1967: Warum wollte Nasser Israel zerstören? Zur Vorgeschichte des Sechs-Tage Krieges, Teil IV
Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Antisemitische Agitation war in den arabischen Ländern nichts Neues, wie jüngere Studien über die Nazi-Propaganda in der arabischen Welt belegen.[56] So riefen zwischen April 1939 und April 1945 arabischsprachige Radiosendungen aus Berlin tagtäglich dazu auf, einen jüdischen Staates zu verhindern und die in Palästina lebenden Juden zu töten.
Derartige Programme erreichten die analphabetisierte Masse; sie waren beliebt und wurden gehört. Im Zentrum stand die immer wiederkehrende Behauptung, dass der Zionismus als inhärent expansive Ideologie den Islam zu zerstören suche. Je deutlicher sich die militärische Niederlage der Nazis abzeichnete, desto schriller wurden die arabischsprachigen Radio-Warnungen vor dem zionistischen Projekt.
Es besteht kein Zweifel, dass das Echo dieser Propaganda während der ersten Nachkriegsjahre im Nahen Osten weiter nachhallte. So berichten Historiker übereinstimmend, dass es 1948 vor allem der Druck der arabischen Straße war, der die zögerlichen Vertreter der Arabischen Liga zum Krieg gegen Israel trieb.[57] Solch Wechselbeziehung zwischen aufgepeitschter Masse und arabischer Staatsführung wiederholte sich 1967, wenn auch in veränderter Form.
Natürlich konnte im Jahr 1967 – 22 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – von einer unmittelbaren Nachwirkung der Nazi-Propaganda keine Rede sein. Jetzt ging es darum, die arabische Niederlage von 1948, die man in der Zwischenzeit weder reflektiert noch wirklich zugegeben hatte, zu rächen. Jetzt präsentierte die arabische Straße ihre Quittung für die Taktik arabischer Herrscher, die Wut der Masse über selbstverschuldete Versäumnisse immer wieder auf Israel, dem allseits verfügbaren Sündenbock, zu lenken.
Doch hatten weder Israel noch der Zionismus den Krieg von 1967 provoziert. Nassers Zerstörungswut und die damit verbundene Begeisterung seiner Anhänger lassen sich nur dann verstehen, wenn wir den antisemitischen Impuls für den Nahen Osten mit in Rechnung stellen, der von der Nazi-Periode in die Nachkriegszeit und dann an die nächste Generation weitergegeben wurde.
Nasser und die ihn umgebende Stimmung waren beim Angriff auf Israel Eins: Der Präsident wurde von den denselben zerstörerischen Gefühlen ergriffen, die er bei den Massen erfolgreich zu entflammen verstand.
Es sind nicht Israel und der Zionismus, die diesen außergewöhnlichen Sachverhalt geschaffen haben, den wir als Nahostkonflikt zu bezeichnen pflegen, denn es gibt viele nationale Bewegungen und Dutzende neuer Staaten, die den Vereinten Nationen seit ihrer Gründung beigetreten sind. Das einzig Außergewöhnliche, das den jüdischen Staat zum Ausnahmestaat macht, ist der unablässige Aufruf, ihn zu zerstören. Dies galt 1948 und 1967; dies gilt mit Einschränkung auch noch jetzt. Kein anderer Staat der Welt ist mit dem Aufruf, ihn zu zerstören, konfrontiert.
“Es ist Zeit, die Demagogien zu beenden – Krieg mit Israel ist unmöglich!” Nach diesem ungewöhnlichen Appell lud Golda Meir, die damalige Außenministerin, Habib Bourguiba nach Israel ein. Eine friedliche Lösung der Palästina-Frage, erklärte Meir im Frühjahr 1965, sei auch im Interesse der Araber, die in Not und Unsicherheit lebten. “Es ist ungerecht, dass diese Völker gezwungen werden, bis zu 70% ihres Volkseinkommens zu opfern, um sich auf einen Krieg vorzubereiten, der mörderisch ist und kein Problem löst.“[58] Diese prophetischen Worte, kurz vor dem Sechs-Tage Krieg ausgesprochen, gelten auch noch jetzt.
Anmerkungen:
[56] Siehe zum Beispiel Jeffrey Herf, Nazi Propaganda in the Arab World, New Haven 2009 und David Motadel, Islam and Nazi Germany’s War, Cambridge MK 2014.
[57] Matthias Küntzel, The Aftershock of the Nazi War against the Jews, 1947-1948: Could War in the Middle East Have Been Prevented?, in: Jewish Political Studies Review, Fall 2016, Vol. 26, Numbers 3 & 4, S. 38-53. Siehe auf http://www.matthiaskuentzel.de/contents/the-aftershock-of-the-nazi-war-against-the-jews-19471948 .
[58] Keesings Archiv der Gegenwart, 21. April 1965, S. 11802.
Foto:Golda Meir (c) haaretz.com
Info: Wir entnehmen den Artikel, dessen Teile fortgesetzt werden, mit freundlicher Genehmigung des Autors seiner Webseite. Die Artikel wurden veröffentlicht in mena-watch (Wien).