nächste Finanzkrise kommt.


Und was löst sie aus? Die Türkei bewegt sich auf eine Finanzkrise zu, speziell die Immobilienblase ist der Treiber. In ihr steckt der höchste Vermögensanteil. Von 10 Billionen Vermögen sind 5,5 Billionen Immobilien. Diese sind überbewertet, Preise werden fallen. Die Lösung: alle Banken müssen wieder Sparkassen werden. Die Deutsche Bank subventioniert mit ihren Geschäften Hedgefonds. „Die Spekulation implodiert‘, titelte zu Beginn der 2000-er Jahre die SZ. Derivate sind zu verbieten. Die Deutsche Bank schrumpft dann auf die Hälfte. Das Eigenkapital muss erhöht werden. Momentan beläuft es sich auf 3 Prozent, der Rest ist geliehen. Die Banken spekulieren mit fremdem Geld. Das ist die Lage unterm EZB-System.


Die Eurokrise ist ein Sonderfall. Der Euro bzw. die Eurozone scheitert nicht an Griechenland, nicht am Grexit, nicht am Brexit: sie scheitert an Italien und Frankreich. Beide Länder steuern auf eine Krise zu. Italien hat über 10 Jahre 7 Prozent an Wirtschaftsleistung verloren, es hat eine systemische Bankenkrise. Deutschland hat einen Überhang an Wirtschaftsleistung von 30 Prozent, verhältnismäßig. Auf 8 Stellen des italienischen Staatsdienstes bewerben sich 1000 meist junge Menschen. Frankreich ist nicht schwach, aber es ist nur bezogen auf Deutschland im Hintertreffen. Aufgrund Deutschlands bleibt die Lage alternativlos.
Die Agenda 2010 brachte Lohndumping, die Reallöhne sind zwischen 2000 und 2014 nicht mehr gestiegen, die Kaufkraft ist etwa die gleiche geblieben. Die SPD war verantwortlich, aber es war ein gemeinsames Projekt von Rot/Grün. CDU/CSU schoben mit. Die Verwerfungen, zu denen es kam, waren ungerecht, verachtungswürdig. Frankreich hat ein Wettbewerbsproblem von 20 Prozent. Frankreich aber ‚war richtig‘, es hat seine Löhne parallel zum Produktivitätsfortschritt gesteigert. Deutschlands Löhne sind nicht gestiegen, es hat den größten Exportüberschuss (8,5 Prozent), man konnte über Jahre mehr produzieren und exportieren. Auf diese Weise exportieren wir aber ‚unsere Arbeitslosigkeit‘, wenn nicht die Löhne um 5 Prozent steigen. Trifft das nicht ein, dann haben andere Länder keine Chance. Das Ungleichgewicht, wie vorhanden, kann auf Dauer nicht gutgehen.


Monsieur Duval gab noch zu bedenken, dass Europa die Energiewende eventuell verpasse. Es wäre angebrachter Im Süden in Fotovoltaik zu investieren als das Geld im Norden zu verschwenden. Die Umweltkrise erfordere ein weicheres Wachstum. Damit endete der exponentielle Abschnitt des Abends, man ging zu Fragen und Anregungen aus dem Publikum über, die beantwortet wurden.

 

Foto: © Heinz Markert
Info:
Podiumsdiskussion ‚Wie wollen wir weiterwirtschaften?‘ mit Ulrike Herrmann, Wirtschaftsjournalistin und Publizistin, Guillaume Duval, Chefredakteur der französischen Zeitschrift „Alternatives Economiques“, Moderation: Andrea Ypsilanti, SPD, Mitglied des Landtags, 9. Februar 2017, 19.30 Uhr, DGB-Haus, Wilhelm-Leuschner-Str.